vonDetlef Guertler 25.11.2008

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“Unterlastung = das Gegenteil von Überlastung” schlägt Wortistik-Leser Quarktasche vor. Damit ist er zwar nicht ganz der erste, der auf dieses Wort kommt: 1200 Treffer verzeichnet Google dafür. Aber rein quantitativ steht es etwa 2000 : 1 für die Überlastung: Mehr als 2,5 Millionen Treffer fährt sie bei Google ein. Handelt es sich hier um ein Missverhältnis, oder ist die so viel stärkere Stellung der Überlast gerechtfertigt?

Es gibt sicherlich Bereiche, die hat die Überlastung exklusiv. Wenn beim Schach eine Figur zwei Deckungsaufgaben gleichzeitig erfüllen muss, ist sie überlastet, aber sie ist nicht unterlastet, wenn sie überhaupt keine Deckungsaufgabe hat. Nicht überall, wo eine Überlast konstatiert werden kann, kann ihr Gegenteil also als Unterlast bezeichnet werden. Die Unterlast ist als Begriff immer nur dann berechtigt, wenn sie ein Problem darstellt.

Aber davon gibt es wesentlich mehr, als gemeinhin so genannt werden. Das schwarze Loch, in das langjährig Beschäftigte nach dem Renteneintritt fallen, ist genauso ein klarer Fall von Unterlastung wie das leere Nest, vor dem Eltern stehen, wenn das letzte Kind ausgezogen ist: Plötzlich ist da so viel Zeit, und man weiß nicht wohin damit. Wer da sagt “Ich bin nicht ausgelastet”, gibt zum Ausdruck, dass das ja eigentlich kein Problem sein sollte, weil alle um einen herum ja immer nur stöhnen, weil sie so überlastet sind – aber vielleicht doch ein bisschen ein Problem für ihn ist. Der Satz “Ich bin unterlastet” macht hingegen deutlich, dass dieser Zustand nicht als positiv gilt, sondern möglichst schnell beendet werden sollte. Rein physiologisch ist der Unterschied zwischen diesen beiden Sätzen wohl, ob der Zustand geringerer Anforderungsdichte Stress auslöst.

Auch in der Ökonomie dürfte uns die Unterlastung demnächst häufiger begegnen. Schließlich ist es für Fabriken wesentlich hässlicher, wenn die Produktionskapazität zu wenig ausgelastet wird, als wenn die Kapazitäten überlastet sind. Natürlich ist auch das Wort hässlicher: Bei Überlastung stellt man neue Arbeitskräfte ein oder baut noch eine neue Fabrik neben die alte, und alle klopfen einem auf die Schulter. Bei Unterlastung muss man Leute entlassen und Anlagen stilllegen, und alle prügeln auf einen ein. Aber wenn die Lage hässlicher wird, werden es auch die Wörter: Wenn alles schrumpft, wachsen die Anwendungsmöglichkeiten für die Unterlastung.

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