vonHelmut Höge 20.04.2009

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Poller bei Nacht – links und rechts des kurzen Weges, der von der John-Foster-Dulles-Allee, an der sich die Kongreßhalle (Haus der Kulturen der Welt) befindet, zum Bundeskanzleramt abzweigt. Früher standen an diesem Weg preußische Soldaten statt der üppig illuminierten Poller stramm, sie wurden nachts von einigen Fackeln erleuchtet. Wenn der Hohenzollernkönig/kaiser vorbeifuhr nörgelte er: „Aber sie atmen noch…“ Ohne Scheiß! Sie standen ihm nicht stramm genug! Einer, der den Weg markierenden Soldaten – der Gefreite Will vom I. Esc II. G.U.Regts – wurde dort am 14. 8. 1889 vom Blitz erschlagen. Der Preußenkönig/Kaiser ließ an seiner Stelle einen etwa 50 Zentimeter hohen Stein-Poller mit einer Inschrift errichten.

Wenn gesagt wurde, dass die Poller als „stumme Polizisten“ die Verkehrsbullen ersetzen, manchmal bis hin zu den Zivischweinen, dann schwang da bei mir immer eine gewisse Technik- und Pollerfeindlichkeit bzw. ein Beharren auf die Priorität des Menschlichen mit, von wo aus dann seine Liquidierung, die eine (Verkehrs-) Moral erzwang, und seine Ersetzung durch eine technische Konstruktion, die nur noch über Sachzwänge funktioniert, bedauert wurde. Sieht man diese Ersetzung – der preußischen Soldaten durch innenilluminierte Rundpoller – jedoch historisch, dann muß man sie als einen bedeutenden Fortschritt (an)erkennen: Kein armer preußischer Soldat muß sich an diesem öden Weg durch den Tiergarten mehr kalte Füße holen, langweilen und im Strammstehdienst verblöden. Er stand ja dort sowieso nur als ein lebender Poller herum – im Schichtdienst, und dieses Leben war dem Preußenkönig/kaiser noch zu viel – er träumte schon damals von toten Soldaten bzw. echten Pollern am Wegesrand.

Heute, wo das mit der rotgrünen Regierung erstmalig realisiert wurde, kommt aber noch etwas dazu: Dieses ganze bescheuerte Regierungsviertel, in dem sich der lichtpollerflankierte Weg zum Bundeskanzleramt befindet (er wurde nach Yitzhak Rabin benannt), ist nachts tot – und also gibt es auch so gut wie keinen Verkehr auf der Yitzhak-Rabin-Strasse. Durch die hellerleuchteten zwei Pollerreihen sieht es jedoch so aus, selbst von nahem, als würde dort ununterbrochen der Verkehr rollen und an der Ampelkreuzung, wo es zur Kongreßhalle in den Tiergarten abgeht, sogar ganz fürchterlich stauen. Das Photo knipste Ronald Dücker.

Wenn man es sich genau ansieht, erkennt man rechts oben , dass ein Teil des Kanzleramts auch noch illuminiert ist. Die wenigen Berliner, die jemals dort vorbeigekommen sind, sagen anerkennend: „Bei Angela Merkel brennt noch Licht!“ Aber das ist ein Fake, der auf Gerhard Schröder zurückgeht – und der hat ihn von Stalin übernommen: Im Kreml brannte ebenfalls immer die ganze Nacht das Licht – aber damals arbeitete Stalin wirklich die Nacht durch – und verlangte das auch von seinen Mitarbeitern. Schröder und auch Merkel jetzt tun heute nur noch so, als würden sie nächtens im Kanzleramt bienenfleißig Akten studieren. Dazu bleibt das Licht die ganze Nacht an. Sie schlafen nicht einmal im Kanzleramt, wie ich vom dortigen Hausmeister weiß. Kürzlich suchten sie übrigens einen neuen Hausmeister für dieses komische Amt.

Ein Wort noch zur Kongreßhalle, die heute „Haus der Kulturen der Welt“ heißt:

Von Senats- und Bundesregierungsseite wird immer mal wieder die Finanzierung der Weltkultur- Kongreßhalle (HdKdW) in Frage gestellt. Von letzteren, um das ideal gelegene Tagungsgebäude ganz mit Beschlag zu belegen. Doch die andere Seite ist auch nicht untätig: Innen besetzte sie im Winter sämtliche Abteilungsleiterstellen mit veritablen Goethe-Rängen, außen legt sie sommers einen ausländischen Grillring nach dem anderen um den güldenen Henry-Moore- Klumpen. Dafür wurde an der Halle sogar ein Wasserhahn installiert, aus dem sonntags so viele Hektoliter gezapft werden, daß es nicht mal mehr für die zwei knietiefen Bassins reicht – was immerhin alle deutschen Schiffsmodellbau-Bastler, verhinderte Marinerichter allesamt, vertrieb.

Dann verklammerte sich dieser geballte Multikulti auch noch mit dem gleichnamigen SFB-Sender, der daraufhin mit Fug und Recht behaupten konnte, er habe noch einen Container hinterm HdKdW. Darin war die Redaktion von „Radio Multikulti“ untergebracht. Sie wurde dann erst ins SFB-Hauptgebäude zurückgeholt und schließlich abgewickelt. Die SFB-Intendantin glaubte allen Reaktionären blind: „Multikulti ist ein Auslaufmodell“. Heute sendet die Redaktion autonom – übers Internet.

Neulich entdeckte ich, daß man klammheimlich auch den Gedenkstein umgesetzt hat – für den Gefreiten Will vom I. Esc II. G.U.Regts. Er steht jetzt an der heutigen John-Foster-Dulles- Allee, nahe an der Kongreßhalle – und korrespondiert so quasi mit einer Gedenktafel, die an den SFB-Redakteur Hartmut Küster erinnert, der am 21. 5. 1980 von der Kongreßhalle erschlagen wurde, als diese einstürzte: ihre allzu gewagte Konstruktion war nach 24 Jahren weich geworden.

Einer der Architekten, Mocken, hatte dies bereits kurz nach der Einweihung, 1956, befürchtet. Er starb gottlob vor dem Einsturz. Seinem Sohn Carsten hinterließ er einen Weinberg in Brasilien, den dieser dann versilberte, um sich mit dem Geld als reisender Holzdach-Konstrukteur selbständig zu machen. Auch ein Wagnis. Aber zurück zur Küster- Gedenktafel, die ihrerseits mit der Marmortafel im Hausinneren .korrespondiert. Damit soll an die laut Christa Wolf „erste weibliche Intellektuelle“ Bettina von Arnim erinnert werden, die dort einst ihren Salon im Stadthaus, in den Zelten 5, hatte, wo dann am 20. Januar 1859 auch „ihre schöne große Seele hinüberging“ (Johannes Werner). Die Goethe-Verehrerin, die sich ihrerseits von Marx und Bakunin verehren ließ, wird von ihrem Rowohlt-Biographen ob ihrer Warmherzigkeit und wegen der vielfältigen Unterstützung Verfolgter als „Ein-Frau-amnesty-international- Unternehmen“ bezeichnet.

Bettina von Arnim konnte aber auch anders: Im September 1820 berichtete sie ihrem Mann nach Wiepersdorf über einen Besuch bei Schleiermacher, der an der Humboldt-Universität lehrte und an einer Verdiesseitigung des Christentums arbeitete: „Seine Frau ging einen Augenblick hinaus. Da wollte er mich küssen, welches ich aber sehr geschickt und kaltblütig ausparierte. Der Sappermenter! … Ich hab‘ mich doch sehr geändert; sonst hätt‘ ich ihm wahrscheinlich eine Rippe eingetreten.“ Für Goethe hatte die Arnim einen „problematischen Charakter“, Robert Schumann widmete ihr zuerst sein „letztes Werk“, dann versuchte er sich am Rosenmontag 1854 im Rhein zu ertränken, schwamm jedoch wenig später wieder ans Ufer und wurde irre. Soviel zu den drei Gedenktafeln bzw. -Pollern am HdKdW.

Für die taz ist das Gelände rund um die Kongreßhalle vertrautes Terrain: Die Halle war zunächst, nach ihrer Umwidmung zum Haus der Weltkulturen, ein beliebter Dritte-Welt-Solipublikums-Treffpunkt und dann errichtete die Krankenschwester Irene Moessinger mit ihrer Erbschaft gleich daneben ihr Tempodrom-Zelt, das wie die taz schnell zu einem linksalternativen Treffpunkt wurde. Als jedoch das Kanzleramt direkt hinter dem Zelt errichtet wurde, mußte Moessinger weichen – sie bekam sechs Millionen DM Entschädigung und errichtete dann ein neues Tempodrom aus Beton auf dem Gelände des Anhalterbahnhofs. Dieses teure  Avantgarde-Gebäude wurde jedoch allzu undurchsichtig finanziert – und ging pleite. Moessinger stieg aus mit ihrer Entschädigung, die quasi eine Rente war, ging ins Kloster und fing an, ihre Memoiren zu schreiben. Die taz hatte im Tempodrom-Zelt einst ihr 10jähriges  Jubiläum gefeiert und dann im neuen Beton-Tempodrom ihr 25jähriges. Als dieses Unternehmen pleite ging, verkündete die taz: Nun habe sie sich auch von „linksalternativ“ endgültig verabschiedet.

Seltsamerweise errichtete jedoch Moessingers früherer Programmchef Holger Klotzbach, Betreiber der Bar jeder Vernunft, dann genau auf dem alten Platz – zwischen Kongreßhalle und Kanzleramt – ein neues riesiges Zelt: „Tippi“ genannt, in dem nun ebenfalls jede Menge Veranstaltungen stattfinden. Alle staunen immer noch, wie er das geschafft hat. Irene Moessinger mußte nämlich mit ihrem Tempodrom-Zelt weichen, weil die darin stattfindenden Musikveranstaltungen angeblich den Kanzler in seinem nahen Amt nachts beim Aktenstudium störten. Nun finden in Klotzbachs Tippi-Zelt aber ebenfalls solche Veranstaltungen statt. Die Erklärung, warum man ihm die Genehmigung dafür gab, die man Irene Moessinger zuvor entzogen hatte, ist ganz einfach: Die Sicherheitsleute der Regierung wissen, dass alle Welt inzwischen weiß, dass im Kanzleramt überhaupt nicht gearbeitet wird – und nachts schon gar nicht. Deswegen ist es auch völlig egal, ob nebenan in einem Zelt oder auch in der Kongreßhalle Remmidemmi ist – es stört niemanden.

Am taz-kongreß nahm nebenbeibemerkt auch ein Fuchs teil – er lebt quasi im Innenhof der Kongreßhalle und steht sehr gut im Futter. Dennoch kann er das Mausen nicht lassen. In der Nacht vom Samstag auf Sonntag schliefen einige Antifas zwischen Kongreßhalle und Kanzleramt am Flußufer. Einer hatte seine Schuhe ausgezogen und in einen seine Brille gelegt. Genau diesen Schuh mit Brille klaute dann der Fuchs, nachdem die kleine Gruppe eingeschlafen war. Der Betroffene fand seinen Schuh am nächsten Morgen zwar unter einem Busch wieder – er war jedoch leicht angekaut. Die Brille hatte der Fuchs dagegen nicht angerührt.

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