vonSchröder & Kalender 30.11.2008

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Es ist neblig, wir sehen nicht, wie der Bär flattert.
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Der Erzähler Heinz-Jörg Peter Kuper ist am 25. November im Alter von 72 Jahren gestorben. In Frankfurt a. M. kannte man ihn nur als ›Hamlet‹, das ist auch der Titel seines Buches, welches 1980 im März Verlag erschien.

Es ist die Geschichte eines schwererziehbaren Kindes aus gutbürgerlichem Hause, eines Autodiebs aus manischer Leidenschaft für alles Amerikanische. Es ist die Geschichte eines Knastrologen, Matura-Mord und Frankfurter Halbwelt inklusive. »Ob man ein solches Buch Literatur nennen darf«, schrieb Christian Schultz-Gerstein im ›Spiegel‹, »darüber müssen sich die Leute den Kopf zerbrechen, die sich nur jene Literatur wünschen, von der Gaston Salvatore schreibt: ›Die Angst, die in der Luft liegt, kehrt in der Literatur wieder als die Angst, das Falsche zu sagen.‹ Das seltene Gegenstück zu solchen Büchern ist Peter Kupers ›Hamlet‹.«

Ich kannte Hamlet zunächst nur als komische Szenefiigur, die durch die Frankfurter Halbwelt geisterte, ein langes Elend: »Ich bin einsdreiundneunzig groß«, teilte er jedem ungefragt mit. Und weil er als Kind hellblondes Haar hatte, ließ er es später bleichen. Lange grellblonde Flusen unter einem schwarzen Hut, dicke blaue Gläser im Ray-Ban-Gestell, und wie Franco Nero als Django trug er einen langen Leinenflattermantel. Dieser dürre, gebeugte Mensch in pittoreskem Aufzug hatte einen merkwürdigen Gang. Später erfuhr ich von Hamlet, daß er sich diesen »Tigergang« angewöhnt hatte, weil ihm als Knabe der wiegende Schritt der schwarzen G.I.s so imponierte. Damit nicht genug, dieser Ausbund regredierter Phantasie führte auch noch einen falbfarbenen Afghanenhund an der Leine.

Zum ersten Mal sprach mich Hamlet etwa 1977 im ›Dominique‹ an, einem Szenelokal in der kleinen Bockenheimer neben dem ›Jazzkeller‹. Während ich eine Freundin begrüßte, die mir ihren neuen Freund vorstellte, blies mir ein warmer Atem wie aus Pferdenüstern ins Ohr: »Kurz nach Anbruch der Morgendämmerung betrat Kapitän Hornblower das Achterdeck der ›Lydia‹ …« Es hatte etwas von einem Zauberspruch, ich war für eine Sekunde perplex, drehte den Kopf zur Seite, da schwebte über mir dieses Gesicht mit blauen Brillengläsern, umrahmt von grellblondem Haar, und die dicken Lippen sprachen: »Das ist von Cecil Scott Forester aus der ›Hornblower-Trilogie‹. Ich hab’ die Bücher fünfmal im Knast gelesen, deshalb kann ich die Stelle auswendig.« Er begann, mir seine Lebensgeschichte zu erzählen und ich versprach ihm: »Vielleicht machen wir mal ein Buch miteinander.«

Tatsächlich wurde etwas daraus. Wir fuhren 1979 nach La Rochelle, dort erzählte mir Hamlet sein Leben. Es waren viertausend Seiten Rohtext. Anfang 1980 las sich das bearbeitete Manuskript dann so, als habe keiner jemals einen Finger an den Text gelegt. Ich gab die fünfhundertfünfzig Seiten an Franz Greno, der stellte das Buch her. Nun war es Zeit, den Erzähler zu informieren, ich rief Hamlet an: »Du kannst am Wochenende kommen.« Er fuhr mit der Bundesbahn nach Fulda, ich holte ihn vom Bahnhof ab und gab ihm den gesetzten Text: »Hier, aus diesen Korrekturfahnen wird später Dein Buch umbrochen, lies sie und sag mir, was du davon hältst.«

Er fing morgens um elf an mit der Lektüre. Ab und zu ging ich neugierig runter in die Küche, um ihn vom Flur aus beobachten zu können, wie er auf dem Streifensofa im Wohnzimmer saß und mit sich selbst redete: »Ja, ja, ja! Das stimmt!« Nachmittags kamen meine Töchter Katinka und Susanne, die damals so elf und zwölf Jahre alt waren, nach oben zu mir ins Büro und fragten: »Was hat denn der Hamlet? Er lacht dauernd so komisch und manchmal weint er auch.« »Der liest ein Buch über sein Leben, und das war eben komisch und traurig.« Abends, als Peter die letzte Fahne beiseite gelegt hatte, sagte er zu mir: »Ja, Jörg, genauso ist es gewesen.«

Peter Kuper, ›Hamlet‹. Bearbeitet und herausgegeben von Jörg Schröder. 556 Seiten, Leinen, März Verlag 1980. (Im Herbst 2011 erscheint eine Neuausgabe in der MÄRZ-Edition der Büchse der Pandora.)

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(BK / JS)

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