Die Märchen der Trumps oder Musks werden, anders als die Erzählungen von Leben und Taten römischer oder persischer Kaiser, die nächsten Jahrzehnte nicht überdauern. Der Grund ist einfach. Nicht einmal die alte Erfahrung, dass die Geschichte von den Siegern geschrieben bzw. erfunden wird, hat in der neuen Welt des digitalen 21. Jahrhunderts noch Bestand, allen Bemühungen der aktuellen Sieger zum Trotz. Der Mars wird nicht bewohnt werden, der Klimawandel wird nicht stehen bleiben und die Blockade von Elektromobilität und erneuerbaren Energien wird China nicht schaden, sondern nutzen. So weit, so trivial. In ein paar Jahren oder Monaten ist dieser Hype vorbei.
Wenn die Wirklichkeit zurückkehrt, werden wir einmal mehr die Erfahrung gemacht haben, dass es nicht gelungen ist, den gefährlichen Unsinn und seine Propagandisten von der Macht fernzuhalten. Und da stellt sich, jenseits aller soziale politischen Gegensätze schon die Frage, wie das kommen konnte. Wie es der informationellen Überwältigung in wenigen Jahren gelungen ist, die Jahrhunderte der Aufklärung vergessen zu machen. Aufmerksamkeitsmanagement gehört gewiss dazu – etwa, wenn es einem sehr reichen Mann gelingt, die Aufmerksamkeit von Millionen oder sogar Milliarden Menschen auf einen staubigen und unbewohnbaren Platz irgendwo in drei Jahren Reiseentfernung zu unserem Heimatplaneten Erde zu lenken – und so von dessen und unser aller realer Gefährdung abzulenken. Oder von den Milliarden solcher Planeten in den Milliarden Galaxien des Universums. Die Weltöffentlichkeit schaut stattdessen auf einen stark drogenverdächtige Kasper, der vor den Augen der den rechten Arm hochreißt und sich zum Gott erklärt.
Auf der Erde selbst können die Konsequenzen katastrophal bis tödlich sein. Trumps künftiger Gesundheitsminister hat die ihm unterstellten Institutionen gerade angewiesen, in Untersuchungen und Berichten auf die Erwähnung von ethnischer Herkunft und Geschlecht zu verzichten – also deren wissenschaftliche Qualität zugunsten ideologischer Vorurteile drastisch abzusenken. Und ja, wenn in Deutschland der FDP-Vorsitzende die Mitarbeiter:innen des Umweltbundesamtes als Aktivist:innen bezeichnet und die Auflösung des Amtes fordert, stellt er sich bewusst in diesen Kontext. Ob es um die Wirkung von Impfungen oder um die Klimaveränderung geht, steht die Wissenschaft selbst in Frage. Und weil wissenschaftliche Wahrheit schwer zu bekämpfen ist, gehen Populisten gegen diejenigen vor, die ihr als Staatsdiener:innen verpflichtet sind und administratives Handeln zu ermöglichen.
Populistische Politik greift den Staat in einer Weise an, wie das bisher kaum denkbar war. Gewiss, es gibt Beispiele aus der Geschichte, auch die historischen Faschisten haben an Aufklärung und Wissenschaft alles bekämpft, was ihnen nicht in den Kram gepasst hat. Nur war das Personal der staatlichen Institutionen damals zur Kooperation nur allzu bereit, bis hin zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Das ist bei den Staatsbediensteten in den USA wohl nicht so einfach. Ergänzend zu den Publikationsverboten hat die neue Administration deshalb alle Bediensteten angewiesen, diejenigen Mitarbeiter:innen zu melden, die sich gegen die neuen Anweisungen äußern und mit Konsequenzen gedroht, wenn sie das verweigern. „Das Federal Government ist unser eigenes privates Ostdeutschland geworden“ kommentiert der amerikanische Ökonom Paul Krugman. Ob das neue Spitzelsystem funktioniert, wird sich zeigen.
Staatliche Institutionen arbeiten für alle Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen, und sie folgen dabei dem jeweiligen Stand der Wissenschaft: Es ist dieses Prinzip selbst, das jetzt in Frage steht. Der populistische Angriff gegen den Staat richtet sich also nicht gegen diese oder jene politische Programmatik, sondern gegen die Grundlagen demokratischer Politik. Wie dem politisch begegnet werden kann, ist bisher allerdings unklar. In Deutschland wird bisher vor allem der Gedanke diskutiert, die Angreifer mit Parteienverboten zu belegen. Die Frage ist nur, ob die Mobilisierung der einen staatlichen Institution – des Bundesverfassungsgerichtes – zur Verteidigung der anderen politischen Institutionen, des Bundestages und der Bundesregierung, den populistischen Angriff tatsächlich stoppen und den Populisten den Nährboden entziehen würde, auf dem sie gedeihen. Deshalb sollte eine andere Option in Erwägung gezogen werden.
Was, wenn die angegriffenen Institutionen damit beginnen würden, sich selbst gegen die Falschinformationen zu verteidigen? Wenn das BKA, um nur dieses Beispiel zu nennen, systematisch und öffentlich auf jede Manipulation der Verbrechenszahlen – eine Lieblingsbeschäftigung der AfD – mit Richtigstellungen reagieren würde? Nüchtern, aber deutlich? Wenn die Bundesnetzagentur oder die Stadtwerke, also diejenigen Einrichtungen, die Energie liefern und für die Stabilität des Energiesystems und den Umbau zu einer regenerativen Versorgung zuständig sind, öffentlich und gezielt auf falsche Behauptungen antworten würden? Und wenn sich eine solche aktiv aufklärende Haltung bis hinunter auf die kommunale Ebene, zu den einzelnen Energieversorgern, Gesundheitsämtern und Polizeistationen durchsetzen würde?
Es wäre ein Bruch mit der traditionellen Form der Trennung von Verwaltung und Politik, gewiss. Allerdings funktioniert diese Trennung ohnehin nicht mehr. Gegenwärtig sind es konkurrierende Parteien, die als Verteidiger der von Populisten angegriffenen staatlichen Institutionen einspringen müssen. Nur: Wie „neutral“ und sachlich begründet wirkt dann diese Verteidigung am Ende? Erscheint sie nicht selbst parteiisch, d. h. unglaubwürdig, nach dem Motto: Die einen sagen so, die anderen so – und am Ende hat jede Partei „ihre“ Wahrheit?
Es ginge also um Konsequenzen aus der Tatsache, dass die bisherigen Strategien zur Verteidigung von wissenschaftlich begründeter Wahrheit, von mit Erfahrungen und Zahlen belegter Wirklichkeit gegen gezielte Falschinformation zu oft nicht erfolgreich waren. Obwohl es sie eindeutig gibt, die Wirklichkeit der Stromerzeugungsanlagen, der Impfwirkungen und der Gewalttaten.
Die meisten Menschen möchten bekanntlich nicht belogen werden. Nur geschieht ihnen genau das in der virtuellen Welt in beispiellosem Umfang – und zwar ganz besonders dort, wo gegen die angeblichen Lügen von Medien und Regierungen mobilisiert wird. Es ginge also um eine stabile Form der Gegenmobilisierung, die dauerhaft Wirkung erzeugt. Demonstrationen „gegen rechts“ mögen ihre Raison haben, aber sie beeinflussen vor allem Menschen, die schon „gegen rechts“ sind.
Hier hingegen würden diejenigen sich äußern, die den gesellschaftlichen Auftrag haben, die jeweiligen Probleme zu lösen. Im besten Fall wären Gespräche zwischen Menschen zu organisieren. Geführt von Menschen, die mit ihrem Beruf für die Wirklichkeit einstehen, aus der sie berichten. Eine Konstellation also, in der sich – so die Hoffnung – verlorengegangenes Vertrauen neu bilden kann. Weil die Fakten von Menschen verkörpert werden – denen, die vor Ort zuständig sind, die sich auskennen und bisher meist auch mit angegriffen werden, als Kollateralschaden.
Es ginge gewiss nicht ohne Aufwand. Wenn, um nur dieses Beispiel zu nennen, 2 oder 3 Prozent der Kosten für den Aufbau einer weltgeschichtlich völlig neuen, CO2-freien Energieversorgung, an die sich Menschen erst gewöhnen und der sie vertrauen müssen, in die Mühe gesteckt würden, diese neue energetische Lebensgrundlage jedem und jeder einzelnen vor Ort zu erklären – wäre das wirklich zu viel? Man müsste für solche Gespräche neue Formen finden, gewiss. Die Kooperation zwischen dem Staat und seinen Bürger:innen wäre auszubauen und neu zu gestalten. Modernisierung und Digitalisierung bekämen einen neuen, bürgernäheren Rahmen.
Es ist der demokratische Staat selbst und es sind nach dem Belieben der Populisten ausgewählte Institutionen, von Kindergärten bis zu Energieversorgern, die angegriffen werden. Bisher haben sie kaum Möglichkeiten gefunden haben, sich zu wehren – und vor allem zu zeigen, worin ihre Leistung besteht. Die Demokratie zerbröselt aber, wenn sie einem informationellen Wilden Westen ausgeliefert wird, in dem die mit dem dicksten Geldbeutel, der größten Klappe und der größten Skrupellosigkeit die anderen herumschubsen können. Der Staat muss deshalb lernen, sich auf neue Art zu wehren. Er muss dabei auf diejenigen vertrauen, die ihn vertreten – und die das oft genug besser tun, als die „da oben“ es sich vorstellen, gerade auch, wenn sie von deren Wortwahl abweichen. Und ja, auf diesem Weg können auch ziemlich viele neue Konflikte entstehen. Aber besser neue Konflikte riskieren als die alten ohne Widerstand zu verlieren.