von 27.04.2009

taz Blogs


Willkommen auf der Blogplattform der taz-Community!

Mehr über diesen Blog

Das Verhältnis von Zeitungsjournalismus zu Internet ist eine Glaubensfrage. Auf der einen Seite: die Online-Anhänger, die im Internet den Heilsbringer für die verstaubten klassischen Medien sehen. Auf der anderen Seite: diejenigen, die das Internet für den Todesgräber des klassischen Journalismus sehen.

Auf dem tazkongress vergangenes Wochenende wurde dieser Glaubenkrieg unter dem Titel „Spot.US statt New York Times?“ erneut inszeniert: David Cohn, Star des Online-Bürgerjournalismus, trat an gegen Brigitte Alfter, deren Stelle bei einer Tageszeitung vergangenen Sommer eingespart wurde. Dazwischen: Jakob Augstein, Herausgeber auf der Suche nach neuen Geschäftsmodellen.

„Geld ist da für Qualitätsjournalismus“, sagt Brigitte Alfter vom Netzwerk Recherche, einem Verband investigativer Reporter. Sie kritisiert die News-Fast Food Kultur, die das Web befeuert und fordert Journalisten auf, ihren Prinzipien treu zu bleiben. „Tretet euch selbst in den Arsch und macht das besser!“ Um Geld müsse man sich eben bemühen – bei Zeitungen oder Stiftungen.

Geschenktes Geld, also Spenden, bevorzugt David Cohn: Er hat Spot.US gegründet, ein Online-Portal, auf dem Journalisten ihre Story-Idee vorstellen und um Geld bitten. Die Online-Gemeinde spendet. Kann der Journalist die fertige Story veröffentlichen, muss er das Geld zurückzahlen. Sonst bleibt das Recht an der Geschichte in der Spot.US Community und die Geschichte wird öffentlich zugänglich.

„Spenden an Journalisten sind nichts Neues“, sagt Cohn. Der staatliche Radiosender NPR (National Public Radio) in den USA rufe beispielsweise regelmäßig seine Hörer dazu auf. Bisher reichte das Spendengeld bei Spot.US etwa für eine Story pro Woche, meistens kleinere Geschichten. „Für ein Gehalt reicht es noch nicht“, gibt Cohn zu, hofft aber, dass dies durch Allianzen mit den etablierten Medien möglich wird.

Eine neue Spielart des Journalismus macht auch Der Freitag unter Herausgeber Jakob Augstein. „Was wir machen, ist Kommunikation“, sagt Augstein. Eine Zeitung müsse nicht nur Nachrichten geben, sondern auch Orientierung, Emotion und Identität. Der Freitag suche das Gespräch mit seinen Lesern im Online-Austausch, der es teilweise auch ins Blatt schafft. So kann der Leser mitbestimmen, was gedruckt wird.

Mit dem Spenden-Geschäftsmodell sieht Augstein ein paar Probleme. „Gibt’s bei euch eine Geld-Zurück-Garantie, wenn die Geschichte scheiße ist?“, hakt er nach. Gibt es nicht. Andere Schwierigkeiten, gesteht Cohn, seien die lange Fundraiding-Anlaufzeit, bevor Geschichten finanziert werden könnten, und die Unmöglichkeit auf diese Weise versteckte Recherche zu machen. „Wenn ich ins Forum den Vorschlag poste, über die Mafia zu recherchieren, dann kriegen die Jungs das mit und bringen mich um.“

Von Journalismus in der Krise will Cohn nichts hören. „Journalismus hat kein Problem.“ Er verändere sich nur. „Journalismus ist ein Prozess, kein Produkt“.

Doch, es gebe ein Problem, sagt Augstein, und zwar ein strukturelles: „Es gibt keine Gegenöffentlichkeit mehr.“ Ein paar Mediengruppen haben das Geld und dominieren die Schlagzeilen. Und diese News-Oligarchen legen sich zu den Mächtigen ins Bett, lassen sich „embedden“ wie während des Irakkriegs.

„Bürgerjournalismus hat Grenzen“, sagt Cohn. „Am besten ist er in Not-Situationen – Bomben in Mumbai, Notwasserung im Hudson.“ Statt Geld könnten Bürger auch Zeit spenden – „Crowd-Sourcing“ nennt sich das. Jeder Bürger ist da ein kleiner Journalist und recherchiert oder überprüft. „Und wie wird das kontrolliert?“, fragt Alften. „Vielleicht bin ich ein bisschen puritanisch, aber ich hätte da kein Vertrauen.“ Darauf hat auch Cohn keine richtige Antwort.

Cross-Financing ist für Augstein eine andere Möglichkeit, guten Journalismus zu bezahlen. Was das ist? „Der Guardian verkauft Autos, die taz verkauft Kaffee. Ich würde auch so ziemlich alles verkaufen, um guten Journalismus finanzieren zu können.“ Für Augstein geht es darum, eine Gemeinschaft zu erzeugen – und dann sei das auch ok, an diese Gemeinde seine Produkte zu verkaufen.

„Ihr verlasst euch bei Freitag ja auch auf Crowd Sourcing“, hakt Moderator Peter Unfried nach. „Die Leute schreiben – und ihr zahlt ihnen nichts, wenn ihre Beiträge nicht in der Zeitung gedruckt werden.“ Beiträge müssten eben eine gewisse Qualität haben, um auch Geld wert zu sein, entgegnet Augstein. „Die Menschen die Möglichkeiten des Internets auch wirklich nutzen!“ Skandale aufdecken, gute Recherche – auch das sein mit dem Web möglich.

„Wer macht denn da mit bei Ihrem Bürger-Journalismus-Forum?“, fragt eine Frau im Publikum.

„Bisher hauptsächlich Computer-Nerds“, gibt Cohn zu. Und – da Spot.US nur Lokaljournalismus macht – Leute aus der Nachbarschaft, die wissen wollten, was vor sich geht. „Ich glaube, mit der Idee ließe sich richtig Geld verdienen“, sagt Cohn, Augstein lächelt, beugt sich über seinen Block und macht Notizen. Vielleicht hat Der Freitag auch bald eine Spenden-Rubrik.

Auch meine Nebensitzerin wittert ein Geschäftsmodell und flüstert: „Sag mal, machen wir Spot.US für Kreuzberg?“

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/tretet-euch-selbst-in-den-arsch-2/

aktuell auf taz.de

kommentare