Hic Rhodos hic salta.
Vor ein paar Tagen bin ich zu einer Lesung gegangen.
Ich gehe selten zu einer Lesung. Ein freundlicher
Anruf einer Frau aus einem Verlag, in dem der lesende
Autor und ich Bücher veröffentlichen und ein zusätzliches
Email mit Zeit- und Ortsangaben machen mich nachdenklich.
Ein neues Buch sollte vorgestellt werden, eine Auswahl der Kolumnen,
die der Autor in einer überregionalen Zeitung täglich schreibt.
Der Abend ist ungünstig gelegt, das Fernsehen überträgt
ein Fußballländerspiel, ausgerechnet mit der Paarung Italien
Deutschland. Doch Schnaps ist Schnaps und Arbeit ist Arbeit, so
in die Zange genommen, muss ich mir etwas vorlesen lassen.
Vor Tagen lag die schriftliche Einladung in der Post.
Vielleicht reicht es für die zweite Halbzeit, die Lesung ist für den
frühen Abend angesetzt.
Die Sache hat für mich nur einen Haken.
Die Lesung findet im 19. Stockwerk des Springergebäudes statt,
ein Gebäude, das ich noch nie betreten habe, obwohl es ganz in
der Nähe liegt. Der Autor ist Springer- Autor.
Der Name Springer hat sich in meiner Jugend
fest als ein Synonym für Unehrlichkeit, Gewalt und Zynismus
eingegraben. Inzwischen waren fast vierzig Jahre
ins Land gegangen, einiges hatte sich verändert
unter anderem gab es einen Mauerfall.
Es war also an der Zeit, sich dem Gebäudekomplex an der Kochstraße
einmal zu nähern und zwar durch eigene Anschauung, vor Ort.
Die Publikationen Springers reizen mich nicht am Kiosk.
Das Flagschiff, die Bild-Zeitung, lese ich abgelegt im Zug,
sie zu kaufen, dafür ist mir jeder Cent zu Schade.
Es irritieren mich Veröffentlichungen von einigen linken Prominenten,
die so etwas wie eine Schamgrenze unterlaufen und dort publizierten, aber
eigentlich publizieren dort alle, wenn sie gebeten werden.
Kleine, genau gezielte Scharmützel gegen Springer kommen
regelmäßig von einer, abfällig schon mal als „Sektenpostille“ titulierten
Monatszeitschrift.
Dort werden in Serie die giftigsten Pfeile von einem Autor in
der Rubrik „Mein ehrliches Tagebuch“ abgeschossen und es
soll einige Leser geben, die Konkret nur wegen dieser
Rubrik kaufen.
Konkret gegen Springer, war das nicht ein Kampf von gestern?
Nicht für jeden verständlich ist eine Attacke gegen Friede Springer,
witzig vorgetragen und auch treffend, aber warum sollte der
Springer Verlag nicht Geld machen mit einem Schreib-Wettbewerb
aus dem Fundus der eigenen Leser, die ihre erotisch/geilsten Stories
aufschreiben. Dem Gewinner der erotisch/geilsten Geschichte winken
fünftausend Euro, ein Lottogewinn in Zeiten von Ver.di und Hartz4.
Sicherlich freuen sich Millionen Leser, wenn der Bäcker hinten in
der Backstube eine Kundin mal „so richtig durchfickt“
und ihr noch eine Laugenstange gratis in die Einkaufstüte legt,
wie in einer der wöchentlich prämierten Geschichte
zu lesen war. Sex sells, das ist eine Maxime, die Friede Springer
seit ihren ersten Schritten im Hause Springer kennt.
Die Gedanken an die Laugenstange verschwinden auf dem Weg
durch die kalte Kochstraße, die für viele schon Rudi-
Dutschke- Straße heißt, auf der Suche nach der Axel- Springer- Straße 65.
Es schneit, die Straßenschilder sind nicht zu lesen, ein paar Schritte
um die Ecke, und ich befinde mich vor einer großen Zahl,
die wie eine Leuchtskulptur frei auf einer
weißen Fläche steht: 65, darunter Axel Springer- Verlag.
Warum 65, und nicht 68? Freundliches Personal führt mich zu
einer Vorrichtung, die ich von Flughafenkontrollen kenne. Mantel
ausziehen, metallene Gegenstände in ein Plastikkästchen. Hier,
bitte ihr Mantel und dort geht es lang.
Bei der Kontrolle treffe ich einen bekannten Künstler, der mir
erzählt, dass er vor genau 37 Jahren draußen mit Holger Meins Steine
gegen das Gebäude geworfen habe und seitdem nicht mehr in der
Gegend war. Wir folgen gemeinsam den orangefarbenen Pfeilen,
die zu einem Aufzug führen.
An der Tür zum Vortagssaal steht die Dame des Verlages
neben einem schwergewichtigen Professor, der ins Werk einführt .
Man wird persönlich begrüßt, durch Handschlag.
Der große Saal ist mit Lederstuhlreihen bestückt, gedämpftes bis fast dunkles
Licht beherrscht dem Raum. Hier wurde nicht an der Ausstattung gespart.
Links eine Bar, im ersten Drittel einige
Stehtische, dahinter die Stuhlreihen. Nur etwa 30 Personen sind anwesend,
und ich bin überrascht, im Thekenbereich steht Friede Springer und
unübersehbar an ihrer Seite Mathias Döpfner.
Getränke und kleine Leckereien, wie Scampi auf Linsentörtchen,
werden von Hostessen angeboten, ich kann keinen Bissen essen
und frage mich warum. Ein ehemaliger
Chefredakteur der Titanic begrüßt mich, ich komme in ein
Small Talk Geplauder unter anderem mit einer Dame, die einmal beim
Elefanten Press Verlag gearbeitet hat und jetzt ein großes Kultur
Kaufhaus leitet, und ich kann immer noch nichts essen,
obwohl Essen eine meiner Lieblingsbeschäftigungen ist.
Ich möchte gehen, da tritt die Dame des Verlages an mich heran und
die Lesung ihres Autors beginnt.
Der Autor war auch einige Jahre Chefredakteur der Titanic.
Die Prominenz sitzt in der ersten Reihe, ganz außen
der Chefradakteur der Welt, dahinter die graue Eminenz, Ernst Cramer,
nicht weit davon einer der Chefkommentatoren, Michael Stürmer.
Der Autor liest sehr lange. Er spricht über die Anfertigung einer
Kolumne. Seine Ausführungen lösen vor allem in der ersten Reihe
permanente Heiterkeit aus. Friede Springer verdreht beim Lachen den Oberkörper
und führt dabei eine Hand an den Mund, sicherlich um nicht ihr Gebiss zu zeigen,
eine vornehme höfische Geste, hier überflüssig, da vor ihr niemand sitzt.
Ab und zu ist ein „Köstlich“, oder „Wunderbar“ aus ihrem Mund zu hören.
So kommentiert sie die farbigen Dias, die der Autor seinem Elaborat
beisteuert und die an der Frontwand groß zu sehen sind.
Es sind 70er Jahre Farbfotos aus Arbeitsprozessen einiger DDR-Metallbetriebe. Kolumnenarbeit ist Schwerstarbeit und es ist nicht ungeschickt,
wie der Autor den Funken seines Witzes aus den Komponenten Springer Riege/untergegangener DDR Sozialismus schlägt.
Ich schaue auf die Uhr, es wird wohl nur für die zweite Hälfte des
Fußballspiels Italien/ Deutschland reichen, denke ich und
nicke etwas ein.
Am Ende des Vortages bittet man auch mich zum Essen mit der
Konzernspitze im kleineren Kreis. Ich eile zum
Aufzug, an der kostenlosen Welt Ausgabe von morgen vorbei,
fahre hinunter, schlage den Kragen hoch und sitze schon mitten
unter meinen Freunden in der zweiten Halbzeit Italien/ Deutschland.
Italien gewinnt 4:1, eine nationale Katastrophe, wie
Bild am folgenden Tag schreibt. An diesem Abend speist Mathias Döpfner
mit Gregor Gysi. Man trifft sich gelegentlich beim Italiener in Potsdam.