vonHans Cousto 10.01.2011

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Am 1. Januar 2011 trat in Ungarn ein neues Mediengesetz in Kraft, das von Politikern aus vielen anderen Ländern scharf kritisiert wurde und nun auf seine Vereinbarkeit mit europäischen Regeln überprüft werden soll. Doch nicht nur die Medienpolitik der vom »Ungarischen Bürgerbund (Fidesz)« kontollierten Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orbán geriet in die internationalen Kritik, sondern auch die geplanten Änderungen in der Drogenpolitik.

Nationale Drogenstrategie 2010-2018 wird nicht umgesetzt

Zu Beginn des Jahres 2009 initiierte der ungarische Minister für soziale Angelegenheiten eine groß angelegte öffentliche Diskussion zur Ausarbeitung einer nationalen Drogenstrategie für die Jahre 2010 bis 2018. In die Beratungen wurden alle größeren Dinstleister im Bereich der Drogenhilfe sowie diverse NGOs einbezogen. In einem von der Regierung eingerichtetem Forum konnte jeder Bürger den Stand der Debatte kommentieren. Zudem berief das Nationale Institut für Drogenprävention ein internationales Beratergremium ein, dem führende Wissenschaftler und Forscher angehörten wie Peter Reuter (RAND), Maurice Galla (Europäische Kommission), Wolfgang Goetz (EMCDDA) und Sandeep Chawla (UNODC). Nach einer langen öffentlichen Diskussion wurde das Ergebnis, ein Konzept für eine nationalen Drogenstrategie, vom Parlament im Dezember 2009 positiv beurteilt und abgesegnet. Die damalige Oppositionspartei Fidesz kritisierte die hohe Gewichtung, die der Schadensminderung beigemessen wird, und bemängelte die zu geringe Gewichtung der Primärprävention.

In den Parlamentswahlen im April 2010 gewann die Fidesz eine große Mehrheit im Parlament und bildete in der Folge eine neue Regierung. Im Oktober 2010 bestätigte der Repräsentant des Ministeriums für Nationale Ressourcen (NEFMI), Kristóf Téglásy, gegenüber dem regierungsamtlichen Komitee für Drogenfragen (KKB), dass die Regierung den Plan der nationalen Drogenstrategie umsetzen wolle und dass der nationale Drogenkoordinator, Péter Portörő, im Amt bleiben solle. Im Dezember 2010 jedoch, beim nächsten Treffen des KKB, erklärte Téglásy in überraschender Weise, dass die ausgearbeitete nationale Drogenstrategie 2010-2018 »inakzeptabel« sei und dass die Regierung eine neue Drogenstrategie ausarbeiten werde. Wenige Tage später wurde der nationale Drogenkoordinator Péter Portörő sowie drei seiner Mitarbeiter entlassen.

Die nichtregierungsamtlichen Mitglieder des KKB drückten ihr Bedauern bezüglich dieser Entscheidung aus, da sie ohne Einbeziehung von Fachleuten getroffen wurde. Aus Protest verließen sie die Sitzung.

In Ungarn gibt es vier Dachorganisationen, welche die professionellen Arbeiter in der Prävention, Behandlung und Reduzierung von drogenbezogenen Problemen repräsentieren: die Ungarische Gesellschaft für Suchterkrankungen (MAT), die Ungarische Gesellschaft der NGOs für Drogenprävention und Schadensminderung (MADÁSZSZ), die Ungarische Gesellschaft für Schadensminderung und der Bund der ungarischen Institute für Drogentherapie (MADRISZ). Diese vier Organisationen haben am 21. Dezember 2010 folgenden offenen Brief an die ungarische Regierung geschickt:

»Die vier Dachorganisationen, welche die professionellen Arbeiter in der Prävention, Behandlung und Reduzierung von drogenbezogenen Problemen repräsentieren, sind sehr überrascht von der Entscheidung der Regierung, die derzeitige nationale Drogenstrategie zu denunzieren und eine neue vorzubereiten. Wir drücken hiermit unsere Sorge aus, dass diese Entscheidung ohne die Beratung durch professionelle Organisationen geschehen ist: Sie wurde nicht einmal mit dem höchsten Beratungskommittee der Regierung, dem Drogenkoordinierungskommittee (KKB) abgesprochen. Sie wurde nur als Ultimatum angekündigt.

Es ist insbesondere alarmierend, dass während die finanziellen Ressourcen für Interventionen im Drogenbereich – im Vergleich zum Vorjahr – halbiert wurden und dass das Land effektiv ohne arbeitende Drogenkoordinierungseinheit und ohne Drogenstrategie da steht. Alles dies passiert, während Ungarn die Präsidentschaft der Europäischen Union übernimmt.

Der Annahme der derzeitigen nationalen Strategie zur Drogenbekämpfung (2010-18) war ein umfangreicher Konsultationsprozess vorausgegangen, mit der Teilnahme von Vertretern der verschiedenen Fach- und Dienstleistungsunternehmen, internationalen Experten und durch eine öffentliche Online-Konsultation der Zivilgesellschaft. Ein Konsens-Dokument wurde erstellt, dass in vollem Einklang mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen, mit den internationalen Empfehlungen zur Drogenpolitik sowie mit der Drogenstrategie der Europäischen Union, steht. Die nationale Strategie zur Drogenbekämpfung ist nicht eine Sammlung von Dogmen, im Gegenteil, sie enthält Grundsätze und Ziele in Übereinstimmung mit unseren wissenschaftlichen Erkenntnissen und dem Ziel, Leben und Gesundheit zu bewahren. Wenn die Drogenstrategie für die Regierung inakzeptabel ist, unterstellt sie auch, dass die Ansichten der mitarbeitenden Professionellen und Organisationen ebenso inakzeptabel sei, wie auch die EU-Strategie zur Drogenbekämpfung der 27. Mitgliedsstaaten.

Wir stehen auf für die Prinzipien der Drogenstrategie – dem Respekt der Menschenrechte und der menschlichen Würde, dem gleichen Zugang zu Behandlung für alle Menschen, das Recht auf Gesundheit, die Priorität auf wissenschaftliche Fakten, Partnerschaft und gemeinsame Aktionen, umfassende Ansätze und Nachvollziehbarkeit – da dies die Eckpunkte einer verantwortlichen nationalen Drogenstrategie sind.

Wir glauben, dass die Erhaltung des Lebens und der Respekt für die freiheitlichen Rechte nicht konträr, sondern unterstützend wirken und untereinander verwoben sind. Wir können Drogenprobleme nicht lösen ohne den Respekt vor den angeborenen Menschenrechten und der Würde des Menschen.

Deswegen prangern wir alle Bemühungen als irrational und unverantwortlich an, die versuchen, die professionelle Gemeinschaft und Gesellschaft entlang ideologischer Frontlinien zu spalten – anstelle adäquate Ressourcen und politische Unterstützung zur Verfügung zu stellen, um eine nationale Drogenstrategie einzuführen, die durch den professionellen Konsens getragen wird.

Wir betonen, dass der Mangel einer effektiv arbeitenden Drogenstrategie mit genügend finanziellen Ressourcen und professioneller Unterstützung die Prävention, Behandlung und Rehabilitierung sowie die Schadensminderung unterminiert und als Konsequenz die Schäden nicht nur als Geldwerte gezählt werden können, sondern auch in Menschenleben.

Wir verlangen von Minister Miklós Réthelyi und Vizepremierminister Tibor Navracsics die Gespräche mit Repräsentanten der professionellen Organisationen wieder aufzunehmen und zurück an einen Tisch zu kommen bei einer Sondersitzung des KKB um die Situation und zukünftige Schritte der Regierung zu diskutieren. Weiterhin fordern wir die Regierung auf, adäquate finanzielle Ressourcen zur Verfügung zu stellen um die überlebenswichtige Dienste in Ungarn zu erhalten.

Budapest, 21. Dezember, 2010 «

Gleichzeitig startete das Netzwerk der vier oben benannten Organisation eine Petition für wissenschaftsbasierte Drogenpolitik in Ungarn, zu deren Unterstützung auch »Hungarian Civil Liberties Union (HCLU)« sowie die »European Coalition for Just and Effective Drug Policies (ENCOD)« aufgerufen haben.

Kennzeichen psychotischer Störungen

In dem Buch »Party-Drogen« von Bernhard van Treeck (Berlin 1997) schreibt der Diplompsychologe Hans Ulrich Gresch aus Nürnberg im Kapitel »Partydrogen und Psychosen« auf S. 63 zu den Kennzeichen psychotischer Sörungen:

»Falsche Überzeugungen. Die Betroffenen sind fest von Sachverhalten überzeugt, für die es keinerlei Beweise gibt, die oft sogar der Erfahrung widersprechen. Dabei ist die Fehleinschätzung nicht auf aktuellen Drogeneinfluss zurückzuführen. Die Betroffenen sind rationalen Argumenten nicht zugänglich. Sie lassen sich auch nicht überzeugen, wenn andere über die Sachlage offensichtlich genauso so gut [oder besser] informiert sind wie sie selbst.«

Diese Kennzeichen treffen erstaunlich präzise auf das Verhalten vieler konservativer Politiker im Bereich Drogen zu – nicht nur in Ungarn. So gab es unlängst ein ernsthaftes Problem zwischen Wissenschaft und Regierung in England bezüglich der Drogenpolitik. Nachdem der Leiter des Beratungsteams zum Missbrauch von Drogen (Advisory Council on the Misuse of Drugs, ACMD), David Nutt, im Oktober des vorletzten Jahres aufgrund seiner wissenschaftliche Untersuchungen entlassen wurde, traten in der Folge sieben weitere Wissenschaftler aus dem Beratungsteam der Regierung aus Protest von ihren Ämtern zurück. Die Regierung weigerte sich einfach, die Erkenntnisse der Wissenschaftler in ihre Politik einzubinden. Wissenschaftliche Erkentnisse sind seitens der amtlichen Drogenpolitik offenbar weder in Ungarn noch in England erwünscht. Die Fundamentalisten führen hier wie dort offenbar weiterhin die Regie. Offenbar stört das die Regierungen der EU-Länder nicht sonderlich, denn ein Protest wie nach Planung und Einführung des neuen Mediengesetzes in Ungarn ist bezüglich der Drogenpolitik bisher nicht wahrzunehmen gewesen.

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https://blogs.taz.de/ungarische_drogenpolitik_geraet_in_schieflage/

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