hatte ich ziemlich oft geschrieben; vor fast zwanzig Jahren auch mit Harald Fricke zusammen. Neben Leonard Cohen ist er glaube ich der einzige Star, den ich seit den achtziger Jahren toll finde. Aber Marc Almond steht mir letztlich doch noch ein bißchen näher. Ursprünglich hatte ich auch geplant, ihm mein Suhrkampbüchlein zu widmen, es dann aber doch gelassen, weil ich dachte, das könne affektiert wirken.
Der Textauszug hier ist von 2005:
„(…) Zwischen Winter und Frühling ist alles ziemlich früher. Im Fernsehen auf allen Kanälen ’45 und irgendwie kam man dann selbst auch in’s Gestern, das sich schon angedeutet hatte, als Harald anfang des Winters von Marc Almonds furchtbarem Motorradunfall erzählt hatte. Harald davon ja schon gewusst, bevor es in der Presse war, weil er wieder Leute aus dem Umfeld von Marc Almond gekannt hatte. Zehn Tage lang hatte der ehemalige Soft-Cell-Sänger im Koma gelegen. Zwei Monate später hatte dann Steffi erzählt, dass sie einen langen, begeisterten Text im „Guardian“ über sein grad erschienenes autobiographisches Buch – „In Search of the Pleasure Palace“ gelesen hätte. Weil Marc Almond, right or wrong, immer mein Lieblingsstar gewesen war, kaufte ich mir dann bei amazon seine schöne Autobiografie „Tainted Life„. Die ersten hundert Seiten, wo er von seiner Kindheit am Meer erzählt, dem Alkoholismus seines Vaters und dem elterlichen Anti-Sex-Terror, sind super. Weiter bin ich noch nicht und hörte und guckte mir ein paar Tage dann das Werk noch mal durch. Das ist gefährlich; man wird dann so reingesogen, singt die Texte mit nassen Augen mit, die wunderschöne Onanistenhymne „Mother Fist“, „Torch“ natürlich, „Say hello, wave goodbye“; die ganzen Hits eben und die obszönen Lieder. Wie toll muss es Anfang der 80er gewesen sein; wie glücklich und schön sehen Marc Almond und Dave Ball in diesem großartigen Ecstasy-Video von „Memorabilia“ aus, das selber wieder an die tollen 60ies Super-8-Filme von Jonas Mekas erinnert.
Früher ist interessant – daran erinnert zu werden, dass man einer Generation angehört, in der man auch als Heterosexueller nur schwule Sänger gelten ließ, während die Frauen den Nick Cave der „Murder Tales“ verehrten – früher macht aber auch süchtig und nach ein paar Tagen im Früher ist man leer und müsste eigentlich kalt duschen, um das Früher, das die Gegenwart entwertet, auch oder weil’s einen an einen selbst erinnert, wieder aus dem Kopf rauszukriegen. Kaltduschen kann man aber auch noch im nächsten Leben.
Im Internet, also der Gegenwart, gab’s dann ein gestreamtes Interview, dass Marc Almond im BBC-Frühstücksfernsehen vor ein paar Wochen gegeben hatte. Er war so angenehm britischklar, sah prima aus, stotterte manchmal andeutungsweise, erzählte vom Koma und sagte, er sei erst aufgewacht, nachdem ihm jemand die Kinderlieder vorgespielt hatte, die er mal mit seinem Papagei zu Hause gesungen und aufgenommen hatte. (….)“
Und das war die Kritik zu seinem letzten Berliner Konzert; die Soft-Cell-Reunion-Tour von 2001:
„Komisch, zu Marc Almond zu gehen, wenn man in seinem Leben genau zwei Popstars wirklich verehrt hat: David Bowie und eben Marc Almond. (Was für die einen der junge Marx, war für die anderen der junge David Bowie; was für die einen Deleuze und Bataille, war für die anderen Marc Almond. Zuweilen ging das ja auch zusammen.) Marc Almond war der wichtigere, vielleicht, weil man in seinen zwanzigern mehr erlebt, als als Teenager, wahrscheinlich, weil seine Lieder persönlicher und pathetischer waren, zum Sich-Hineinsteigern einluden, so eindeutig romantisch-sexuell auf der Seite der batailleschen Überschreitung standen, so existenzialistisch in all ihrer Künstlichkeit wahrhaftig und authentisch sein konnten. Schlimme Liebes- und Existenzkrisen, Selbstmordgefühle, pathetische Sexualität, die Schlaflosigkeit des Verlassenseins, die großen Lebendigkeitsgefühle also verknüpften sich mit seinen Liedern.
Wenn man andere kennenlernte, die den kleinen Popstar auch toll fanden, erzählten sie ähnliche Geschichten. Und gestern, beim wunderschönen Soft-Cell-Reunion-Konzert in der Columbiahalle, als ungefähr alle den gesamten Text von „Where did our love go“ mitsangen, als alle dann ihr ganz persönliches „Hold me, hold me, hold me“ bei „Torch“ herausriefen, war man sich sicher, dass es ihnen ähnlich geht, wie einem selbst und hatte plötzlich so ein solidarisches Gefühl.
Es war nicht irgendein Konzert, es war auch nicht nur – was ja auch schon viel sein könnte – die Re-Union-Tour von Soft Cell nach 17 Jahren und fünf Alben Anfang der 80er, es lag keine wohlig selbstzufrieden sentimentale Stimmung in der Luft wie bei anderen Altstar-Auftritten. Es war jetzt, auch wenn das größte Glück letztlich bei den Klassikern vorbeikam: Torch; Bedsitter; Say hello, wave goodbye; dem großartigen „Tainted Love/ Where did our love go“ natürlich, vor dem man sich ein bißchen auch gefürchtet hatte – kann er das noch spielen, ich meine authentisch irgendwie, ohne dass es auf Lüge und einen augenzwinkernden Selbstbetrug zwischen Publikum und Sänger hinausliefe.
Sie konnten es. Sie spielten in der zweiten Zugabe sogar das unbekanntere „Martin“, diese verstörende Geschichte des jungen Mannes, der in seiner Fantasie lebt, zuviel Bücher liest, halluziniert und von seinem Tod träumt.
Nochmal anfangen: das Licht war großartig so discomäßig; die Bühne sah aus wie ein Reversi-Spielfeld, Dave Ball hielt sich still die ganze Zeit im Hintergrund während Marc Almond da vorne sang und ein schwarzes T-Shirt trug, auf dem stand „too fast to live/ too young to die“. Erwartungsgemäß hatte er mit „Memorabilia“ von dem zweiten Soft-Cell-Album „Non-Stop Ecstatic Dancing“ begonnen. „The first three Soft-Cell-Albus were all really albums that were just done around Ecstasy and the whole E-feeling“, hatte Marc Almond mal gesagt. Die Musiker hatten die Droge ’81 in New York kennengelernt. Auf „Memorabilia“ singt die Dealerin aus Brooklyn, die ihnen die Pillen besorgt hatte, einen Rap, den Marc Almond leider vergeigte, in der Mitte schon, nach „We can take a pill and shut our eyes and let our love materialise; I don’t mean love on a chocolate box, I mean love that really rocks“ plötzlich abbrach.
Der Sänger schien anfangs nervös, war sich seiner Wirkung noch nicht so ganz sicher und legte seine Nervosität eigentlich erst nach den neuen Stücken, nach einem Drittel des Konzerts ab, als die Lieder kamen, die alle kannten. Ab „Torch“ konnte er dann machen, was er wollte, es war schön, es war groß und auch prima, dass er eben nicht mit Winke, winke, Feuerzeugen, glitzernden Tränchen in den glücklichen Augen, also bei „Say hello, wave goodbye“ Schluß machte, sondern dass mit „Sex dwarf“ endete. „Thank you, you Sex dwarfs!““