von 15.03.2011

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Ob sich die Fleischesser in Zukunft vor den Vegetariern dafür rechtfertigen müssen, dass sie Tiere umbringen? Spätestens seit „Tiere essen“ die Bestellerlisten erorbert hat, gehört mindestens ein Vegetarier in jeden guten Freundeskreis. Doch auch der Verzehr von Käse, Milch oder Eiern hat tödliche Konsequenzen für die Tiere, erzählte Christian Vagedes gestern im ersten Teil unseres Interviews. Christian ist Gründer und erster Vorsitzender der Veganen Gesellschaft Deutschland und für ihn ist der Vegetarismus nicht der richtige Weg zu einer besseren Gesellschaft.

Wie stehst du zu Aktionen wie dem Veggie Day – also einmal die Woche auf Fleisch zu verzichten und damit auch den Vegetarismus zu fördern?

Im Grunde genommen bin ich natürlich für alle solche Aktionen, aber ich fände es besser, wenn man den Leuten gleich reinen Wein einschenken würde. In anderen Ländern passiert das auch. In Amerika würde keiner auf die Idee kommen, die Menschen erstmal zu Vegetarien zu machen. Außer vielleicht jetzt Jonathan Safran Foer. Aber in Amerika ist vegetarisch eigentlich gleich vegan. In Australien gibt es zum Beispiel Aktionen wie easy vegan, bei denen die Menschen überzeugt werden, lieber vegan zu werden – und das betrachtet dort niemand als Problem. Ich glaube, dass dieses Vegetarische mit eingefahrenen Denkmustern zu tun hat, die in Europa entwickelt worden sind und möglicherweise auch durch Teile der Industrie eingepflanzt wurden. Man darf nicht vergessen, dass die Milch- und Eierproduktion heute parallel zur Fleischproduktion läuft.

Der Kaberettist Hagen Rether hat gefragt wie es sein kann, dass ein Mann wie Paul McCartney, der den Meatless Monday in England eingeführt hat und der schon jahrzehntelang Vegetarier ist, dass gerade er jetzt Werbung dafür macht, dass wir sechs mal die Woche Fleisch essen sollen. Das ist natürlich überspitzt und Kabarett, aber da steckt eine wichtige Botschaft drin. Ich bin mit ziemlich sicher, dass das nicht der richtige Weg ist. Rudolf Steiner hat mal gesagt, dass ein Reformwerk, das nicht aus dem Herzen, das nicht wirklich aus innerer Überzeugung gemacht wird, mehr Schaden als Nutzen bringen kann. Ich glaube, dass das stimmt.

Aber überfordert man die Menschen nicht, wenn man möchte, dass sie gleich vegan leben?

Ich glaube nicht, dass man die Menschen überfordert, weil die Alternativen ja schon da sind. Man muss den Menschen sagen, dass diese Möglichkeiten existieren, dass man sich daran gewöhnen kann und dass es total Spaß macht. Man fühlt sich auch einfach besser, mir hat es damals auch mental sehr gut getan Veganer zu werden – ich habe gleichzeitig auch seitdem kein Fernsehen mehr gesehen. Durch das Internet bin ich natürlich trotzdem über alles informiert, aber ich habe die Glotze einfach ausgemacht. Stattdessen haben wir Bücher gelesen. Auch körperlich fühle ich mich besser, tierisches Protein und Fett belastet den Körper total. Ich betrachte das wirklich nicht als Verzicht. Wenn man sich mal näher mit den Hintergründen beschäftigt, zum Beispiel was alles in einem Ei oder in Milch drin ist und wie es heute hergestellt wird – das sind fast völlig synthetische Produkte. Das hat auch mit Natur nichts mehr zu tun.

Und wenn man sich erst einmal zum Ziel setzten würde, die Massentierhaltung zu reduzieren?

Ich muss dir ganz ehrlich sagen, das widerspricht der kapitalistischen Produktionslogik. Es wird stets 30 % über die eigentliche Nachfrage hinaus geschlachtet. Eine minimale Reduktion des Konsums nichtveganer Produkte läuft somit ins Leere, während ein Totalausstieg aus dem Konsum nichtveganer Produkte am Markt durchaus spürbar ist und eine große Hebelwirkung hat. Lauthals propagierte Versuche, den Konsum ein bisschen einzuschränken, sind also Unsinn, während die komplette Einstellung des Konsums nichtveganer Produkte sinnvoll ist. Ich glaube es ist auch eine Unterstellung, dass jeder deutsche Haushalt jeden Tag bergeweise Fleisch essen würde. Ich glaube, das entspricht nicht der Realität. Ich weiß, dass meine eigene Familie nicht jeden Tag Fleisch isst und ich habe es früher auch nicht gemacht.

Du warst früher beim Vegetarierbund (VEBU) aktiv – wie kam es dann zur Gründung der VGD?

Ich habe das Corporate Design vom VEBU gemacht, da ich Designer bin. Ich bin aber nie Mitglied geworden, weil ich diesen Kuschelkurs gegenüber Nestlé nicht mitmachen wollte: Der VEBU hat Werbeanzeigen der Marke Gardengourmet abgedruckt, die zu Tivall bzw. Nestlé gehört. Diese Produkte enthalten sogar Ei aus konventioneller Haltung. Diese Werbeanzeigen druckt der VEBU bis zum heutigen Tag ab. Die Diskussion, die ich da angestoßen habe, wurde erstickt. Du kannst es einfach nicht erörterten, du kannst es nicht diskutieren. Und da Vegetarismus für mich nicht mehr zeitgemäß ist, müssen wir schauen, dass wir im 21. Jahrhundert einen konsequenteren Schritt gehen. Es war naheliegend, eine neue Organisation zu gründen, die keine Kompromiss eingeht. Warum sollen wir das machen? Wenn wir doch überzeugt sind, brauchen wir nicht so einen Spagat zu machen. Die Entwicklung der VGD ist faszinierend zu beobachten. Sie zeigt mir, dass der Bedarf da ist und dass die Zeit reif ist für einen Aufbruch.

Fotos: Pressematerial Vegane Gesellschaft Deutschland und Udo Taubitz

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