vonErnst Volland 19.12.2013

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

Mehr über diesen Blog

Hut ab

H. wohnte in der Nähe eines Tennisplatzes. Dort verkehrten die Boulevardgrößen Berlins.
Die einzelnen Tennisplätze waren tagsüber immer ausgebucht, so dass H. nur um sieben Uhr morgens für eine Stunde mit einem Tennispartner spielen konnte.
Wir arbeiteten an einem gemeinsamen Projekt, für das ich H. als Co-Autor gewinnen konnte.
Eine Zusammenarbeit mit H. bedeutete, Geduld zu haben in Sachen Pünktlichkeit und Termineinhaltung. Diesmal bat mich H. ihn nach dem Tennis abzuholen und ein gemeinsames Frühstück in einem Cafe einzunehmen. Bei einem solchen Treffen war es nicht sicher, ob es ein Arbeitstermin war oder nur eine vergnügliche Begegnung, bei der er nicht auf das Thema unseres Projektes kam, sondern über Gott und die Welt redete.
Als ich am Ausgang des Tennisplatzes wartete, hatte er wie immer sommers eine kurze Hose an, jedoch einen Hut auf dem Kopf. Es war ein ungewöhnlicher Hut aus der Alpenregion und niemand im Umkreis von zweihundert Kilometer trug eine ähnliche Kopfbedeckung. An einer Seite des Hutes prangte ein breites und langes Büschel Haare. H. erklärte mir, dass es sich um die Haare eines Gamsbartes handele und diese schmale Form des Büschels als eine besonders gelungene Verzierung gilt. Es gäbe etliche unterschiedliche Varianten eines solchen Gamsbarthutes bis hin zu dreißig Zentimeter langen Büscheln, die senkrecht wie ein Fächer am seitlichen oder hinteren Teil des Hutes angebracht sind.
Wir gingen die Straße entlang zum Frühstücks Cafe.
H. begrüßte einen vorbeikommenden und mir fremden Mann, nahm dabei in einer kunstvollen Geste den Hut vom Kopf und sagte,
„Grüß Gott der Herr.“
Der angesprochene Mann blieb einen Meter vor uns stehen. Leicht irritiert blieben wir ebenfalls stehen.
„Das ist aber ein besonders schöner Hut“, sagte der Mann zu H.

“Ja, das ist ein altes Erbstück, noch vor dem Ersten Weltkrieg. Mei Urgroßvadda hat den Huat scho aufghabt.”

Der Mann starrte wie gebannt auf den Hut, den H. auf dem Kopf trug.

Die drei waren sich noch nie begegnet, der Mann, der Hut und H.

“Gei, der gfoit Eahna!”

Der Mann antwortete nicht, er blieb einfach stehen und schaute den Hut an.

“Woin S’n ham? Do is a.”

H. nahm den Hut vom Kopf und setzte ihn mit Schwung auf den Kopf des Mannes.
„Schaut gut aus, passt. Vergellts Gott. Habe die Ehre.“
Wir gingen weiter.
Ich drehte mich um. Der Mann hatte inzwischen den Hut abgenommen. Er blickte abwechselnd auf den Hut und auf uns, dann wieder auf den Hut und wieder in unsere Richtung.
Wir bogen um die Ecke und betraten das Frühstücks Cafe.
„Der Hut liegt schon fünf Tage herrenlos in der Umkleidekabine des Tennisvereins herum. Endlich hat er einen neuen Besitzer,“ sagte H. und köpfte sein Frühstücksei.
Die Tür ging auf. Der Mann kam an unseren Tisch, ohne den Hut abzusetzen.
„Danke, Sie hatten recht, es ist ein Familienstück und schon hundert Jahre alt.
Ich hab’ ihn gesucht wie eine Stecknadel. Nochmals Dankschön, vergellts Gott und habe die Ehre.“
Der Mann verbeugte sich und war aus der Tür. Der Gamsbüschel wippte in der Luft.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/vollandsblog/2013/12/19/horst-tomayer-3/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert