vonImma Luise Harms 07.10.2009

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S. und J., ein mir bekanntes Paar, hat im Sommer auf einem großen Festival einen Waffelstand gemacht. Das Geschäft lief gut, blieb aber doch hinter den kühnen Erwartungen zurück. Weil ich für meine Letztverwertungs-Anstrengungen bekannt bin, fragte S. mich, ob ich Verwendung für eine größere Menge von H-Milch kurz vor dem Verfallsdatum habe.

Mein Nachkriegstrauma, dass man nichts umkommen lassen darf, setzte sofort ein. Meine Tante Else, die in einer westdeutschen Kleinstadt Gemeindeschwester war, hatte mich als Sechsjährige mitgenommen, wenn sie Milchpulver zu armen Flüchtlingsfamilien brachte. Ich schickte Rundfragen an Email-Verteiler der solidarischen Ökonomie, wer die Milch brauchen kann. Thomas riet, sie den Bauernverbänden für ihre nächste Protestaktion zur Verfügung zu stellen.

S. hat die Milchreste mittlerweile für mich griffbereit in einen Schuppen gestellt. Es ist wirklich eine Palette mit 50 5-Liter-Kanistern H-Milch, also ¼ Tonne. Zusätzlich ein halber Karton Pflanzenmargarine, 15 Liter Sahne in Kanistern und eine Stiege Vanillesoße.
Die Email-Rundfrage ergab nur hilfsbereite Weiterleitungen. Billig-H-Milch kurz vor dem Verfallsdatum, das klingt auch nicht besonders verlockend. Aber Milch ist Milch. Ich tu sie jeden Morgen in meinen Kaffee, oder vielmehr den Kaffee in die Milch. Ich verbrauche bestimmt einen bis anderthalb Liter pro Woche. Normalerweise Biomilch, aber ich würde auch andere nehmen, wenn sie nun mal da ist. Sie ist da, aber gegen das Verfallsdatum kann ich nicht antrinken.

Wie kann man den Milchberg erhalten?
1. das Verfallsdatum anzweifeln. Das kennt man ja: Die Datierung ist doch immer viel zu kurz berechnet, um die Leute zum Wegwerfen zu animieren. Einmal sterilisiert, was soll denn daran schlecht werden? Eingemachtes kann man ja nach 10 Jahren auch noch essen!
2. Verjüngungskur. Ich könnte die 5-Liter-Container nach und nach aufmachen, die Milch noch mal erhitzen, wieder einfüllen und dann im Laufe eines Monats verbrauchen, vielleicht auch öfter Pfannkuchen oder andere Milch-intensive Gerichte machen, dann schaffe ich den Karton vielleicht in einem halben Monat.
3. Den Aggregatzustand verändern. Wenn man selber Joghurt macht, nimmt man dazu H-Milch, das weiß ich. Aber wer braucht soviel Joghurt? Anders ist es mit Quark. Den kann man sich aufs Brot tun, mit Marmelade drauf. Mit Quark kann man auch backen. Es soll ja sogar Anstrichfarbe auf Quarkbasis geben. Also Milch in Quark verwandeln.

Im Internet finde ich Rezepte: ein Gläschen Buttermilch in die Milch einrühren, das ganze zwei Tage warm stehen lassen; 22 Grad wird empfohlen. Dann durch ein Tuch fließen lassen und ausdrücken. Ich erinnere mich, dass ich das bei meiner Tante Else gesehen habe.
Die Buttermilch muss lebendige Kulturen enthalten. Woher weiß ich, dass sie lebendig sind? Thomas bringt mir Buttermilch aus dem Bioladen mit. Die wird wohl lebendig genug sein. 5 Liter Milch kommen in einen großen Eimer, ein Glas Buttermilch dazu. 22 Grad ist es aber in meiner Wohnung nicht. Ich kann ja wohl schlecht wegen dem Quark heizen. Es muss also bei den bescheidenen 19 Grad bleiben. Nach drei Tagen ist die weiße Flüssigkeit soßig. Ob ich schon durchseihen kann? Ich suche ein Stück Stoff, gieße den Inhalt darauf, beutele ihn ein und fange an zu pressen. Der Stoff ist ziemlich dicht, es tropft müde unten raus. Ich presse stärker. Die weißliche Masse, die eigentlich zu Quark werden soll, tritt wie Schweißperlen aus den Stoffporen. Das ist auch keine Lösung. Ich muss Geduld haben.
Ich fülle die – nun etwas reduzierte – Masse zurück in den Behälter und stelle ihn für weitere zwei Tage auf den Schrank. Bei der nächsten Kontrolle bilde ich mir ein, dass der Werkstoff eingedickt ist. Ich mache einen weiteren Pressversuch. Im Beutel schwappt es. Das ist nichts, was sich auf einem Frühstücksbrot halten würde. Weitere zwei Tage Wartezeit. Vielleicht nicht Stoff nehmen, sondern ein feinmaschiges Sieb. Damit wirklich nur das Dicke hängen bleibt. Ich gieße das sämig-weiße Molkereierzeugnis vorsichtig in mein feinstes Sieb. Es läuft, von dem Drahtgeflecht unbehelligt, direkt in den Ausguss. Meine Stimmung schwenkt um. Na schön, dann eben nicht. Hau weg den Scheiß! Ich fühle mich befreit, und der Ausguss riecht nach Buttermilch. Waren wohl doch keine lebenden Kulturen drin.

Planungen, wenigstens aus der Sahne noch Butter zu gewinnen (die kann man einfrieren und Stück für Stück zu Mürbeteig verarbeiten) werden nach dem Buttermilchdebakel im Kein erstickt.
Die Überlegungen gehen jetzt in anderen Richtungen. Kann man mit Milch düngen? Das sind ja Proteine. Die müssen doch zu was gut sein. Vielleicht für Tiere, die nehmen es mit dem Verfallsdatum nicht so genau.
P. aus dem Oderbruch ist interessiert. Er hat Schweine, die nicht als Bioschweine deklariert sind, aber draußen rumlaufen und es auch sonst ganz schön haben. P würde die ganze Charge nehmen. Da werde ich plötzlich engherzig. Könnte ich nicht auf eine kleine Gegenleistung hinwirken? Ich meinerseits brauche Stroh, um meine ausgeschachtete Kellerwand den Winter über gegen Frost zu schützen. P. hat Stroh.
Aber das ist ja gar nicht meine Milch! ich habe sie nicht bezahlt. Ich bin nur die Vermarkterin, und auch das nur aus freien Stücken. Ich habe nichts zu erwarten, erst recht nichts zu fordern, wenn jemand sich der Milch annimmt. Na gut, dann vielleicht für S. – eine kleine Gegengabe, ein Stück Fleisch vielleicht. Auch das geht mich nichts an. S. hätte die Milch mir überlassen, ich kann sie nicht verwerten, jetzt geht sie an P. Gut so. Basta.

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