vonDetlef Guertler 06.09.2010

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Frage: Was haben folgende Länder gemeinsam?

Liberia, Kamerun, Angola, Somalia, Bhutan, Usbekistan, Afghanistan, Deutschland

Antwort: In der Weltkarte der letzten Volkszählung sind sie die einzigen Länder, bei denen eben diese letzte Volkszählung schon mehr als 20 Jahre zurückliegt.

Welche Folgen das für Liberia, Kamerun, Usbekistan & Co. hat, wage ich nicht zu beurteilen. Für Deutschland bedeutet es jedenfalls, dass ein guter Teil unserer statistischen Daten von einer derart armseligen Qualität ist, dass es der Sau graust. Nur ein Beispiel aus aktuellem Anlass: Daten mit Migrationshintergrund. Und dazu ein Zitat aus einer Destatis-Pressemeldung von vor gut einem Jahr:

„2008 wurden 738 000 Fortzüge verzeichnet. Das waren rund 100 000 mehr als im Vorjahr. Bei den Fortzügen im Jahr 2008 entfielen 175 000 auf deutsche (2007: 161 000) und 563 000 auf ausländische Auswandererinnen und Auswanderer (2007: 476 000). Grundlage dieser Zahlen sind die Angaben der Meldebehörden. Wegen der bundesweiten Einführung der persönlichen Steuer-Identifikationsnummer sind 2008 umfangreiche Bereinigungen der Melderegister vorgenommen worden, die zu zahlreichen Abmeldungen von Amts wegen geführt haben. Da der Umfang dieser Bereinigungen aus den Meldungen der Meldebehörden statistisch nicht ermittelt werden kann, bleiben der tatsächliche Umfang der Fortzüge im Jahr 2008 und die Entwicklung gegenüber den Vorjahren unklar.“

Also im Klartext: Wir geben euch zwar jedes Jahr jede Menge Zahlen zu Ein- und Aus- und Wanderung überhaupt. Aber wie weit diese Zahlen von der Realität entfernt sind, können wir weder sagen noch auch nur annähernd schätzen.

Sämtliche Sarrazin`schen jahrhundertweiten Modellrechnungen können also schlicht dadurch implodieren, dass die Statistiker mal nicht nur rechnen, sondern auch hinschauen.

Am 9. Mai 2011 dürfte es wieder mal so weit sein. Dann beteiligt sich Deutschland erstmals an einer EU-weiten Volkszählung, die es vor zehn Jahren schon mal gab, aber da waren wir und die Schweden uns noch zu fein, um mitzumachen. Jetzt aber sind alle dabei. Natürlich handelt es sich nicht um eine Volkszählung – wär ja noch schöner, wenn die europäische Vielfalt als ein Volk bezeichnet würde. Die Ämter reden deshalb lieber von Zensus. Mir gefiele aber die plurale Fassung Völkerzählung viel besser. In den ebenso multiethnischen wie -kulturellen Staaten Indien oder Russland betreibt man so etwas ja schon seit langem, und bei den Imkern natürlich auch.

Wenn schon bei der Einführung der neuen Steuernummern im Jahr 2008 (nach meiner Schätzung) auf einen Schlag 100.000 Ausländer Deutschland verlassen haben (besser gesagt die deutsche Statistik, weil es sich ja um Karteileichen handelte): Wie viele ausländische Einwohner werden uns im kommenden Jahr schlicht dadurch verlassen, dass erstmals seit 24 Jahren (West) bzw. 30 Jahren (Ost) wieder ordentlich gezählt wird?

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