vondie verantwortlichen 26.05.2021

Die Verantwortlichen

Roland Schaeffer fragt sich, warum vieles schief läuft und manches gut. Und wer dafür verantwortlich ist.

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Vor einem Jahr standen die KlimaschützerInnen staunend vor der Entschlossenheit, mit der ihre Staaten die Pandemie bekämpften. Viele sahen plötzlich ein Modell für die Bewältigung großer Herausforderungen – auch und gerade der größten, der Klimakrise.

Geht doch noch mehr bei der Weltklimarettung? Maßstab der künftigen Politik wäre dann die CO2-Reduktion, anstelle von Inzidenzen und Intensivbettenbelegung. Politik und Staat, die sich um wirksame Maßnahmen schon viel zu lange herum drücken, würden endlich zeigen, was sie können. Klare Kante, und wer nicht mitmacht, bekommt es mit der Polizei zu tun. Hat nicht sogar das Bundesverfassungsgericht gerade entschieden, dass jetzt gehandelt werden muss, jetzt, und nicht später?

An Vorschlägen, an sogenannten „Instrumenten“, fehlt es nicht. Bei den meisten geht es ums Geld, gerade ist – von sehr ernst zu nehmenden Experten – erneut die Forderung nach einem CO2-Preis von 150 € pro Tonne CO2 formuliert worden. Die Klimaziele werden fast täglich „angepasst“, sprich: verschärft, jedenfalls auf dem Papier. Und auch die „Klimapakete“ werden öffentlich nach der Zahl der Subventionsmilliarden bewertet.

Heißt also „von Corona lernen“ wirklich siegen lernen? Oder lernen wir etwas ganz anderes? Zum Beispiel, dass es auf längere Sicht kein politisches Erfolgsmodell sein kann, die Aufmerksamkeit auf einen einzigen Parameter zu konzentrieren und alle Regeln danach auszurichten. Weil man in dieser staatlich verordneten neuen Welt der „Maßnahmen“ und „Instrumente“ allzu schnell die konkreten Menschen aus dem Blick verliert, die all das verstehen und ihr Leben danach gestalten müssen. Millionen Menschen, mit ihren jeweiligen Lebenssituationen, und von denen auch noch jede/r eine eigene Meinung hat. In der Corona-Politik sind die Folgen einer solchen Einschränkung des Gesichtsfeldes bekannt: Sie hat nicht nur die Menschen, sondern auch all jene Wissenschaften, die deren Situtaion öffentlich sichtbar machen, weitgehend ignoriert. Während „Virologen“ und Statistikerinnen den Takt vorgaben, sind die Jugendpsychiatrien übergelaufen, Erkrankungsrisiken durch Bewegungsmangel wurden ignoriert, die soziale Seite der Virusverbreitung wurde bei den Abwägungen übergangen, sinnfreie Zwänge wurden polizeilich durchgesetzt, notwendige Kontrollen unterlassen, die entscheidend wichtigen Forschungsfragen (wer genau steckt sich wo an?) nicht weiter verfolgt. Wenn Pandemiebekämpfung effizient sein soll müssen Staat, Bevölkerung und Wissenschaften kooperieren. In Deutschland ist das im vergangenen Jahr nicht gut gelungen.

Bei der Klimapolitik aber gibt es keine Impfung, die die CO2-Emissionen beenden könnte. Die klimapolitische Zeitdimension ist nicht die ein oder zwei Jahre. Klimapolitik ist ein Marathonlauf. Schon deshalb muss die Kooperation zwischen Staat, Gesellschaft und Wissenschaften besser gelingen, wenn sie erfolgreich sein soll.

Die aktuelle Debatte allerdings ist – gerade auch von Seiten der „radikaleren“ Fraktion der KlimaschützerInnen – stark technokratisch geprägt. Es scheint auch hier nur noch einen einzigen Erfolgsmaßstab zu geben: die CO2-Reduktion. Das ist zwar realistisch, wenn man von dem Budget an Klimagasen ausgeht, das der Bundesrepublik Deutschland noch zur Verfügung steht. Ziele zu formulieren, die unerreichbar sind (wie das, um nur ein Beispiel zu nennen, gerade bei der Gebäudesanierung versucht wird) führt aber nicht zu mehr, sondern zu weniger Klimaschutz – weil solche Ziele niemand ernst nimmt. So etwas endet dann  ähnlich wie das Verbot, allein auf Parkbänken zu sitzen: Der Staat macht sich lächerlich.

Technokratie heißt: Die Vorgaben kommen von oben. Die Menschen werden als zur Umsetzung Verpflichtete behandelt. Wie es ihnen in dem neuen ökotechnischen Rahmen konkret ergeht, wie sie ihre Lebensvollzüge umgestalten, ob sie dabei neue  Möglichkeiten erschließen, welche Kosten und Risiken für ihre persönliche Lebensplanung entstehen, spielt dann keine Rolle mehr: Hauptsache sie sparen CO2.

Alledings schätzen Menschen diese Art von Herrschaft nicht sehr, deshalb ist es wenig wahrscheinlich, dass sie sie wählen. Sollte dennoch eine klimapolitisch aktive Regierung zustande kommen und nach diesem Strickmuster handeln, werden sie nur das tun, was sie unbedingt tun müssen.

Die Corona-Politik hat es vorgemacht: Aus einer Situation, in der die allermeisten selbst etwas beitragen wollten, in der sie überzeugt und mit Gründen vernünftig handeln wollten, ist eine Situation geworden, in der man die Maßnahmen, die von oben verordnet werden, gerade noch so erträgt. Für eine erfolgreiche Klimapolitik würde das nicht reichen.

Tatsächlich droht in der Euphorie der guten Zustimmungswerte für die Grünen die wichtigste Erfahrung der letzten Jahrzehnte in Vergessenheit zu geraten. Nämlich: Wir können heute erstmals eine tatsächlich klimaneutrale Energieversorgung aufbauen. Das ist eine historisch neue Situation, es gibt diese Möglichkeit erst seit kurzer Zeit. Noch zu Beginn des Jahrtausends gab es im deutschen Netz praktisch keine Solarenergie, und die Windenergie trug weniger als 1 % zur Stromversorgung bei. Wer damals das „Ziel“ ausgegeben hätte, den Beitrag der Solarenergie innerhalb von 10 Jahren um den Faktor 300 zu steigern, hätte nicht als „radikale/r KlimaschützerIn“ gegolten, er oder sie wäre ausgelacht worden. Und doch ist genau das passiert. Ganz ohne staatliche Zielvorgabe. Und seit 2005 eigentlich auch gegen den Willen der Regierung.

Gelungen ist dieser – man darf es sagen – welthistorische Schritt zu einer erneuerbaren Energiebasis, weil die deutsche Gesellschaft ihn gehen wollte. 1,5 Millionen Menschen wurden in wenigen Jahren BetreiberInnen von Energieerzeugungsanlagen. Ein eigener Markt wurde neu geschaffen, für Anlagen, die jede einzelne vergleichsweise winzige Strommengen einspeisen konnten. Die milliardenschweren Monopolisten hingegen verloren ihre Marktanteile: Nicht nur ihre Atommeiler, auch die Kohlekraftwerke können aus diesem Grund abgeschaltet werden. Und wir können – seitdem – herausspringen aus der fossilen Zukunft, die noch vor kurzem unvermeidbar schien.

Wenn der Markt geholfen hat, die Erneuerbaren durchzusetzen, wird er, so denken viele, über die CO2-Bepreisung auch helfen, die CO2-Emissionen zu reduzieren. Nur ist Markt nicht gleich Markt. Und  die Aussage: „Wir lösen das über das Geld – und Ihr bezahlt“ ist so ziemlich das Gegenteil zu der Aussage: „Wir machen etwas gemeinsam, und Ihr bekommt eine Chance zum Handeln“. Sie macht Angst, und zwar dem Teil der Bevölkerung, der solche Kosten spürt, weil sie das Haushaltsbudget beeinflussen.

Wenn man als Gesellschaft einen langen, schwierigen Weg vor sich hat, lautet die Frage: Wer will, wer kann, wer darf diesen Weg beschreiten?

Sorgen KlimaschützerInnen – anders als die Corona-BekämpferInnen – dafür, dass diesmal nicht die ohnehin schon Benachteiligten die Hauptlast tragen? Dass sie wahrgenommen werden und sich sicher fühlen? Unterscheiden sie berechtigte Einwände von ideologischem Unsinn, sind sie bereit, sich im Zweifel zu korrigieren und Irrtümer zuzugeben? Und gelingt es ihnen, jedem und jeder Einzelnen die Chance zum Mitmachen zu geben? Wird Klimaschutz zu etwas, woran wir als Gesellschaft gemeinsam arbeiten? Oder setzen die Klimabesorgten auf ein technokratisches von Oben-Herab, auf besserwissende Töne, behandeln sie Gegenargumente als GegnerInnen-Argumente? Dann werden sie vor allem Angst, Unwillen und Abwehr erzeugen.

Eine CO2-freie entsteht, wie auch eine Corona-sichere Gesellschaft, nur dann, wenn die Menschen selbst sie wollen und sie handelnd gestalten können. Wenn Staat, Wissenschaft und Gesellschaft kooperieren, also wir uns gegenseitig im Blick haben. Weil unsere Gesellschaft keine Maschine ist, die technokratisch mit Regeln und Instrumenten repariert werden kann, sondern ein Verband von BürgerInnen.

 

 

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kommentare

  • „Gelungen ist dieser – man darf es sagen – welthistorische Schritt zu einer erneuerbaren Energiebasis, weil die deutsche Gesellschaft ihn gehen wollte.“

    Nein, weil China ohne Rücksicht auf Umwelt oder Arbeitsschutz diese Photovoltaikanlagen billig herstellt.

    Habe ich mir auch gerade für das Wohnmobil gekauft.
    Danke China!

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