vonImma Luise Harms 05.12.2009

taz Blogs


Willkommen auf der Blogplattform der taz-Community!

Mehr über diesen Blog

—-
Liebes Tagebuch, da bin ich wieder.
Inzwischen ist das Highlander Rind geschlachtet worden. Aber ich war nicht dabei. Ich war bei Glatteis mit dem Auto gegen einen Baum geschleudert und für einige Wochen außer Dienst gestellt.
Das Tier ist verteilt. Alle wollten Filet oder Tafelspitz, haben dann aber auch was anderes genommen. Thomas ist durch die große Nachfrage ermutigt. M., der Halter der kleinen Herde aus der Märkischen Schweiz, ist durch das reibungslose Geschäft ermutigt. Nun will er drei weitere Kälber loswerden. Thomas hat erst noch den Versuch gemacht, ihnen woanders ein neues Leben zu ermöglichen – bei Bekannten im Uckermärkischen, die auch eine Herde aufbauen wollen. Aber es hat nichts ergeben. Und M. wollte die drei Tiere unbedingt weghaben, weil er seine Herde verkleinern muss. Sie wurden also letzte Woche geschlachtet. Eines der fast ausgewachsenen Tiere wurde noch einmal von Thomas und zwei anderen befreundeten Fleischparteien übernommen. Gleich werden die Lappen angeliefert und in meiner Schmalzküche zerteilt.
Merkwürdigerweise sollten die wunderbaren langhaarigen Felle weggeworfen werden.
Das tat mir leid, weil ich eben den Drang zur Verwertung habe. Nein. Ich sage: zur Nutzung. Auch aus Achtung vor dem Tier.
Wir sind also nach Polen gefahren, nach Gorzów, um dort eine kleine Kürschnerei aufzusuchen, wo das Gerben erschwinglich sein soll. Die Felle hatten wir hinten im Auto, in einer großen grünen Kiste, provisorisch eingesalzen und gut abgedeckt.
Ich ertrage den Anblick von toten Tieren nicht. Dagegen macht es mir überhaupt nichts aus, das Fleisch anzufassen. Ich gebe zu, dass ich es sogar ganz gerne roh esse. Auch die Innenseite der Felle, also die weißliche, vom Bindegewebe gelöste Schicht kann ich emotionslos anschauen. Aber das Fell. Die Federn. Die Haut. Es ist die einschließende Hülle des toten, des getöteten Lebenwesens, die mir Grauen einflößt. Die Lebenskraft ist zerschlagen. Auf der Hülle liegt der Fußabdruck des Todes.
Was will ich dann mit den Fellen? Ich denke mir, durch das Gerben, die schöne Verarbeitung, den guten, herben Geruch des sauberen Fells wird der Tod abstrakt. So wie die Organe – das Herz, das geschlagen hat, die Muskeln, die sich angespannt haben – durch ihre Zerlegung abstrakt werden. Fleisch eben.
Die kleine Kürschnerei in Gorzów ist ein Hinterhofschuppen. Er wirkt ein bißchen ranzig, ein bißchen verfallen, verlassen irgendwie. Alles dunkel. Ich klopfe. Keine Antwort. Die Tür lässt sich öffnen. Ich sehe in einen kleinen dunklen Raum, hinter dem sich ein zweiter größerer auftut. Es riecht klebrig und gebraucht. Fahles Licht zeichnet graue Konturen. Ich unterscheide feuchte Haufen, Bündel und Schichten auf dem Boden. Es sieht aus wie eine Ruine, die von Obdachlosen bewohnt und dann aufgegeben wurde. Aber was da rumliegt, sind nicht durchweichte Schlafsäcke und zurückgelassene Lumpen sondern Häute und Felle.
Und sofort ist es wieder das, das Gefühl des Grauens. Alte Bilder steigen hoch. Bilder von getöteten Menschen auf Lastwagen, in Gruben. Bildern von Haufen gekeulter Tiere nach Epidemien. Dieser unvorstellbare Übergang zwischen Wesen und Materie.
Ich schließe die Tür. Wir gehen um den Schuppen, klopfen an einem erleuchteten Fenster. Eine Stimme „tak“, kurz darauf tritt eine polnische Dame, gepanzert mit einer riesigen Gummischürze, aus der Tür. Sie ist freundlich. Sie versteht. Ein bißchen polnisch, das wir von unserem Volkshochschulkurs mitgebracht haben, ein bißchen deutsch, weil das die Sprache ihrer Mutter ist, ein bißchen französisch, weil sie mal in Frankreich gearbeitet hat.
Sie trägt mit Thomas die grüne Kiste ins Haus. Sie ist sehr schwer. Thomas sagt, ich soll helfen. Ich halte die Tür auf und versuche, den Blick auf die nun boßgelegten Felle zu vermeiden.
Kälber. Große, kleine? Na, so mittel. Der Mann wird gerufen, um die Größe der Felle zu begutachten. Da muss ich sie dann doch angucken. Ein schwarzes, zwei braune. So schlapp irgendwie, verklebt vom Blut. Sehr elastisch in ihrer Schlappheit. Der Mann beachtet uns nicht, schaut nachdenklich auf die Felle. An der Wand hängt ein Kalender. Daneben ein Meisterbrief. Draußen wird es dämmrig.
Der Mann brummt etwas. Die Frau schreibt Zahlen auf einen Zettel. 200 und 250 Zl. Damit haben wir gerechnet. Der Mann verschwindet. Die Frau, die wie gesagt eine polnische Dame ist, gut frisiert und geschminkt, mit liebenswürdigen Manieren, erklärt uns, wie lange es dauern wird, und dass sie uns dann anruft. Eilfertig wollen Thomas und ich unsere Telefonnummer auf polnisch diktieren. Aber sie läßt sie uns lieber selbst aufschreiben. Sie wäscht noch unsere grüne Kiste aus. Also dann: do widsenia!
Auf dem Rückweg erzählt Thomas, dass er am Morgen die drei Köpfe am geheimen Ort vergraben hat, damit das Fleisch und das Fell daran verrottet und die schönen großen Hörner genutzt werden können. Und auch weil es den Boden fruchtbar machen soll. Er wollte das eigentlich in der kommenden Vollmondnacht machen -aus einer diffusen Bereitschaft, diesem Setting magische Kräfte zuzuschreiben. Dann kam ihm das aber selbst ein bißchen zu eso-romantisch vor, und er hat die Sache schon morgens vor unserer Fahrt erledigt. Auch weil man da besser sieht. „Das war schon ein seltsames Gefühl, als ich die Löcher zugeschaufelt habe. Die Erde auf den Haaren.“ Da hat es ihn auch gegraust.
Die Hülle von Lebenwesen kann nicht wie Materie behandelt werden, da ist ein archaisches Sakrileg wirksam. Mir fällt ein, dass bei allen Beerdigungszeremonien die Körper eingepackt werden, wenigstens in ein Tuch. Das Abdecken von Leichen ist nicht nur ein Sichtschutz, es ist auch eine symbolische Schutzhülle für das Wesen, das sich jetzt nicht mehr selbst schützen kann. Und es ist eine Vorstellungsbarriere, hinter der der Verfall seine Arbeit beginnen kann. Und beginnen soll.

Thomas hat dann später im Kalender nachgesehen und festgestellt, dass der exakte Vollmondtermin gerade zum Zeitpunkt des Vergrabens war.

Am Abend nach unserer Rückkehr und in der Nacht hatte ich rasende Schmerzen im Brustkorb. Vom Solar Plexus aufsteigend, in die rechte Schulter ausschwärmend. Die Ärzte können keine Ursache feststellen. Phantomschmerz nach meinem Unfall. Der Todesschreck.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/verwerten_und_bevorraten_3_dickes_fell_wird_gebraucht/

aktuell auf taz.de

kommentare