vonlottmann 04.12.2008

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… nein, nur ein weiterer Bericht darüber, ein alter, im Rahmen der Debatte ‚FAZ blog und Fernsehkritik‘. Nach dem großen Echo, das der gestrige Eintrag hervorrief (also der ins Netz gestellte Text ‚Der große Charity Schwindel‘ über den Blödsinn von Preisverleihungen, in diesem Fall der ‚Cinema for peace award‘), auf vielfachen Wunsch gleich noch ein Beispiel. Bleiben wir gleich beim Wort ‚Echo‘. So heißt nämlich auch ein Medienpreis, einer von ca. 365, und er wird jedes Jahr an die Gruppe ‚Tokio Hotel‘ vergeben. Ich berichtete darüber in der Süddeutschen Zeitung:

Echo Verleihung in Berlin

VON JOACHIM LOTTMANN

Diese alten Menschen mitten im Terrain der Jugend, diese Perversen, das hat mich immer schon abgestoßen. Diese ewigen Ralph Siegels und Katja Epsteins: brrr! Das war schon vor zehn Jahren, vor zwanzig, vor – ja, wann hat es eigentlich angefangen? Daß solche fetten Hausmeister-Typen wie Grönemeyer in Jugendsendungen auftraten und verlogener charity das Wort redeten? Bleiben wir einfach beim Samstag, dem Tag also, als der Papst starb. Genau zu der Zeit wurde der sogenannte ‚Echo‘ verliehen, angeblich der zweitwichtigste Musikpreis der Welt. Nach dem ‚Grammy‘, der sicherlich kaum besser ist. Dieselbe verlogene Scheiße, wenn Sie mich fragen. Industrie-Dreck von alten Säcken, gemacht für sie selber, aber falsch etikettiert als ‚angesagte Musik‘.
Zur Realität: Das abgelaufene Jahr war das Jahr der jungen deutschsprachigen Musik. Es war phänomenal. Nie zuvor hatte es das gegeben: dass deutsche Gruppen mehr verkauften als englische. Stichwort Silbermond, Juli, Wir sind Helden, Dresden Dolls, all die anderen. Würden trotzdem wieder Ladenhüter wie Peter Maffay, Udo Jürgens oder gar noch ältere die Preise ‚abräumen‘? Erneut Katja Epstein? Immer noch Rex Gildo, posthum? Oder so ein Depp wie Gildo Horn? Oder Schnappi das Nilpferd? Ich ließ mich gern überraschen, was die alten Kulturbetriebler diesmal für zeitgemäß hielten.
Als erstes wird Antja Vollmer, die Alterspräsidentin des Bundestages, begrüßt. Der Papst lebt zu dem Zeitpunkt noch, warum nicht auch sie. Dann Klaus Wowereit, der Bürgermeister. Der Saal ist übrigens riesig, faßt tausende von Krawatten- und Anzugträgern, weißhaarige Burschen zumeist wie im Parlament. Selbst die ‚jungen‘ unter ihnen sind über 30 und stecken in speckigen schwarzen Kombinationen wie Blutwürste in der Pelle. Nirgendwo Farbe. Als einer in einem bordeauroten Anzug auftaucht, lachen die Fotografen. Überhaupt die Fotografen: Sie ersetzen die Jugend komplett. Sie kreischen bei jedem Promi wie früher die Mädchen bei Robbie Williams.
Die einzige authentische junge Person ist Yvonne Catterfeld. Diese Augenstellung! Sie ist wirklich nett. Doch wenige Sekunden später taucht schon Thomas Gottschalk in Ledermontur auf. Lange Haare, jung geblieben wie 1972. Avril Lavigne, 22, die letzte Pubertierende des Erdballs, ist zwar nominiert, wird aber mit keinem Wort mehr erwähnt (fix rausgewürfelt). Millionen Fans unter Schülerinnen? Unwichtig! Kein Argument gegen Peter Maffay! Die Kamera fängt sein stoisches Indianergesicht immer wieder ein, als wäre er als Konrad Adenauer wiederauferstanden.
Natürlich gewinnt den ersten ‚Echo‘ die mit Abstand scheußlichste Person aller Zeiten, ‚Anastacia‘, sprich: anästeyischia. Ein blutleerer Brüllelefant ohne Hirn. Röhrt wie ein Hirsch, kann aber eine Zeitung weder von vorne noch von hinten lesen. Die abgefuckte Alte sieht aus wie 45, wie die dominante Mutter vom Wowereit, der wiederum wie 25 aussieht. Gott, was für ein Haufen! Was hat das alles mit Jugendkultur zu tun? Na alles, aber mit Jungsein nichts.
‚Live act‘ bedeutet hier peinlichstes play back. Nena singt ihren neuesten Song, im Zebra-Minikleid, bewegt sich wie eine 17jährige. Das macht sie aber so umwerfend komisch und raffiniert, daß ich sie zu den drei Pluspunkten des Abends rechne. Die anderen beiden: der Auftritt Ulf Pochers und der des Kabarettisten Mittermeier. Tatsächlich ist ja das Potential so groß wie nie. Man läßt sie nur nicht ran, die Jungen. Als ‚Silbermond‘ am Ende einmal danke sagen dürfen, spürt man, welcher Stromschlag augenblicklich in die toten Fernsehkästen rast. Es ist, als reiße der Schleier der Gerontokraten für Minuten auf, als verbrennten sich die
Reinhard Mays (nominiert), Westernhagens (spielte seine neue Single), Phil Collins (nominiert), Marianne Rosenbergs und so weiter die gierigen Finger. Elende Krämerseelen! Von denen hat keiner eine Idee, eine Aura, ein Herz – und schon gar keine Bedeutung. Da steht keiner für etwas, außer natürlich für das Alter, also Beharrung, Stillstand, Denkverbot, Repression. Es ist Mist, was sie uns hinhalten! Warum sagt das keiner? Seit 35 Jahren dürfen sie dröhnend auf der Stelle treten, und niemand ist da, der mit dem Finger auf sie zeigt und „Aufhören!“ ruft.
Das Publikum ist stattdessen total mau. Keinerlei Resonanz. Tödlich! Der Moderator Oliver Geissen ist freilich keiner, der das Eis zum Schmelzen bringt. Ein KFZ-Verkäufer, keine Spur jugendlich oder gar charmant, nur abgewichst und unsympathisch. Einfach ein weiterer korrupter, schlechter Mensch, wie fast alle im Saal. Außer Barbara Schöneberger natürlich.
Echo für Echo wird verliehen. Andrea Berg, 45, gewinnt einen. Sie tritt halbnackt auf, ein handbreiter Minirock und ein offenes Top, schmettert maskulin ins Mikro: „Ich widme diesen Echo einem ganz besonderen Menschen: meinem Produzenten!“ Das haben vor ihr schon andere getan und tun nach ihr einmütig alle: Sie danken ihrem Produzenten, ihrer Produktionsfirma, ihrem Management und ihrer PR-Abteilung. Klar, weil es schließlich alles ein Werk dieser Spießer ist, was sie da vortragen. Ein schriller Zynismus eigentlich, daß all diese Marionetten immer wieder als ‚Künstler‘ tituliert werden an diesem Abend, meist mit dem Adjektiv ‚wunderbarer Künstler‘. Das Wort ‚wunderbar‘ wird inflationär oft gebraucht. Ein zweites Adjektiv fällt den Moderatoren wohl partout nicht ein zu den Zombies. Muß man verstehen.
Peter Maffay hat den längsten Act. Lederhose, offenes Hemd, 60 Jahre. Auch die Mitstreiter sind kaum jünger. Tattoos überall, Ketten, esoterische Zeichen, Schwarzhemden – der Geschmacksfaschismus der Ewiggestrigen sozusagen. Die immer gleichen Riffs, in 30 Jahren nicht einen Ton dazugelernt. Wer soll da klatschen, wer soll da kreischen? Wieder nur die Fotografen, später, wenn sie ihr Bild brauchen. Es sind Hunderte da, Hunderte auch von schreibenden Journalisten, aber wieder wird nicht einer einen einzigen Satz schreiben, der lesenswert wäre. Verkommene Gesellschaft!
Dann Aneet Louisan, Großväterchens Liebling. Wenn die 45jährigen heute wie 35 daherkommen, so die 17jährigen wie 7jährige: „Ich will doch nur spieln, ich tu doch nichts…“. Schwamm drüber (sie gewinnt gleich mehrere Echos). Hansi Hinterseer ist nominiert, die Höhner auch. Das sind die Jecken, die an Karneval diese Sendungen „Höhner – die ersten 30 Jahre“ bestreiten. Hansi Hinterseer ist jünger, ein kraftstrotzender Bergfex von höchstens 50. Dann die Kastelruther Spatzen, dann die Randfichten. Und die Beastie Boys, direkt aus der Familiengruft geholt. Die sollen gerade erst in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts hip gewesen sein. Auch Rammstein wird nun entdeckt, zehn Jahre zu spät, und die Boehsen Onkelz, 15 Jahre zu spät. Doch nun kommt das Irrste: Al Green ist doch tatsächlich angereist. Ja, genau, der 20jährige Superstar aus USA! Die heißeste Sache weltweit – aber er wird nicht erkannt, nicht beachtet. Kein Fotograf schreit. Und als dann doch alle schreien wie am Spieß, dreht sich Al Green lächelnd zu der Meute und sieht, daß sie nicht ihn, sondern Jenny Elvers meinen, die zufällig hinter ihm steht.
Das ist der Echo, besser kann man es nicht zeigen. Die Ärzte sind natürlich wieder nominiert, sodaß irgendwann nur noch die Toten Hosen fehlen. Udo Jürgens quakt wieder am Klavier und danach noch lange ins Mikro. Schade, der Mann hat eigentlich ein gutes Gespür für die Jugend. Insgeheim findet er sich und seine Rolle hochnotpeinlich. Als er einmal mit der russischen Lesbengruppe tATu in eine Talkshow gesperrt wurde, war er als einziger von den originären 19jährigen angetan. Es tat ihm ersichtlich weh, wie Gottschalk den üblichen grienenden Altersspott über sie ergoß. Aber jetzt ist wohl eh alles egal, die Pferde gehen mit ihm durch, mit Udo Jürgens, und er hält eine endskrass ödende Laudatio auf irgendeinen Musikindustrie-Knecht, der Musicals von Anrew Lloyd Webber ins Deutsche übersetzte. Einen Knilch von mindestens 70, schlohweiß das Haar, unsexy die Goldrandbrille. Der absolute Tiefpunkt ist erreicht. Schlimmer gehts nun nimmer. Genau in dem Moment stirbt der Papst. Die Erlösung.
Das Fernsehen bricht die unmuntere Sendung augenblicklich ab. Doch hoppla – eine After-Party ist ja noch auf dem Programm. Die müßte nach dieser Logik natürlich erst recht abgesagt werden. Aber nein, die Party ist wohl unverzichtbar. Ich merke schnell, warum. Weitere Heerscharen von Senioren strömen nämlich herbei. Es müssen auf jeden Fall mehrere Tausend sein. Vielleicht Leute, die für die Verleihung keine Karten oder VIP-Ticket kriegten und nun erst recht die Prominenten sehen wollen. Aber die Prominenten sind natürlich längst weg, jedenfalls die halbwegs guten. Geblieben ist wieder nur Ralph Siegel, Katja Epstein, Jenny Elvers und so weiter. Siegel ist kein schlechter Mann. Einer der wenigen über 60, bei denen ich gern einmal Gast beim Abendessen wäre. Auch daß er ein viel zu junges weibliches Sexualobjekt vor sich herschiebt, sozusagen Hand an die sexuellen Ressourcen des Landes legt, die Jugend beklaut, der alte Schlawiner, finde ich besser als die unfitte Art der anderen Bonzen. Nur meine ich, daß er für jede andere Führungsaufgabe im Lande besser geeignet wäre.
Die Party ist natürlich furchtbar. Den Tod des Papstes stört keinen – genau das ist so furchtbar. Sie finden den Gestorbenen nur lächerlich, nicht der Rede wert. Weil er das hat, was sie am meisten verabscheuen: Meinungen, eine geistige Haltung, einen Widerstand zum totalen Konsumismus. Für sie ist das ‚alt‘. Dabei ist es jung, und sie, die jetzt mit viel Appetit in die Lachscroissants beißen, sind viel älter als der Papst. Keinerlei Jugend ist noch anwesend, das versteht sich ja von selbst. Buchhalter, angegraute Agenturleute, Werber, die Vertriebsmanager der Phono-Branche und so weiter. Wohl gut zehn erlesene Buffetts vom Feinsten künden von der Protzsucht der Veranstalter (u.a. RTL), allein das Catering muß Millionen verschlungen haben. Auf wessen Kosten schlagen sich eigentlich all diese verbiesterten Büro-Gesichter die Bäuche voll? Etwa auf Kosten der Jugendlichen, die die CDs kaufen sollen? Brennt bloß schwarz weiter, Kinder!
Wenigstens wird keine Musik gespielt. Was das wohl für eine gewesen wäre! Auf jeden Fall Rammsteins gerade mehrfach echogekröntes Lied. Das geht so: „Ich habe keine Lust… ich habe keine Lust… es ist so kalt… es ist so kalt!“
Das ist Deutschland. Das alte.

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