Auf dem Tisch standen zwei riesige Schalen mit Shrimps aus Mozambique. Aszenso war eigens in den nächsten Ort gefahren, um dort in einem speziellen Geschäft diese besonders großen und frischen Meerestiere zu kaufen. Die Panzer der Shrimps glänzten im matten Schein der Deckenlampe. Wein und Bier standen auf dem Tisch. Jeder benutzte seine Hände zum Essen.
Aszenso hatte eingeladen. Er lebte seit einigen Jahren in Angola, in der Hauptstadt Luanda, um dort sein „business „zu machen. Angola war lange Zeit eine portugiesische Kolonie und Aszenso, der aus einer reichen aristokratischen Familie in Portugal stammte, hatte vor drei Jahren geheiratet, eine dunkelhäutige Schönheit aus Lissabon, deren Eltern aus Angola stammten. Ihre Zwillinge waren gerade ein Jahr alt, und die Projekte in Angola liefen gut für Aszenso. Er war für einen kurzen Aufenthalt nach Portugal allein zurückgekehrt. Seine Frau hatte sich vor kurzem von ihm und den Zwillingen getrennt, und von einem Tag auf den Anderen Angola verlassen, um nach Paris zu gehen. Man munkelte von einer neuen Liebesbeziehung in Paris, aber niemand wusste etwas Genaues. Sie hielt sich jetzt dort für ein Jahr auf, abgesichert durch ein Stipendium.
Aszenso, dessen struppigen Haare nicht zu bändigen waren, und die ihm etwas unbekümmertes verliehen, versuchte für kurze Zeit in Lissabon Distanz zu gewinnen und der Depression zu entkommen, die langsam von ihm Besitz zu nehmen schien. Seine Mutter hatte fürs Erste die beiden Einjährigen zu sich genommen, um die er sich bei der Rückkehr allein kümmern wollte, wie er mehrmals versicherte, auch wenn er gerade geschäftlich sehr beansprucht war. Sein außergewöhnlich langen Wimpern überschatteten die Traurigkeit, die auf seinen Augen lag, er wirkte müde und lustlos, ließ sich aber seinen Seelenzustand nicht anmerken. Sein etwas übergewichtiger Körper steckte in einem einfachen kanadischen Baumwollhemd und Jeans und man fragte sich, was an diesem Naturburschen noch von seiner aristokratischen Herkunft zu erkennen sei. Es sah so aus, als ob er mit seinem Weggang nach Angola eine neue Identität gefunden habe.
Wir unterhielten uns über seine Geschäfte, die sich um Ölbohrungen drehten, und mieden eine Diskussion über die Trennung von seiner Frau und die schwierige Situation, in der er sich befand. Vor kurzem war sein Vater gestorben, ein in Portugal gut bekannten Maler. Er hatte eine enge Beziehung zu seinem Vater, konnte aber den Verlust durch die Konzentration auf seine Geschäfte und die eigene neue Familie kompensieren.
Aszenso nahm ein Stück Brot in seine Hand, die eher einem Maurer gehörte, als einem Geschäftsmann und lenkte das Gespräch in Richtung Afrika.
„In Mozambique gibt es die besten Shrimps überhaupt, was man hier in Portugal bekommt, ist zweite Wahl, nicht schlecht. Aber wenn du einmal die Richtigen gegessen hast, ist es fast unmöglich, zur minderen Qualität zurück zu gehen,“ und er griff wieder in die wagenradgroße Schale. „Dort unten bei uns, schmeißen sie dir das Zeug nach, phantastisch.“
Das Gespräch im Haus gemeinsamer Freunde, eine Stunde Fahrt nördlich von Lissabon, in einem pittoresken Fischerdorf, direkt an einer Steilküste, konzentrierte sich fast ausschließlich auf Aszenso und auf sein Leben in Angola, und ich merkte, dass ich keine Ahnung von diesem Land hatte und stellte deshalb an ihn ganz schlichte Fragen.
„Ich denke, es ist dort nicht einfach zu leben, und auch gefährlich oder?“
„Gefährlich eigentlich nicht, obwohl die Kriminalitätsrate sehr hoch ist. Ich habe ein gut bewachtes Haus außerhalb Luandas, mit einigen fähigen Leuten. OK, wenn ich mit dem Jeep durch die Gegend fahre, ist mein Gewehr und eine Begleitung immer dabei. Aber ich kann mich auf meine Leute im Haus verlassen, wir sind ein gutes Team und zurzeit läuft es mit dem „business“ optimal.“
Seine Ausführungen überzeugten mich nicht ganz, vielleicht war meine eigene Sichtweise auf den schwarzen Kontinent, auf dem ich nicht speziell jedes Land differenzierte, durch Lektüre und Medien nur auf die negative Seite mit Aids, Kriminalität und Hunger fokussiert. Doch mich überraschte die Energie dieses jungen Mannes, der neben seiner Arbeit in Afrika versuchte, seine enormen privaten Schwierigkeiten zu bewältigen und dennoch voller Elan agierte. Er schien sein Leben und seine neue Heimat, dort im Dschungel, so sah ich seine neue Heimat, im Griff zu haben, und diese Tatsache nötigte mir einen großen Respekt ab.
Aszenso leckte das Öl der Schalentiere genüsslich von seinen Fingern.
„Willst du in Angola bleiben?“
„Auf jeden Fall, das Land bietet enorme Möglichkeiten, jetzt ist noch so etwas wie Goldgräberstimmung, jetzt muss man investieren, mal sehen, was aus meinen beiden Jungen wird, vielleicht Präsident oder Bankchef, alles ist möglich, ihr werdet es sehen.“ Er grinste bei dieser Bemerkung und fingerte zwischen den glänzenden Shrimps hin und her, zog ein besonders großes Exemplar aus der Schale, hielt es in die Höhe und sagte. „In Angola hat jeder eine Chance. „
Aszenso war ein echter „business man“, Gutes Essen war für ihn nicht sehr wichtig, sondern selbstverständlich, Kunst wiederum nicht so wichtig, aber seine Geschäfte, die mussten laufen und die Distanz in Afrika zu seinen sehr reichen Eltern in Portugal, gab ihm den nötigen Spielraum und die Gelassenheit, selbst zu bestimmen, was zu tun ist.
Das Gespräch bewegte sich kurz in einen kulinarischen theoretischen Vergleich zwischen Italien und Portugal, führte aber durch Aszenso wieder zurück zu ihm und seinem Leben in Angola.
„In fünf Jahren habe ich ausgesorgt, dann bin ich noch keine vierzig Jahre alt, vielleicht gehe ich dann in die Staaten oder nach Berlin. Berlin ist eine interessante Stadt.“
Vor zehn Jahren hatte er mich mit einem Freund in Berlin besucht, ich hatte seinen Besuch schon fast vergessen, nur sein schelmisches Lachen ist mir noch in Erinnerung geblieben. Jetzt blitzte es wieder ab und zu auf, über seinem Teller, mit dem angehäuften Rest der Meerestierschalen, aber das Lachen wirkte heute nicht so frisch und frech wie früher.
Am nächsten Tag trafen wir uns nachmittags am Strand. Er kam etwas später, legte sich angezogen in den Sand und schlief, bis wir wieder das Feld räumten, um an der Strandbar ein Bier zu trinken. Schlaf schien für ihn in seiner Situation das beste zu sein und er machte reichlich Gebrauch davon.
„Komm doch mal nach Luanda“, forderte er mich mit einer Bierflasche in der Hand an der Bar auf. „Ich fliege morgen über London zurück, in London warten auf mich wichtige Geschäftsleute, der Rubel muss rollen. Wenn du Angola gesehen hast, dann weißt du mehr über Angola, klaro. Es ist ein Land mit Zukunft.“
Wir verabschiedeten uns, denn auch wir hatten nur noch zwei Tage an der Küste, mit einer Umarmung und männlichem Schulterklopfen. Das Versprechen zu kommen, wollten wir halten, vielleicht noch im Winter und dann ging er den langen gepflasterten Weg am Strand hinauf zu seinem Haus. Auf halbem Weg drehte er sich noch einmal um, deutete mit der einen Hand ein Victoryzeichen an, grinste, und verschwand dann hinter den ersten Häusern.
Zurück in Berlin, erhielt ich ein paar Tage später einen Anruf aus Lissabon, Aszenso sei tot. Nach dem ersten Schock fühlte ich mich sofort in meinem Blick auf Angola bestätigt. Im Dschungel Luandas hatte irgendein Schwarzer Aszenso auf Grund seiner weißen Haut oder seines Geldes ausgeraubt und abgeknallt, davon war ich sofort fest überzeugt. Dann hörte ich, er sei durch einen Gewehrschuss auf seinem Anwesen gestorben, aber man weiß noch nicht, wie es passiert ist, die Ermittlungen laufen. Angeblich hat ihn sein bester Freund, der auch sein Geschäftspartner war, erschossen.
Langsam klärte sich die Sache auf. Aszenso selbst hatte sein neues, persönliches Gewehr, in der Annahme, im Lauf befinde sich keine Patrone, in einer Laune nach dem Abendessen vor seinem Haus, seinem besten Freund in die Hand gedrückt. Dieser zielte spaßeshalber auf ihn, in einer Entfernung von einem Meter. Im Lauf befand sich noch eine Kugel.
Aszenso starb auf dem Transport zum Krankenhaus im Auto.