vondie verantwortlichen 26.11.2023

Die Verantwortlichen

Roland Schaeffer fragt sich, warum vieles schief läuft und manches gut. Und wer dafür verantwortlich ist.

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Die Grünen aus der Mitte der Gesellschaft an den Rand zu verdrängen, ist zu einem Leitmotiv der gegenwärtigen Politik und Öffentlichkeit geworden. Jetzt hat sich mit Bernd Ulrich ein angesehener Journalist zu Wort gemeldet, der die Grünen an den Spielfeldrand wünscht. Jemand, dessen Texte häufig als grüne Programmschriften verstanden wurden.

Die Grünen sollten, so sein Vorschlag, die Regierung verlassen und dadurch Platz machen für eine Regierungsbeteiligung der Union unter Kanzler Scholz. Die sei besser für das Land – und auch für die Grünen. Der Klimapolitik, dem grünen Kernthema, würde sie hingegen kaum schaden. Weil, so darf man ergänzen, die aktuelle Regierung nach seiner Ansicht auf diesem Gebiet sowieso nichts Relevantes hinbekommt. Wenn es nicht eines der wichtigsten Medien der Republik wäre – ZEIT online – in dem Ulrich seine Idee veröffentlicht, könnte man sie einfach dort stehen lassen. Zumal er die Regeln der Berliner Politik nicht benennt: Wenn die Ampel aufgibt, folgt im Bundestag ein konstruktives Misstrauensvotum. Erreicht der Kanzler dabei keine Mehrheit, löst der Bundespräsident das Parlament auf. Ein Rückzug der Grünen würde also Neuwahlen herbeiführen und anschließend nach jetzigem Stand der Dinge eine Groko, die von einem Kanzler Friedrich Merz geführt würde. Der habe zwar, so stellt Bernd Ulrich fest, noch nirgends regiert, es fehle ihm also die Erfahrung, die ein Kanzler brauche. Dass Merz, der einen stabilen Genieverdacht gegen sich selbst pflegt, diese Meinung teilt und sich als Azubi bei Scholz bewirbt, darf man ausschließen.

Groko, das hieße: die Klimapolitik wird wieder ein Randthema, der Versuch, die Energiebasis eines modernen Industrielandes erneuerbar zu gestalten, wäre beendet. Es hieße, sich aus der Verantwortung zu verabschieden und die Antwort auf die Zukunftsfragen denen zu überlassen, die sie bisher nicht ernsthaft gestellt haben.

Die moderne Welt ist auf der Basis fossiler Energien errichtet worden. Das Versprechen der grünen Regierungsbeteiligung lautete: eine der führenden Volkswirtschaft der Welt auf erneuerbare Energien zu gründen. Die technischen Voraussetzungen für diese erneuerbare Energiebasis sind erst seit gut 20 Jahren erkennbar, erst seither sind Solar- und Windenergie in relevantem Umfang verfügbar, während die Entwicklung  der notwenigen Stromspeicher und Wärmetechniken sogar noch jüngeren Datums ist. Trotzdem ist wegen der Klimakrise Abwarten keine Option, die Regierung und ihre Verwaltungen sind entsprechend im Dauerstress. Und die Partei, die sich ein derart fundamentales Projekt vorgenommen hat, soll jetzt wegen des – auch zuvor schon erwartbaren – Gegenwindes einfach davonlaufen? Eine solche Partei braucht niemand.

Es ist eben nicht nur Friedrich Merz, dem Regierungserfahrung fehlt. Wie „Regieren“ geht, ist offenbar auch vielen Medienleuten  unklar, die Abläufe sind häufig zu komplex und nicht spektakulär genug. Als „Regieren“ gilt stattdessen vielen das zügige Schreiben und Beschließen von Programmen oder Gesetzen. Die werden im Netz gepostet oder man macht, wenn man sich viel Zeit nehmen will, einen Parteitags- oder Kabinettsbeschluss daraus. Spätestens dann aber ist skeptische Ungeduld seitens der medialen Beobachter Pflicht, weil das, was da zu lesen steht, doch längst Wirklichkeit geworden sein müsste. Mit einem Klick auf der Tastatur. Am Jahresende wird Bilanz gezogen, und man kann kritisch feststellen: Die Emissionen sind nicht runter gegangen, die Wohnungen fehlen, die Bahn kommt weiter zu spät und Herr Wissing hat noch immer nichts verstanden. Was wirklich erreicht wurde, kann man so nicht messen.

„Wir Deutschen sind / im Luftreich des Traums / die unumschränkten Gebieter“, schrieb Heinrich Heine vor fast zweihundert Jahren. Irgendetwas davon scheint überdauert zu haben: eine Art magischer Sofortismus, der Politik als Frage des moralischen Wollens behandelt, das weder die Ausgangsbedingungen ernst nimmt noch die Handlungsalternativen kennt oder die Ergebnisse analysiert, der weder physikalische Widerstände noch gesellschaftliche Infrastrukturen berücksichtigt. Dabei passt er  hervorragend zu seinem Spiegelbild: dem Verdrängen, Verschieben und Abwarten.

Denn genau das empfiehlt Ulrich: Die Flucht in die Ruhe der Groko als erste (grüne) Bürgerpflicht. Als ob wir so das gefühlte deutsche Biedermeier der letzten 16 Jahre zurückbekommen könnten. Als ob Putin oder HAMAS ohne grüne Regierungsbeteiligung weniger aggressiv, die digitale Entwicklung gemütlicher, die Stahlproduktion klimafreundlicher und das globale Wetter wieder besser würden.

Der große Fehler der jetzigen Regierung liegt für Bernd Ulrich darin, dass sie versucht habe, Klimapolitik ohne Zumutungen an die Bürger:innen zu betreiben (ob deren Umfragewerte mit mehr Zumutungen besser wären, lässt er offen). Dass die Erneuerbaren wieder Tempo aufnehmen und deshalb die Chance besteht, den Kohleausstieg schon 2030 vollziehen zu können, scheint ihm nicht wichtig. Allerdings: Wenn für Wärmewende und Wasserstoff-Infrastruktur viel Geld ausgegeben werden soll (ob das unter den neuen Bedingungen gelingt, ist eine andere Frage) ist das auch eine Zumutung. Auch, weil es als Signal wirkt: Wir sind in der Realität angekommen. Der Klimawandel ist real, jede und jeder muss ihn ernst nehmen. Schließlich wissen auch diejenigen, die ihn politisch leugnen wollen, dass der Boden wackelt, auf dem wir alle stehen.

Die Grünen vertreten mit ihren Themen und ihrer Diskussionskultur das Bürgertum der städtischen Zentren. Dass dessen Haltungen, vom Ernstnehmen der  Menschenrechte bis hin zur Esskultur, durch die jüngsten Diskursverschiebungen nicht mehr „bürgerlich“ sondern radikal sein sollen, hätten sich frühere Linksradikale gewiss nicht träumen lassen. Der Druck, unter dem die Regierung aktuell steht, geht nicht von einer ernsten Krise aus sondern von ihrem eigenen, verwirrenden Auftreten, getriggert durch sehr systematische Medienerregung. Und während die Verwandtschaftsverhältnisse von Mitarbeiter:innen des Öko-Instituts auf den Titelseiten aller Zeitungen durchleuchtet wurden, sind die finanziellen Verwandtschaften der deutschen Medienmacht und ihrer Interessen weniger transparent. Dass die Mehrheit am Springer-Konzern mit seiner Kampagnenmacht seit einiger Zeit einer Investmentgesellschaft gehört, die als umweltfeindlich kritisiert wird und zu 70 % in fossilen Energieunternehmen investiert hat, ist hingegen weitgehend unbemerkt geblieben.

Aber ja, es gibt nicht nur Streit und Kampagnenwut, die Grünen machen auch Fehler, wie jeder Fehler macht, der handelt. Wer keine Lust hat, sich als politische Konserve in eine oppositionelle Schwermutshöhle zurückzuziehen, um seine „Inhalte“ moralisch reinzuhalten, wird immer Fehler machen. Der berühmte Referentenentwurf zum Gebäudeenergiegesetz, um nur dieses Beispiel zu nennen, war gewiss fehlerbehaftet (auch deshalb war es ein Referentenentwurf). Das formelle Verbot von Gasheizungen ist jetzt um ein paar Jahre verschoben worden; ob diese Verschiebung einen messbaren Einfluss auf die deutsche Klimabilanz hat, darf bezweifelt werden. Hingegen hat der öffentlich ausgetragene Konflikt unmissverständlich klar gemacht, dass es einen Endpunkt geben wird bei der fossilen Gasversorgung – ein Erfolg im Misserfolg.

Und natürlich ist die Finanzierung des ökologischen Umbaus und der Entlastung von Energiekosten über den Corona-Fonds ein Fehler gewesen. Nur hat diese Methode nach eigener Aussage der Kanzler persönlich „erfunden“, und der angeblich so supersparkorrekte Finanzminister hat sie im Detail gestaltet. Anstatt bei den Hauptverantwortlichen der zerbröselten Finanzplanung soll auch dieses Problem jetzt bei den Grünen abgeladen werden?

Genau das macht Bernd Ulrich. Die Grünen täten, wenn sie die Regierung verließen, so schreibt er, „nicht nur dem Land einen Gefallen, sondern auch sich selbst“. Die wegen des Klima-Umbaus der Wirtschaft und der Zukunftssicherung dringliche Neuregelung der Finanzen sei nur in einer großen Koalition möglich. Der Konstellation also, die die Schuldenbremse beschlossen hat, 16 Jahre damit zubrachte, die Klimapolitik zu verlangsamen und für Zukunftssicherung nicht einmal Vorschläge hatte.

Nur: Wenn man Bernd Ulrichs Kritik an der aktuellen Politik der Grünen genau liest, hat man den Eindruck, dass ihn im Hintergrund etwas ganz anderes bewegt. Durch ihre „…rein infrastrukturell-technokratische Fixierung auf die Energiewende…“ habe die Partei „…den Kontakt zu den emotionalen Tiefenströmen der ökologischen Krise verloren“. Deshalb seien den Grünen „..ihre spirituellen Wurzeln kaum noch zugänglich, die Liebe zur Natur und die Trauer um sie sind ihnen nur mehr selten anzumerken. In ihrer jammervollen Lage in der Ampel können die Grünen die fundamentale ökologische Krise und ihre Dringlichkeit nicht mehr formulieren.“

Wenn man diesem Gedanken folgt, soll die Partei durch das Verlassen der Regierung befähigt werden, sich um die emotionalen Tiefen der Klimakrise zu kümmern und deren Dringlichkeit öffentlich bekunden. Nicht mehr mitregieren, um besser reden zu können also, ein Gedanke, den schon Christian Lindner einmal hatte. Doch besteht darin wirklich die Aufgabe von Parteien? Für Verständigung über emotionale Tiefenströme sind in einer pluralistischen Gesellschaft viele zuständig, die Kirchen, Stiftungen, Akademien, NGOs, Verbände. Politische Parteien hingegen werden für Entscheidungen gewählt, für die Regelung des Alltags, die Gestaltung von Institutionen und die zukunftsgerechte Vorsorge gegen Gefahren. Die Wähler:innen der Grünen erwarten zurecht, dass sie die Ursachen der Klimakrise angehen, und die hängen nun einmal mit bestimmten Techniken und wirtschaftlichen Praktiken zusammen. Sie zu verändern braucht Planung und Zeit,  über Nacht weghexen lassen sie sich nicht. Und wenn die Grünen ihre Aufgabe nicht wahrnehmen, werden sie künftig weder gehört noch gewählt.

Am Ende seines Textes beruft Bernd Ulrich sich, „funfact“, wie er schreibt, auf den „größten Realo aller Zeiten“, Joschka Fischer, der im Jahr 1987 als erster grüner Minister eine Koalition, die rot-grüne Koalition in Hessen verlassen habe. Und ja, hier scheint er noch einmal auf, der alte grüne Urkonflikt zwischen „Fundis“ und „Realos“ auf, den es eigentlich nicht mehr gibt, tempi passati.

Tatsächlich kam Fischer damals mit seinem Rücktritt der Entlassung durch den SPD-Ministerpräsidenten nur um Stunden zuvor, weil er bei seiner Weigerung blieb, einer juristisch und sicherheitstechnisch unhaltbaren rückwirkenden Genehmigung für die illegal gebauten Nuklearbetriebe in Hanau zuzustimmen – ein knappes Jahr nach Tschernobyl. Es war also weder ein Rücktritt aus politischen Unwohlsein noch ging es darum, „dem Land“ durch grüne Selbstverzwergung „einen Gefallen“ zu tun, und erst recht nicht bestand das Ziel darin, die hessischen Grünen wieder zu ihrer eigentlichen Identität zurückzuführen, die sie nach der damals weit überwiegenden Meinung der Bundespartei durch ihren Regierungspragmatismus zu verlieren drohten. Stattdessen gewannen die Grünen 1989 die Kommunalwahl in Frankfurt, ab 1991 konnten sie in Hessen wieder mit der SPD regieren und 1998 im Bund. Im Jahr 2002 wurde dann das EEG beschlossen. Auch deshalb besteht heute endlich die Chance, die fossilen Energien weltweit durch Sonne und Wind zu ersetzen.

 

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kommentare

  • Danke für die Analyse liebe Taz. Die Papierformat-Zeit wirbt parallel für einen Schüler:innen-Wettbewerb zur Ideenentwicklung für die Atom-Endlager-Frage. Botschaft: Mrz wird es nicht richten. Die Kids sollen das später selbst hinkriegen, da bereitet man sie jedenfalls schon mal auf die Zukunftsaufgaben vor.

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