vonErnst Volland 17.07.2008

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Retrospektive Jewgeni Chaldej noch bis zum 28. Juli 2008 im Martin – Gropius- Bau, Berlin.

Die Flagge auf dem Reichstag.

Das berühmte Foto der Flaggenhissung im Mai 1945 auf dem Berliner Reichstag ist zu einer Ikone der Bildgeschichte geworden. Das Foto symbolisiert das Ende des Zweiten Weltkrieges, das Ende Hitler Deutschlands und damit das Ende des deutschen Faschismus.

Seine feste Verankerung im kollektiven Bewusstsein und die große symbolische Bedeutung dieses Fotos scheint die Frage nach der historischen Wahrheit, die diesem Motiv zugrunde liegt, zu verdrängen. Je häufiger das Motiv publiziert und je öfter es weltweit in Schulbüchern, Zeitschriften und im Fernsehen veröffentlicht wurde, desto vielfältiger sind die Fragen, die an dieses Motiv gestellt werden.

Dieser Artikel widmet sich dem Versuch, die Verwirrung, die um dieses historische Bild entstanden ist, an Hand von neuen Dokumenten und Bildern zu entzerren. Denn nicht nur das Foto selbst, das sich im Laufe der Jahre als dasjenige durchgesetzt hat, dass den Sieg über den Hitlerfaschismus symbolisiert, ist ins Zwielicht geraten, auch wer die handelnden drei Soldaten auf dem Foto sind, muss einer Prüfung unterzogen werden.

Das Foto wurde von einem russischen Kriegskorrespondenten der Roten Armee, Jewgeni Chaldej, am 2. Mai 1945 aufgenommen. Ein erster Blick auf die Dokumente sowjetischer und russischer Veröffentlichungen dieses und weiterer Fotos von Flaggenhissungen auf dem Reichstag offenbart eine uneinheitliche, verklärende, aber auch verwirrende und mysteriöse Fülle von Fakten und unterschiedlichstem Bildmaterial. Sicher ist, von allen Varianten der Flaggenfotos hat sich das Foto von Jewgeni Chaldej als das perfekteste und meist veröffentlichte in der Nachkrieggeschichte durchgesetzt. Sein Foto wird inzwischen fast ausschließlich mit der Erstürmung des Reichstages und dem symbolischen Ende des Zweiten Weltkrieges verbunden und entsprechend weltweit verbreitet.

Am 2.Mai.1945 stieg der russische Jewgeni Chaldej mit einer deutschen Leica morgens gegen 7 Uhr auf den Reichstag, um ein historisch bedeutsames Motiv zu fotografieren. Unter seinem Uniformhemd trug er eine rote Fahne mit Hammer und Sichel.

„Als der Krieg begann, sprachen alle vom Reichstag. Es war am frühen Morgen des 2. Mai 1945. Ich betrat das Reichtagsgebäude. Überall war schrecklicher Lärm. Ein junger sympathischer Soldat kam auf mich zu. Ich hatte eine rote Fahne in der Hand. Er sagte: ‚Leutnant, dawai, lass uns mit der Fahne aufs Dach klettern.’ ‚Deswegen bin ich ja hier.’ Wir waren endlich oben. Der Reichstag brannte. Er meinte: ‚Wir wollen auf die Kuppel klettern.’ ‚Nein’, sagte ich, ‚da werden wir verbrennen.’ ‚ Na, dann versuchen wir es hier.’ Wir fanden eine lange Stange. Ich suchte nach Kompositionsmöglichkeiten. Es sollte auch etwas von Berlin zu sehen sein. Ich habe einen ganzen Film verknipst, 36 Bilder und bin in der Nacht zum 3. Mai nach Moskau geflogen.

(1)Von Moskau nach Berlin, 1994, Berlin. Herausgegeben von Ernst Volland und Heinz Krimmer

So beschreibt der Fotograf den Vorgang, der zu dem berühmten Motiv führte. Im Jahr 1945 war er gerade 28 Jahre alt.

Am 10. März 1917, im Jahr der russischen Oktoberrevolution im Donezk Gebiet in der Ukraine als Sohn einer jüdischen Familie geboren, bastelte sich Chaldej mit 12 Jahren seine erste Kamera. Als Material dafür dienten die Brillengläsern seiner Großmutter. Er besuchte nur vier Jahre die Grundschule und erfuhr keinerlei fotografische Ausbildung.1936 siedelte er nach Moskau über und wurde Fotoreporter bei der sowjetischen Nachrichtenagentur TASS. Den Zweiten Weltkrieg begleitete er mit der Kamera seit dem 22.Juni 1941, dem Tag des Überfalls auf die Sowjetunion, und wurde somit Zeuge zahlreicher Kampfhandlungen, vom Norden bei Murmansk bis ans Schwarze Meer. Chaldej erlebte als Soldat und Fotograf den Rückzug der deutschen Truppen und dokumentierte den Vormarsch der russischen Soldaten auf Belgrad, Budapest, Wien und schließlich Berlin. Er war Bildberichterstatter bei der Potsdamer Konferenz im August 1945, ebenso bei den Nürnberger Prozessen 1946. Vermutlich war seine jüdische Herkunft der Grund dafür, dass Chaldej trotz seiner außerordentlichen Kriegsreportagen 1948 bei der TASS entlassen wird. In einer schriftlichen Begründung der TASS werden ihm mangelnde fotografische Qualifikationen vorgeworfen. Mit Unterbrechungen arbeitete er bis in die 1970er Jahre bei verschiedenen Zeitungen, später auch bei der der Prawda. Er starb am 6.Oktober 1997 in Moskau.

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