vondie verantwortlichen 30.05.2023

Die Verantwortlichen

Roland Schaeffer fragt sich, warum vieles schief läuft und manches gut. Und wer dafür verantwortlich ist.

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Wie frivol wirkte das damals, als ein deutscher Minister sich vor dem Scheich von Katar verbeugte. Ein Grüner noch dazu, gerade ins Amt gekommen, der im Nahen Osten Erdgas beschaffen musste, damit es im Winter nicht kalt würde in den deutschen Wohnungen und Heizungskellern. Aus dem mit Häme kommentierten Foto ist inzwischen eine Hasskampagne geworden und derselbe Minister zum Lieblingsfeind der populistischen Presse. Sein Gesetzentwurf, der Heizungen in deutschen Häusern unabhängig von fossilen Autokraten machen soll, war zwar schon im Ampel-Koalitionsvertrag angekündigt worden. Aber dass ein Minister damit Ernst machen könnte, dass Gesetze entstehen würden, die künftigen deutsche Regierungen solche Betteltouren ersparen sollen – wer konnte das ahnen?

Dass beides falsch, moralisch verwerflich und gesellschaftlich unzumutbar sei – das Beschaffen von Erdgas beim Scheich ebenso wie ein Heizungsumbau, der diese Beschaffung künftig überflüssig werden lässt – gehört zur Logik populistischer Kampagnen. Sich von solchen Logiken unabhängig zu machen, wäre die Aufgabe von Medien, regierenden Parteien und demokratischer Opposition, weil auch sie letztlich auf die Vernunft der Bürgerinnen und Bürger angewiesen sind. Stattdessen folgen sie seit Wochen einer Kampagnenlogik, die durch ihre inneren Widersprüche jede vernünftige Diskussion blockiert.

„Technologieoffenheit“ ist so ein Blockadewort. 75 Prozent aller Heizungen werden derzeit fossil betrieben: Mittels Ressourcen, die durch Importe ins Land geholt werden. Solche Importe werden zwar von privaten bzw. halbstaatlichen Unternehmen durchgeführt, doch vorbereitet, reguliert und organisiert werden sie in einer komplexen Zusammenarbeit staatlicher Institutionen. Vor 50 Jahren verwendete niemand Erdgas zum Heizen. Den modernen Heizungskeller, in dem „der Staat“ angeblich „nichts verloren“ hat, würde es ohne jahrzehntelanges aktives staatliches Eingreifen nicht geben. Das gilt nicht nur für den Import von Gas und Öl, sondern auch für die kollektive Nutzung der damit verbundenen Techniken und Geschäftsmodelle. Erst das privat oder kommunal betriebene Gasnetz, das die Nachbarn und den ganzen Stadtteil mitversorgt, macht „meine“ Gasheizung bezahlbar.

So individuell und kreativ ich mich in meinem Keller auch fühlen mag – er ist in Wirklichkeit doch nur ein winziges Teilchen der kollektiven Infrastrukturzwänge und geopolitischen Machtverhältnisse. Die „Heizungswut“ wird durch diesen Widerspruch offenbar eher gesteigert: All die superlauten „autonomen Individuen“ wissen um ihre dramatische Abhängigkeit – und verneinen sie umso heftiger. „Alleine“, wie manche Zweijährige zu sagen pflegen, konnten sie bisher entscheiden welches Angebot sie auswählen: Erdgas oder Öl. Aber jetzt schlägt der populistischen Logik zufolge die „Ökolobby“ zu und die ganze Freiheit ist weg. Dass diese Lobby nicht wie all die anderen Lobbys ihre finanziellen Eigeninteressen durchsetzen will sondern mehr Klimaschutz, das Gemeinwohl, also „moralische“ Ziele, macht es nur noch schlimmer.

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Der „Kulturkampf im Heizungskeller“ ist deshalb auch ein Kampf um die Rolle des Staates. Dass der „Heizungsmarkt“ zu 75 Prozent mit fossilen Brennstoffen beschickt wird, beruhte bisher auf der Kooperation der Unternehmen mit einem Staat, der bisher als Grarant zuverlässiger und „bezahlbarer“ Gas- und Ölimporte im Hintergrund agierte. Jetzt allerdings wollen sich Teile der Politik nicht mehr auf diese Rolle als Diener der bisher dominierenden Interessengruppen – derjenigen also, die mit Erdgas Geld verdienen – beschränken. Im „Spiegel“ stand kürzlich ein Bericht über die Fehler des Patrick Graichen. Als Beispiel wird beschrieben, wie Graichen bei einer Veranstaltung des Verbandes Kommunaler Unternehmen empfohlen habe, den Rückbau der Gasnetze im Lauf der nächsten Jahre schon jetzt konkret zu planen. Angesichts der Klimaziele der Bundesregierung ist das eigentlich selbstverständlich und schlicht seine Aufgabe. Aber dass ein Wirtschafts-Staatssekretär so etwas tatsächlich ausspricht? Graichen habe sich, so das Fazit der Spiegel-Leute, bei dieser Versammlung „viele Feinde gemacht“.

Der innovative Umbau von Infrastrukturen ist langwierig und komplex – und damit anfällig für populistische Kampagnen. Dass selbst ein tiefgreifender historischer Einschnitt wie die Wende zur Elektromobilität nicht politisch durchgesetzt wurde, war deshalb auch kein Zufall. Es war der Druck von außen, der dafür sorgte, dass in Deutschland und Europa tatsächlich über ein „Verbrenner-Aus“ diskutiert werden konnte – „grüne“ Argumente oder gar „Autofeindlichkeit“ spielten keine Rolle. In diesem Fall kam er aus China – der aufstrebende chinesische Industriestaat hat seine Chance auf Technologieführerschaft im Automobilsektor genutzt, er hat seine Ölimporte verringert und die katastrophalen Emissionen in den Großstädten beschränkt. Während die deutschen Hersteller die Verbissenheit, mit der sie jahrzehntelang jeden ökologischen Fortschritt abgewehrt haben, mit einem dramatischen Einbruch ihrer Weltmarktanteile bezahlen.

Bei den Heizungen gibt es eine solchen Druck von außen nicht. Es macht zwar wenig Spaß, wenn man bei Diktatoren einkaufen muss, und das plötzliche Ende der russischen Gaslieferungen ließ gar einen Moment lang den Gedanken an einen Winter ohne Heizungen aufkommen. Aber es ist gut gegangen, denn im Wirtschaftsministerium wurde hart gearbeitet. Könnte es also jetzt nicht einfach weitergehen wie zuvor, mit anderen Gaslieferanten und mit höheren Preisen? Vielleicht, wenn da nicht die Realität der Klimakrise wäre.

Die Grünen müssten „von ihrem hohen moralischen Ross herunterkommen“, so hat es der Vorsitzende der CDU kürzlich ausgedrückt. „Moralisch“ ist für ihn das Argumentieren mit der Klimakrise. Dass Robert Habeck den Gebäudesektor tatsächlich wegen der Klimaziele und des Paris-Abkommens umbauen will, anstatt sich wie seine Vorgänger mit ein paar Symbolaktionen und Forschungsprogrammen ein paar Jahre weiter zu retten, ist für Friedrich Merz ein Fall von moralischem Überschuss: Habeck und die Grünen berufen sich auf Klima, Weltbevölkerung und Menschenrechte – und vernachlässigen deshalb, so wird insinuiert, die Interessen der eigenen Bevölkerung. Es ist eine alte rechte Gedankenfigur, die er gegen Klimapolitik in Anschlag bringt. „Wer Menschheit sagt, will betrügen“ – so hat der Nazi-Jurist Carl Schmitt diese Form anti-universalistischer Polemik einmal zusammengefasst. Das war schon damals politischer Nihilismus. Inzwischen ist aus der fernen Menschheit eine sehr konkrete Wirklichkeit geworden, samt Welt-Klimakrise und dadurch vertriebener Millionenbevölkerungen. „Wer nicht Menschheit sagt, will betrügen“ müsste es deshalb heute heißen. Der Punkt, den Merz für die demokratische Opposition machen will, geht an die antidemokratische Rechte.

0,3 Prozent der globalen Emissionen sind den deutschen Heizungen geschuldet – lächerlich wenig, finden all jene, die auf Klimapolitik ganz verzichten wollen und lieber mit dem Finger auf die Emissionen anderer Länder zeigen. Wer die Verantwortung für die Folgen des eigenen Handelns übernehmen möchte, kann in dieser Zahl etwas ganz anderes sehen: Einen Hinweis, wie dünn der Faden geworden ist, an dem die globale Zukunft inzwischen hängt. Das Pariser Abkommen zielt auf genau solche kleinen Beiträge – und es setzt darauf, dass sie freiwillig erbracht werden. Dass Staaten handeln – im Vorgriff auf das, was andere Staaten dann tun oder lassen. Es folgt damit den ältesten moralischen Regeln überhaupt – dem Gesetz der Gastfreundschaft z. B. – die darauf setzen, dass derjenige, der Gäste aufnimmt und schützt, auch seinerseits damit rechnen darf, als Gast behandelt zu werden. Und auch dann entsprechend handelt, selbst wenn er oder sie sich nicht vorstellen kann, den eigenen Ort jemals zu verlassen.

Moral bedeutet, in Vorleistung zu gehen, auf das Risiko hin, dass andere nichts tun. Aber einen besseren Weg gibt es bisher nicht. Die Welt wird nicht nur viel politische und technische Klugheit brauchen, um die schrankenlose Erhitzung zu vermeiden. Sondern auch viel moralischen Mut.

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kommentare

  • sehr schoen sind moralische und philosophische Ansichten mit Tatsachen vermischt, so dass man Objektivitaet vortaeuscht. Man kann dieses Thema aber auch ganz anders diskutieren, mit Zahlen und Fakten, aber das ist unbequem, da muesste man nachdenken. Ich empfehle die youtube Reihe Energie und Klima von Prof. Gantefoer.

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