vonErnst Volland 22.06.2023

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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9 Euro Ticket Köln, Essen, Bielefeld, Magdeburg Berlin

Das diesjährige Abiturtreffen findet nach 54 Jahren in Köln statt. Gegessen und diskutiert wird an beiden Tagen in drei verschiedenen Brauhäusern. Eines davon ist das bekannte „Päffgen“, das auch andere mögen und daher ist es so laut, dass man seine eigene Stimme am Tisch mit 14 Personen nicht hören kann. Es ist Hochsommer, draußen alle tausend Tische besetzt, drinnen alle 100. Kein Vergnügen. Aber auch dieses wird launig überstanden, insgesamt ein schönes Treffen. Ich hatte Glück, Gabi überließ mir ihre sonnendurchflutete Wohnung und tauchte nur ab und zu dort auf.

Auf dem Rückweg nach Berlin überlegte ich mir, die Strecke in drei Etappen einzuteilen, eine Überlegung, die mir nie einfallen würde ohne das 9 Euro Ticket. Es erlaubt freie Fahrten in allen Zügen außer ICE und IC. Dafür fahren diese allerdings doppelt und dreifach so schnell, sind aber auch teuer. Der erste Stopp wird Essen sein, nur 2 1/2 Stunden entfernt, Zeit wieder einmal ins Folkwang Museum zu gehen. Die hochkarätige Kunstsammlung in der Stadt der Stahlbosse wie Thysen und Krupp besuchte ich vor 40 Jahren das letzte Mal. Eintritt 8 Euro. Ich scherze mit der Kassierin, das sei zu preiswert.

Neben der ständigen Ausstellung wird in einer Sonderausstellung die Geschichte des Plakates gezeigt, von ihren Anfängen bis heute. Sie speist sich aus der Abteilung Plakate des Museums mit 350 000 Motiven, von denen ca 300 ausgewählt wurden. Der Anfang beginnt historisch zu Beginn des 18ten Jahrunderts über die Hochblüte des Plakates Ende der 1880er Jahre bis in die 20er des 20. Jahrhunderts und führt dannn über den Nationalsozialismus und Stalinismus bis in die Nachkriegszeit, die einen Schwerpunkt bildet. Die Abteilung der 60er/70er Jahre überrascht mich. An der Wand hängt ein Plakat von mir zum Thema Berufsverbote aus dem Jahr 1972.

Ich gehe in den Museumsshop, finde den üppigen Katalog zur Ausstellung und auch meine Biografie mit der Abbildung des Motivs. In die Freude mischt sich die Frage, warum habe ich davon nichts erfahren, ich lebe ja noch, während viele, fast alle anderen Künstler der Ausstellung über die Jahrzehnte inzwischen gestorben sind. Egal, denke ich und sage der netten Dame an der Kasse, ich möchte mein Eintrittsgeld zurück, ich bin an der Ausstellung beteiligt. Nach der nicht gespielten Überraschung sieht sie mein Argument, kann jedoch den Betrag aus technischen Gründen nicht zurück geben. Seltsam, ich kenne den Kurator der Ausstellung, aber er hat mich nicht informiert.

Ist er im Hause“, frage ich die Kassiererin.

Er kommt jeden Tag in seine Ausstellung.“

Könnten Sie ihm bitte eine Information übermitteln und einen schmalen Katalog meiner Werke?“

Ich bin sehr erfreut über meine Beteiligung schreibe ich ihm, in der Erwartung einer Antwort und vielleicht der Zusendung des Kataloges.

Die Reise geht weiter nach Bielefeld. Dort erwartet mich ein gedeckter Tisch, ein weiches Bett und drei Kilo Tomaten für Berlin aus dem Garten von M. Von Bielefeld nach Berlin überlege ich mir einen ICE zu leisten, schrecke aber vor 40 Euro zurück. Ich lasse mir Zeit und fahre in drei Etappen über Braunschweig und Magdeburg mit meinem 9 Euro Ticket, umsonst. In Magdeburg verpasse ich den Anschluss nach Berlin mit dem Regio. Die eine Stunde bis zum nächsten Regio nutze ich, um in einem Cafe in aller Ruhe einen Capuccino zu trinken. Doch der Bahnhofsvorplatz bietet eine Steinwüste mit Blick auf Lidl und Aldi.

In einer Nebenstrasse wird sicherlich ein passabels Cafe sein denke ich und finde dieses auch. Am Tresen lachen mich in einer Vitrine herrliche Fruchttörtchen an, die mir der etwa 30jährige Mann hinter dem Tresen besonders empfiehlt. Ich lobe allein den Anblick, habe aber mittags keinen Appetit auf Törtchen, bestelle einen Capuccino und verziehe mich in eine ruhige Ecke. Der Capucciono schmeckt, ich lese Zeitung und bezahle.

Am Tresen fragt mich der 30jährige, ob er mir eine Frage stellen kann.

Nur zu sage ich, jede Frage. Ich fühle mich wohl bei Ihnen.“

Darf ich ihr Alter erraten?“

Ja, das dürfen Sie, aber nur schriftlich. Sie schreiben jetzt meinen Namen auf einen Zettel, wenn Sie haben stempeln sie das Blatt, unterschreiben mit ihrem Namen.“

Der Mann holt ein weißes Blatt und einen Stempel. Er schreibt. „Ich schätze Ernst Volland auf 52 Jahre.“

Ich habe das Portemonnaie bereits in der Hand und ziehe daraus meinen Personalausweis.

Sie irren sich gewaltig!“

Der Ausweis ist gefälscht.“

Ich zahle, verspreche wieder zu kommen und google im Regio das Cafe. Die junge 24jährige Frau des Mannes hat gerade beim Sender Vox den ersten Preis in einem Backwettbewerb gewonnen. Ihre Törtchen sind die besten in ganz Deutschland.

Aus Essen höre ich bis heute nichts vom Kurator.

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