vonErnst Volland 26.04.2015

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Das Haus am Meer war kalt und feucht. Die portugiesische Atlantikküste
ist nichts im Februar für sonnenhungrige Berliner, die der Kälte entfliehen.
Also machen wir uns auf und fahren an die Algarve, in der Hoffnung, dort ein wärmendes Plätzchen zu finden. Auf dem Weg dorthin, im Norden des Alentejo, liegt das Dorf Grandola, berühmt geworden durch das Lied von Jose Afonso „Grandola villa morena“, das bereits lange vor der Revolution geschrieben wurde, sich aber schnell zur Revolutions Hymne entwickelte. Jose Afonso, auch Zeca Afonso genannt, kennt fast jeder in Portugal.
Ich wollte nach Grandola fahren, weil ich gehört hatte, dass diese kleine Stadt dem großen Sänger, der dort nicht geboren wurde, sondern in Aveiro, ein Denkmal gebaut hatte. Außerdem liebte ich dieses Land, das ich seit der Nelkenrevolution vom 25. April 1974 regelmäßig Jahr für Jahr besuchte und das mir nicht nur Sonne, Meer und kulinarische Genüsse schenkte, sondern auch eine Reihe von lebenslangen Freundschaften. Und neben all diesen schönen Begebenheiten rührte mich das Grandola Lied immer wieder an.

Grândola, vila morena
Terra da fraternidade
O povo é quem mais ordena
Dentro de ti, ó cidade
Dentro de ti, ó cidade
O povo é quem mais ordena
Terra da fraternidade
Grândola, vila morena
Em cada esquina um amigo
Em cada rosto igualdade
Grândola, vila morena
Terra da fraternidade
Terra da fraternidade
Grândola, vila morena
Em cada rosto igualdade
O povo é quem mais ordena
À sombra duma azinheira
Que já não sabia a idade
Jurei ter por companheira
Grândola a tua vontade
Grândola a tua vontade
Jurei ter por companheira
À sombra duma azinheira
Que já não sabia a idade

Mit zwei Freundinnen fuhr ich los. Durch die Gassen des Städtchens pfiff ein kalter Wind, der Himmel grau verhangen. Der erste Passant, den ich gleich nach dem Ausstieg aus dem Auto fragte, wusste nichts von einem Denkmal, einer Skulptur oder einem ähnlichen Gebilde für Zeca Afonso. Auch die nächsten drei Personen, die ich fragte, antworteten freundlich, nie etwas davon gehört zu haben oder schüttelten verneinend den Kopf.
Wir erreichten weiter gehend einen viereckigen kleinen Park im Zentrum. Auf einer Bank saßen vier Arbeiter, die für die Pflege des Parks zuständig schienen und sich mit zwei weiteren Arbeitern unterhielten, die, mit einem Arm auf einen Besen gestützt, heftig mitdiskutierten. Ich wartete einen günstigen Augenblick ab und stellte dann zum fünften Mal an diesem Tag meine Frage nach einem Denkmal für Zeca Afonso, hier in dieser Stadt. Schweigen.
Dann sagte einer auf der Bank. “Ja, drei Straßen weiter, neben einem flachen Neubau, da steht so ein Ding. Carla, zeig das doch mal den Leuten.“ Carla, eine einfache, etwa vierzig Jahre alte Frau, mit schiefen Zähnen und halb so groß wie die Italienerin Delia, eine meiner Begleiterinnen, nahm ihren Rechen in die Hand und wir liefen los.
„Mal sehen, ob wir das finden,“ war der einzige Satz auf unserem Weg. Auf einem schmucklosen, unspektakulären Platz, der eigentlich kein Platz war, sondern nur ein verbreiteter Bürgersteig, ragte eine mannshohe, braun gemusterte Marmorsäule mit einem Durchmesser von ca 50 Zentimetern empor. Neben dieser Säule lag eine weitere, gleich lange Säule. An den Enden beider Säulen befand sich nicht ein glatter Schnitt. Die Enden waren unregelmäßig gestaltet, so als ob der eine Teil von dem anderen abgebrochen war. Das Denkmal symbolisierte demnach einen Bruch, den ich jedoch nicht deuten konnte. Die uns begleitende Frau strahlte, als sie das Denkmal sah. Es existierte wirklich, und sie hatte es gefunden. Frische rote Nelken hatte jemand um die Säule gebunden, auf der in goldener Schrift stand: Jose Afonso, 2. August 1929 – 23 Februar. 1987. Wir fotografierten uns in verschiedenen Aufstellungen vor dem Denkmal, hörten auf dem Iphone die Hymne “Grandola villa morena“ noch einmal schweigend ab und verließen den kühlen Ort, durch den der Wind fegte. Keinem von uns war aufgefallen, dass heute der 23. Februar war.
Einige Wochen später treffe ich eine junge Frau, die mir von ihrer Reise durch Nepal erzählen will, durch das sie allein gefahren ist. Zwei Stunden sitzen wir bereits an der Marheinekehalle in Kreuzberg, als ich um eine halbe Stunde Pause bitte, um Besorgungen zu machen. Ich schlug ihr vor, das Lokal zu wechseln, und zu einem portugiesischen Cafe zu gehen, das nicht weit von der nächsten Straßenecke entfernt neu aufgemacht hatte. In Kürze werde ich dort sein, sagte ich ihr, sie könne sich auf mich verlassen.
Wenig später saß sie vor dem Cafe im Sonnenschein und las ein Buch. „Man sagte mir, heute geschlossene Gesellschaft, also gehen wir woanders hin?“ Ich betrat das Cafe. Im Eingangsbereich saßen zwei Frauen, eine davon kannte ich, Annabella, eine Portugiesin, die ich vor zehn Jahren das letzte Mal gesehen hatte. „Nein, keine geschlossene Gesellschaft, erst später. Nehmt Platz.“ Wir setzten uns zu den beiden Frauen. Auch die zweite Frau, schon etwas älter, war eine Portugiesin, die perfekt deutsch sprach. „Ich habe zwanzig Jahre in Berlin gelebt, bin vor einem Jahr zurück nach Portugal, konnte dort keine Arbeit finden und bin jetzt wieder hier.“ Wir bestellten die Getränke. „Und jetzt sucht sie dringend ein Zimmer oder einen winzige Wohnung, weißt du was? Bei mir geht’s nicht mehr“, sagte Annabella. Ich zuckte die Schultern. „Schwierig, so aus dem Stand.“ Ich dachte an ein freies Zimmer in meiner Wohnung, das ich noch nie vermietet hatte, aber ich hatte manchmal daran gedacht, es zu vermieten, war aber unentschlossen. Eines war aber klar: Niemals an eine Frau. Dann begann ich von Grandola zu erzählen und dass ich gerade dort gewesen sei. Dort stehe jetzt ein Denkmal für Jose Afonso. Jose Afonso, der berühmte Sänger des Liedes Grandola. “Ich kenne den Sänger“, sagte die Freundin von Annabella. „Das ist mein Vater.“ In diesem Augenblick senkte ich meinen Blick, um meine Rührung nicht vor den drei Frauen zeigen zu müssen. Ich schluckte und wusste eigentlich nicht, warum ich so gerührt war. „Es tut mir leid, jetzt treten mir Tränen in die Augen.“ Mit der Hand wischte ich die eine Träne ab und spürte, hier konnte ich meine Gefühle zeigen. Dann zahlte ich die Getränke und schlug vor, in meine Wohnung zu fahren, damit Lena Afonso sich das Zimmer anschauen konnte.
Gestern, am 25. April, saß ich in einem voll besetzten Raum in der Linienstraße neben Lena und der jungen Frau, die durch Nepal gereist war und hörte den Liedern einer dreiköpfigen Band mit dem Sänger Rui zu, ‘Filhos da Madrugada’. Alle Stücke des Abend waren von Zeca Afonso komponiert und getextet. Die Gruppe spielte auch das Lied “Grandola villa morena“.

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