Seine erste Maßnahme werde sein, die Ausbauziele für erneuerbare Energien nach oben zu setzen und den Strombedarf im Jahr 2045 per Gesetz festzulegen. Von Dringlichkeit beim Klimaschutz wird, wenn man dem „Sieger“ des Triells vom Sonntagabend folgt, in Deutschland niemand etwas merken. Ein paar neue Ziele, ein paar Gesetztesänderungen – sonst bleibt alles, wie es ist. Wie also funktioniert die „Methode Scholz“ – angesichts brennender Wälder und gefährlicher Überschwemmungen? Und weshalb haben sich alle, die geglaubt hatten, so einer werde am Ende doch nur das Publikum zu Tode langweilen, so gründlich geirrt?
Ginge es nur um die Sache, also um Klimaziele, wirksame Maßnahmen und den zur Verfügung stehenden Zeitrahmen, würde seine Argumentation schnell in sich zusammenfallen (was er natürlich weiß). Nur geht es hier nicht um eine ExpertInnenfrage. Es geht um eine Methode zum Aufbau von politischem Vertrauen. Also um den möglichst effizienten Umgang mit einer doppelten Angst – der riesengroßen Angst angesichts der Klimakrise – und den zahlreichen diffusen Ängsten angesichts notwendiger Veränderungen.
Deshalb war es ein Kunstwerk, das Scholz vor aller Augen präsentiert hat. Eine perfekt inszenierte Aufführung, in der er den beiden Konkurrenten ihre Rollen zuwies. Die Grüne, Annalena Baerbock, nutzte er als Sprecherin für dramatische Klimarealität und beunruhigende Veränderungen. Um sich davon abzusetzen – alles wichtig, gewiss, aber so laut muss man nicht sein, auch nicht so jung (darf die das, die potentiellen SPD-Wählerinnen sind schließlich älter). Alles Konkrete ist ja zweifelhaft, muss sowieso noch einmal geprüft werden. Und den Schwarzen, Armin Laschet, der sich darauf beschränkte, die grünen Vorschläge zu kritisieren, verwendete er ebenso geschickt als negatives Gegenbild.
Die gut inzenierte paternalistische Vereinnahmung des Klimathemas und seiner VerfechterIn führt leicht dazu, dass seine eigenen Aussagen dazu übersehen werden. Klimaschutz sei ein „Industrieprojekt“ – also Angelegenheit von Unternehmen wie Thyssen-Krupp oder BASF, die dabei natürlich massiv staatlich gefördert werden müssen, damit sie im Gegenzug auf den Weltmärkten innovativen deutschen Wohlstand erwirtschaften könnten. Für die „normalen Leute“ hingegen ändert sich: Nichts. Allenfalls wird es etwas bequemer. Und wenn die Gegenmaßnahen gegen die Klimakrise so bescheiden ausfallen, können ja auch die Klimagefahren nicht so groß sein.
Es gibt also keinen Grund für Stress. Scholz persönlich, ein angemessen professionell erschöpft wirkender älterer Herr, verschluckt die doppelte Angst.
Wer Scholz als Hamburger Bürgermeister beobachten konnte, kennt das Muster. Schon damals verkündete er, Klimaschutz sei nicht Sache der Städte und ihrer BürgerInnen, sondern Sache der Industrie. Als die SPD, nach einigen schwarzgrünen Verwirrungen, im Jahr 2010 die absolute Mehrheit erreichte, schaffte sie zuallererst die „grünen“, weil auf den klimafreundlichen Stadtumbau zielenden Projekte ab. Die fertig geplante städtische Straßenbahn etwa (geplant vom örtlichen Verkehrsunternehmen), war bei manchen AnwohnerInnen der Neubaustrecken auf Kritik gestoßen. Also wurde sie gestrichen; stattdessen soll jetzt in den nächsten Jahren eine U-Bahnlinie unter der Alster durchgeführt werden, mit katastrophaler Klimabilanz. Den Volksentscheid, durch den die Stadt ihre Energienetze von Vattenfall-Konzern übernahm, bekämpfte der erste Bürgermeister mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln. Energetische Vorgaben für Neubauten, die über die Bundesregelungen hinausreichten, wurden abgeschafft. Stattdessen gab es ein „Bündnis für das Wohnen“ zwischen der Stadt und den Wohnungsbauinvestoren, das auf Energiestandards bewusst verzichtete. Auch Pläne, nach denen wenigstens die städtischen Unternehmen künftig im Passivhausstandart bauen sollten, wurden beiseite geräumt. Wie die vor zwei Jahren beschlossenen– radikalen, aber weit in der Zukunft liegenden – städtischen Klimaziele im Gebäudesektor erreicht werden sollen, weiß auch aus diesem Grund niemand, eine „Machbarkeitsstudie“ der Baubehörde liegt bis heute nicht vor. Die Scholz-Jahre waren für Hamburgs Klimabilanz keine gute Zeit, und sie wirken nach. Wie „die Industrie“ städtische Verkehrs- oder Gebäudeemissionen ausgleichen soll, ist ohnehin Desein Geheimnis.
Trotz alledem, oder vielleicht gerade deshalb, scheint Olaf Scholz aktuell für viele Menschen das (Beruhigungs-) Mittel der Wahl zu sein. Als Fortsetzung der entscheidungsarmen Merkel-Jahre und Chance auf die weitere Verschiebung der Probleme.
Entgegen dem Tenor vieler Kommentare wäre es deshalb eine Illusion zu glauben, ein Kanzler Scholz werde mutige Klimapolitik eher ermöglichen als ein Kanzler Laschet. Seine Überzeugungen in diesem Bereich sind festgefahren, er hält Klimaschutz einfach nicht für seine politische Aufgabe. Dass er in der Debatte gelegentlich grün blinkte, sollte niemanden täuschen, und manche Sätze kannte man seit langem aus Hamburger Reden. Scholz ist dafür bekannt, dass er von sich glaubt, die meisten Dinge ohnehin besser zu wissen und dass er Experimente hasst. Laschets Gleichgültigkeit gegenüber Detailfragen hingegen könnte auch bedeuten, dass er Dinge zulässt.
Zunächst aber steht die Wahl an, und die entscheidende Frage wird sein, ob es seinen KonkurrentInnen gelingt, sich aus der für sie vorgesehenen Rollenzuweisung zu lösen. Der ältere Herr, der sich da so schlau in der Mitte platziert, lebt von einer lebenslangen Erfahrung an der Spitze politischer Apparate. Aber darin liegt auch seine Schwäche, nicht nur wegen Cum Ex und der geklauten Steuergelder. Sondern auch wegen seiner Konzeption von Politik. Er versteht darunter die Platzierung von Gleichgesinnten, möglichst Parteimitgliedern, an den wichtigen Stellen und die Steuerung der Apparate von oben. Dass es Situationen gibt, die andere Schritte notwendig machen und dass ganz normale Menschen, die sehr verschiedene Dinge denken, selbst tätig werden wollen, z. B. weil sie die Klimakrise nicht mehr ruhig schlafen lässt, ist für ihn einfach kein Thema. Seine Sache ist Politik „für“, nicht Politik „mit“. Im Moment ist er im ängstlichen und risikoscheuen Teil der Gesellschaft damit erfolgreich.
„Im Moment ist er im ängstlichen und risikoscheuen Teil der Gesellschaft damit erfolgreich.“ Wobei man dazu anmerken kann, dass dieser kurzfristig risikoscheue Weg stark erhöhtes Risiko für die Zukunft bedeutet.