vonEva C. Schweitzer 13.09.2011

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Am Sontag abend haben sich in einem alten Theater in Chinatown, New York City, die letzten Unentwegten des 9-11 Truth Movements gesammelt, ein paar hundert New Yorker, dazu die Aktivisten von Boiling Frogs, die per Skype zugeschaltet wurden. Die meisten sind Veteranen der Bewegung, die mit dem Abtritt von Bush ziemlich geschrumpft ist. Ich bin mittendrin, und, soweit ich das überblicke, eine der jüngsten.

Die Redner rattern durch die amerikanische Geschichte: Die Ausrottung der Indianer, die Sklaverei, der Zweite Weltkrieg, als die Briten im Rockefeller Center Spione postierten, Ronald Reagan und seine Unterstützung der Mujahedin. Ein Indianer namens Ghosthorse beschwert sich, dass die Mohawk, die das World Trade Center erbaut haben, nicht zur Zeremonie am Jahrestag eingeladen wurden, übrigens auch nicht die Feuerwehrleute, die bei der Rettung krank wurden. “Die Täter sind dort unter sich”; stellt Wayne Madsen fest, ein ehemaliger NSA-Mann, der heute als Journalist arbeitet. Das letzte Mal habe ich Madsen in einer FBI-Bar in Washington gesehen, er hat ein bisschen zugenommen, naja, wer nicht. Madsen glaubt übrigens auch nicht, dass der erschossene Osama der echte ist. Und die Dokumente über 9-11 seien in den National Archives unter Verschluss, sagt er.

Auch Richard Gage von den “Architekten und Ingenieure für die 9-11-Wahrheit” tritt auf. Er glaubt, die Twin Towers seien gesprengt worden. Ray McGovern, ein ehemaliger CIA-Agent, der heute für eine Kirche in Washington arbeitet, hält das neue Buch von Donald Rumsfeld hoch. Zu dem gebe es ein Lesezeichen, “Vorsicht! Das ist das Buch eines Kriegsverbrechers!” Man kann es downloaden. McGovern verteilt ein paar davon, dann will er einen Beitrag des deutschen TV-Magazins Panorama vorführen, das scheitert aber an technischen Problemen.

Der Star des Nachmittags ist Webster Tarpley, ein Autor, der der LaRouche-Partei nahesteht und der die ganz große Verschwörung aufdeckt: 9-11 war ein Putsch derer, die Amerika tatsächlich regieren — die Wall Street, der militärisch-industrielle Komplex, das anglo-amerikanische Imperium —, um das ehemalige sowjetische Reich von Polen bis Afghanistan zu übernehmen. Beweis: Es habe an diesem Tag und zuvor mehrere Drills gegeben, wo die Flugzeugentführung und die Attacke simuliert wurde. Soweit noch logisch, aber warum sollen die gegen Bush-Cheney putschen? Sind das nicht schon deren Leute? Tarpley holt weiter aus: Auch Karl Marx sei bereits ein Agent des britischen Außenministeriums gewesen, Roosevelt wusste von Pearl Harbor, und Julian Assange arbeite für die CIA.

Die Truther sind ein buntes Gemisch aus linken Akademikern, staatsfernen Libertären, Angehörigen von Opfern, Neue-Welt-Ordnung-Verschwörungstheoretiker und ehemaligen Geheimdienstlern, die sich über eins einig sind: So, wie der Anschlag von den Regierungsbehörden dargestellt wird, kann er nicht passiert sein. Sie weisen daraufhin, dass die Neokonservativen im Project for a New American Century schon Jahre vorher einen Einmarsch in den Irak gefordert haben. Truther haben nicht nur Filme, sondern auch zahlreiche Bücher veröffentlicht, aber sie stellen immer noch Fragen: Warum las Bush minutenlang aus The Pet Goat vor, als er von dem Anschlag erfuhr? Wo war die Flugabwehr? Wieso funktionierten Handys in dieser Flughöhe? Wer hat an den Put Options, Aktienplatzierungen kurz von dem Anschlag profitiert? Wer hat die Anthrax-Briefe verschickt? Wieso ist World Trade Center 7 am 11. September zusammengesackt? Hier war das Notstromaggregat mit einem Dieseltank gewesen, aber auch Büros der Börsenaufsicht, vieler Banken, des Pentagon und der CIA. DAs weiß ich leider auch nicht, ich war aber mal bei einem Gebäude in Miami, das war ganz genauso gebaut, und da haben sie mir versichert, das kann gar nicht abbrennen.

Die Truther sind nicht alleine. Ein Drittel der Amerikaner glauben vielleicht nicht gerade, dass Dick Cheney persönlich Dynamitstangen im Keller des World Trade Center angeschraubt hat, aber doch, dass die US-Regierung nicht die ganze Wahrheit sagt. Und weltweit sind das, je nach Land, bis zu 90 Prozent. Das ist kein Wunder. In Amerika geschah der Mord an John F. Kennedy, den viele als nicht aufgeklärt sehen — Webster Tarpley verdächtigt den damaligen CIA-Chef Allen Dulles —  die Morde an Robert F. Kennedy, Martin Luther King, Malcolm X und John Lennon, Iran-Contra, und Operation Mongoose, ein Plan der CIA, Flugzeuge abzuschießen und dies Fidel Castro in die Schuhe zu schieben

Natürlich gibt es auch zahlreiche Publikationen, die den Truthern widersprechen. Darunter sind das Magazin Popular Mechanics, aber auch kritische Linke wie der Satiriker Bill Maher, der Truther für Verrückte hält, oder Noam Chomsky, der oberste linke US-Ideologe, der meint, das Risiko, dass so etwas auffliege, sei viel zu hoch. Für Tarpley sind das Verräter. Zu denen zählt er auch Michael Moore. Die alle würden, sagt er, von George Soros bezahlt. Und damit von der Wall Street. Ein bisschen fühle ich mich nun wie im Proseminar Germanistik, wo wir von den Marxistischen Gruppen genauso belatschert wurden — was ist aus denen eigentlich geworden? Andererseits: Auch Neokonservative verbreiten gerne Verschwörungstheorien. So haben die noch Jahre nach dem Anschlag behauptet, dass der irakische Geheimdienst hinter 9-11 steckt. Wahrscheinlich ist es nur eine Frage von Monaten, bis sie den Iran verdächtigen.

Nun brechen die ersten auf; in der All Souls Kirche in der Upper East Side wird der Film “9/11: Explosive Evidence – Experts Speak Out”gezeigt, der die Theorie erhärtet, das World Trade Center sei gesprengt worden. Übrigens, dämmert mir gerade (acht Jahre X-Files müssen sich ja irgendwann auszahlen), vielleicht ist ja Tarpley in Wirklichkeit ein Agent der Mächte des Bösen, der die Linken gegeneinander aufbringen will. Wäre das nicht eine wirklich geschickte Tarnung?

Eva C. Schweitzer, Manhattan  Moments. Geschichten aus New York, erschienen bei Droemer-Knaur, Juni 2009, Taschenbuch, 9,95 €

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