vonGerhard Dilger 07.12.2009

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Am 18. September 1973 bestattete Joan Turner Jara ihren Mann zusammen mit zwei Freunden in aller Stille in einem schmucklosen Fach auf Santiagos Zentralfriedhof. Am Samstag kam die Engländerin mit ihren beiden Töchtern Amanda und Manuela zurück – in Begleitung Tausender, die fünf Stunden lang mit dem Sarg Víctor Jaras durch Chiles Hauptstadt gezogen waren. Mit seinen Liedern und vielen Fahnen machten sie den Trauermarsch zur bewegendsten Demonstration der letzten Jahre gegen das Grauen der Pinochet-Diktatur (1973-1990).

Zuvor hatten sich die ChilenInnen während einer zweitägigen Totenwache von Jara verabschiedet, darunter auch Michelle Bachelet. „Wir haben 36 Jahre dafür gebraucht“, sagte die sozialistische Präsidentin, „endlich kann er in Frieden ruhen. Doch es gibt noch viele andere Familien. Deshalb müssen wir vorankommen mit Wahrheit und Gerechtigkeit. Víctor Jara, presente!“

Víctor Jara, der auch Lehrer und erfolgreicher Theaterdirektor war, gehört zu den ganz Großen des lateinamerikanischen politischen Liedes. Der Kommunist unterstützte die Regierung der Unidad Popular unter Präsident Salvador Allende, sang in Bergwerken und Fabriken, vor Landarbeitern und Kindern der Elendssiedlungen.

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„Zwischen 1970 und 1973 arbeitete Víctor 20 Stunden am Tag“, erinnert sich seine Witwe. Doch gegen den Widerstand der chilenischen Rechten und die von US-Präsident Richard Nixon gebilligten Sabotageakte der CIA hatte der Traum eines demokratischen Sozialismus keine Chance.

Am 11. September 1973, dem Tag des Militärputsches, sollte der 40-Jährige an einer Universität singen. Doch stattdessen wurde er zusammen mit 600 Studierenden und Uniangestellten verhaftet und in das Chile-Stadion gebracht, das später im Gedenken nach ihm benannt wurde. Tagelang wurde er gefoltert, ein Luftwaffenoffizier zertrat ihm die Hände.

Der damalige Rekrut José Paredes, bislang der einzige lebende Angeklagte im neu aufgerollten Mordprozess, berichtete in diesem Jahr, vor der Erschießung Jaras hätten die Soldaten russisches Roulette mit ihm gespielt. Inzwischen hat Paredes widerrufen, doch die Suche nach dem »Verrückten« und dem »Prinzen«, zweien der verantwortlichen Offiziere, geht weiter. Jaras sterbliche Reste wurden im Juni 2009 exhumiert. Nach dem rechtsmedizinischen Gutachten von Ende November wiesen sie über 30 Knochenbrüche wegen Schusswunden auf.

Eine Woche vor der ersten Runde der chilenischen Präsidentenwahl am 13. Dezember sind die Feierlichkeiten für Jara ein Politikum besonderer Art. In den Umfragen liegt der Milliardär Sebastián Piñera vorne. Viele seiner Verbündeten von der Rechtsaußenpartei UDI waren im Militärregime aktiv.

Am Samstag zeigte nur der aussichtslose linke Kandidat Jorge Arrate vom Bündnis „Juntos Podemos“ (Zusammen schaffen wir’s) Flagge. „Jara war einer der größten chilenischen Künstler“, sagte der Christdemokrat Eduardo Frei, der ebenfalls kandidiert. Der junge Exsozialist Marco Enríquez-Ominami will das neue Grab nur „privat“ besuchen.

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