vonClaudius Prößer 15.08.2009

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Dass die Jahre der Pinochet-Diktatur bleiern waren, ist hinlänglich bekannt. Für manche Chilenen leider auch im Wortsinn: Mehrere tausend Einwohner von Arica, Chiles Grenzstadt zu Peru, wohnen in Häusern, die auf verseuchtem Material errichtet wurden. Die toxische Mischung, die neben Blei auch Quecksilber und Arsen enthält, wurde zwischen 1984 und 1989 von einer Firma eingeführt, die später nie die Arbeit aufnahm. Dafür wurden in nächster Nähe Sozialwohnungen für rund 15.000 Ariqueños errichtet. Die klagen seit langem über Ver­gif­tungs­er­schei­nun­gen, von chronischen Magen-Darm-Beschwerden bis hin zu neu­ro­logischen Schäden und Missbildungen bei Neu­ge­borenen.

„Importiert“ wurde der Schwermetallcocktail aus Schweden. Es handelt sich um insgesamt 21.000 Tonnen Schlacken, ein Abfallprodukt des Bergbauunternehmens Boliden AB. Weil Arica Sonderwirtschaftszone ist, mussten keine Steuern oder Abgaben für die Einführung des giftigen Materials gezahlt werden. Kontrolliert wurde dessen Toxizität auch nicht – sonst hätten die Behörden wohl festgestellt, dass es sich keineswegs um lediglich „mindergiftige Rückstände“ handelte. Das behauptete Promel, die chilenische Firma, der die Wiederaufarbeitung dann offenbar zu teuer wurde – weil sich der Wechselkurs verschlechtert und den Import notwendiger Geräte und Chemikalien extrem verteuert hatte. Die Firma zog nach einigen juristischen Windungen den Kopf aus der Schlinge und hinterließ der Wüstenstadt ein giftiges Erbe.

Das Gewerbegebiet im Norden Aricas hatte seine besten Zeiten in den Sechziger- und Siebzigerjahren gesehen, als die Regierungen in Santiago eine offensive Industriepolitik betrieben und viele Betriebe, insbesondere aus der Automobilbranche, ansiedelten. Erst im vergangenen Jahr wurden hier die letzten Chevrolet-Pickups montiert, die massenweise durch Chile rollen. Dank der radikalen Marktöffnung in den ersten Jahren der Diktatur waren aber die meisten Unternehmen schon in den Achtzigern abgewandert oder pleite gegangen, weil mit den Subventionen auch der Standortvorteil weggefallen war. In den Achtzigern und Neunzigern wurden denn auch Teile der Industriebrache zum Wohngebiet umgewidmet. Hier, wo die Stadt an die graubraunen Sandhügel stößt und nichts Grünes mehr gedeiht, entstanden zwischen 1987 und 1996 etappenweise Sozialwohnungen für die ärmsten Ariqueños – in direkter Nachbarschaft zu dem Giftmüll aus Schweden.

Nach Recherchen des Onlinemagazins „El Morrocotudo“ sind die Ver­ant­wort­lichen für mehrere Baugenehmigungen heute nicht mehr zu iden­ti­fi­zie­ren. Das hat wohl seine Gründe, denn schon 1994 war dem Serviu, der staatlichen Wohnungsbaubehörde, die Existenz der Ab­la­ge­run­gen bekannt. Erst 1996 allerdings stellte das regionale Gesundheitsamt offiziell die hohen toxischen Konzentrationen fest und ließ das Material abbaggern. Immer noch lagert es in der Nähe der Stadt, in der es zwar nie regnet, wo aber häufig starker Wind weht, der Sand und sonstige Partikel weiträumig verteilt.

Seitdem haben die Unregelmäßigkeiten nicht aufgehört. Laut „El Mor­ro­co­tudo“ wurden nach Bekanntwerden der toxischen Belastung von 5.000 Anwohnern Blutproben genommen, die auf Blei untersucht werden sollten. Beim Instituto de Salud Pública (ISP) in Santiago, das über ent­spre­chen­de Labors verfügt, kamen merkwürdigerweise aber nur 725 Proben an. Zum Ärger der Betroffenen, die sich inzwischen organisiert haben, wurde auch lediglich auf Blei, nicht aber auf Quecksilber, Kadmium oder Arsen getestet. Ein Klage der Anwohner gegen Promel blieb erfolglos. Kurioserweise wurde das Unternehmen von einer Anwältin vertreten, zu deren Mandanten auch der sozialistische Kon­gress­ab­ge­ord­ne­te Iván Paredes gehört – als auf dem Gift Wohnungen errichtet wurden, war Paredes Bürgermeister von Arica.

Eine Fernsehreportage hat in der vergangenen Woche das Thema erstmalig landesweit bekannt gemacht und für frischen Wind im Fall Arica gesorgt. Gleich vier Minister machten sich Hals über Kopf auf den Weg nach Arica, um mit den Anwohnern zu reden und ihnen ihre Unterstützung zu versprechen. Herausgekommen ist eine Vereinbarung, die allen Betroffenen medizinische Hilfe gewähren und die Klärung der Schuldfrage vorantreiben soll. Gesundheitsminister Álvaro Erazo will eine Expertenkommission mit internationaler Unterstützung zu­sam­men­trom­meln, um die Gesundheitsschäden untersuchen zu lassen. „Nach unserem Aktionsplan werden wir in spätestens zwei Monaten Klarheit darüber haben, wie die medizinische Versorgung aussehen wird“, so Erazo.

Der Minister will außerdem eine Klage gegen den schwedischen Staat prüfen, wahrscheinlich die Strategie mit den geringsten Er­folgs­aus­sich­ten. Tomás Hirsch von der Humanistischen Partei, im Jahr 2005 Präsidentschaftskandidat der außerparlamentarischen Linken forderte gestern die Schaffung einer unabhängigen Umwelt-Kontrollinstanz („Contraloría de Medio Ambiente“) auf höchster staatlicher Ebene. Eine Forderung, die er im Zusammenhang mit der Verseuchung in Arica seit zehn Jahren erhebt, bislang ohne jeden Erfolg.

Bildnachweis: (o.) marcosHB auf flickr, (u.) El Morrocotudo

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