vonErnst Volland 19.06.2022

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Der Mann aus Glasgow

Auf dem kleinen runden Tisch liegt auf einem grauen Tuch ein aufgeschlagenes Buch. Es hat weiße Seiten. Neben dem Buch befindet sich ein Kugelschreiber. Ein kompakt gebauter Mann mit kurzen grauen Haaren steht vor dem Tisch, nimmt den Kugelschreiber in die Hand und überlegt ein paar Sekunden, bevor er sich auf den Stuhl setzt und schreibt.

Its a good museum“. David Kennedy. UK.

Ich schreibe: „No more war!“ Ernst Volland. Berlin

Das Museum war ein Frauengefängnis unter französischer Kolonialherrschaft. Eine Guillotine, die mitten in der Ausstellungshalle steht, köpfte noch in den 20er Jahren des 20ten Jahrhunderts junge revolutionäre Frauen, die sich gegen die Okkupation gewehrt hatten.

An den Wänden hängen Fotos der Frauen: Hidaho 20 Jahre. Tikadie 24 Jahre. Durch die Gitterluken kann man die schmalen Innenräume der Zellen im Original sehen. Es gibt kein Inventar, nur ein Steinbett, sonst nichts. Eine schmale Treppe führt zum Obergeschoss des Gebäudes. Als ich die ersten Stufen hinauf gehe,

stößt mich jemand unvermutet am Ellenbogen und sagt „Serry“, was so viel wie Entschuldigung heißen soll. Ich blicke in das Gesicht des Mannes, der vor mir in das Gästebuch seinen Namen geschrieben hat. David Kennedy, UK.

Are you scottish,“ frage ich ihn.

Yes Im scottish“.

Are you proud to be scottish?“

Yes, Im proud to be scottish,“

Wir stehen auf den Stufen der Treppe.

Why dont you write you are scottish, why do you write UK?“

Der Mann schaut mich an. Die rechte Hand umfasst das Treppengeländer, ein Schuh steht auf der nächsten Stufe.

We go now back to that book and you write scottish instead of UK.“

Ich drehe mich um, ohne eine Antwort abzuwarten und gehe die Treppe hinunter bis zum kleinen Tisch mit dem aufgeschlagenen Buch.

Es hatte in der kurzen Zeit inzwischen niemand ein Grußwort geschrieben.

Der Mann streicht UK aus und schreibt daneben Scotland. Er blickt zu mir auf und legt den Kugelschreiber neben das Buch.

You are a very interesting person, can I invite you for a drink?“

Why not, its very hot today in Hanoi, lets go into the next cafe.“

Der Smoothy schmeckt vorzüglich. Der Mann kam aus Glasgow und machte mit einem Freund ab und zu Touren im asiatischen Raum. Sein Freund fühlt sich heute nicht so gut, ist aber eigentlich fit. Nach einer halben Stunde fragt er mich, ich hatte inzwischen erfahren, dass er tief religiös sei und im kirchlich sozialen Bereich arbeitet, ob er mich auch zum Abendessen einladen könne. Ich nehme sofort an und schlage vor, sich in meinem Hotel, ein paar Straßen weiter um 7 Uhr in der Lobby zu treffen.

Auf die Minute sitzen beide auf einem bequemen Sofa in der Lobby.

Aus dem Fahrstuhl kommend rufe ich: Are you proud to be scottish?“

Yes, we are proud to be scottish,“ antworten beide lachend und wir gehen auf die Straße.

Um mein Hotel herum gibt es hunderte unterschiedliche typische Gelegenheiten, preiswert und gut zu essen. Der Freund des Mannes überrascht mich mit der Forderung, nur Curryhühnchen käme für ihn infrage, sonst nichts, nur Chickencurry bitte. Ich gehe an einige Tische heran und versuche zu überzeugen.

Schaut euch das mal hier an. Fisch, Muscheln, dort Fleisch, Gemüse, alles in moderaten Portionen und preiswert, köstlich. „Currychicken, only currychicken, please. Der Mann des Freundes zieht entschuldigend die Schultern hoch und beide gehen weiter. Schließlich finden wir ein Restaurant mit Currychicken. Wir setzen uns und und bestellen. Es schmeckt dem Freund nicht. Man sieht ihm seine schlechte Laune an.

Er hat heute seinen schlechten Tag,“ flüstert mir der Mann ins Ohr. „Wir zahlen und gehen.“ Ich bin mit dem Vorschlag einverstanden, auch weil sich am Nebentisch ein nett aussehendes europäisches Pärchen meines Alters sich inzwischen gesetzt hat.

Die beiden Herren gehen jetzt, kann ich mich an Ihren Tisch setzen? frage ich die beiden am Nebentisch.

Ja natürlich, hier, der ist ein Stuhl frei.“

Ich wechsel sofort den Tisch. Der Mann kommt noch einmal zu mir und entschuldigt sich für die schlechte Laune seines Freundes.

Und,“ fragt mich der Mann an meinem neuen Tisch, „wie fangen wir an?“

Sie trinken Bier aus einem klassischen Hanoi Bierglas. Ich zeigte ihnen das Glas auf einem Foto, das ich gestern gemacht habe.“

Ja, und, was ist daran besonderes?“ fragt die Frau.

Ich zeige ein weiteres Foto in meinem Handy.

Hier sitze ich neben einem Mann in seiner Wohnung, gestern aufgenommen. Wir trinken Bier, beide aus einem Hanoi Bierglas.“

Interessant,“ meint der Mann ironisch.

Ich war gestern bei ihm. Er hat das Glas entworfen, vor 25 Jahren. Einer der bekanntesten Designer in Vietnam.“

Sie sind ein sehr interessanter Mann.“

Das habe ich heute schon einmal gehört. Und wer sind sie?“

Wir sind Chilenen. Meine Frau ist Schriftstellerin. Ich war unter Pinochet

fast zwei Jahre im Gefängnis, danach im Exil in London, 30 Jahre. Seit einigen Jahren sind wir wieder zurück in Chile.

Manchmal trifft man Menschen, die man sofort mag. Enzo und Sylvia.

Im November bin ich bei Ihnen, in Santiago de Chile, versprochen.

 

Zeichnung Ernst Volland 2007

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