vonErnst Volland 21.11.2023

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Blumen für Barbara

Die Wohnung der Freundin ist nicht leicht zu finden. Sie war vor einiger Zeit in einen anderen Stadtteil umgezogen, in ein sogenanntes Gartenhaus mit der Hausnummer 4, aber ihr Name steht nicht an einer der Türklingeln. Da sehe ich einen korpulenten Mann mit Bart und Hut, unter dem dunklen Jacket eine grell bunte Weste, in der Hand einen Blumenstrauß auf dem Bürgersteig, der schnurstraks auf die Haustür Nr. 4 zusteuert. Der will sicherlich zu der kleinen Nachgeburtstagsfeier von Barbara gehen, kommt mir in den Sinn. Ich frage ihn, ob er auch zur Geburtstagsfeier geht. Er gibt keine Antwort, hält den Blumenstrauß in Richtung der Haustür Nr. 4 und geht auf sie zu. Wir passieren schweigend die Haustür und stehen jetzt vor der Wohnungstür von Barbara, die uns in einer längsgestreiften Butlerweste und schwarzen Hosen begrüßt. „Ihr seht mein Outfit, nur für euch, ihr seid meine Gäste, kommt herein.“ Der Bärtige schreitet voran, streckt ihr die Blumen entgegen und ich murmele beim Eintreten in die Wohnung, „Die Blumen sind von uns beiden.“

Draußen im Garten sitzen schon einige wenige Gäste an weissgedeckten, unterschiedlich großen Tischen, auf die an diesem Spätsommernachmittag die Sonne besonders hell scheint und Gegenstände und Pflanzen zum Leuchten bringt. Ich lege meine Fahrradgepäcktasche auf einen Stuhl an dem Tisch, an dem der Bärtige sich gesetzt hat und gehe in die Küche. Aus der Jackentasche hole ich eine winzige Überraschung für Barbara, die gerade mit dicken Wollhandschuhen ein heißes Blech mit Pflaumenkuchen aus dem Herd zieht. „Wer ist denn der Bärtige?“ frage ich. Sie zeigt mit einem Wollhandschuh auf eine Steckwand über dem Spülbecken. „Dieters Visitenkarte hängt dort, rechts unten.“ Ich schaue die Karte länger an, gehe an den Tisch zurück, an dem inzwischen mehrere Gäste Platz genommen haben und stelle einen vollen Teller mit gerade von Barbara großzügig aufgeschnittenen Pflaumenkuchenstücken mitten auf den Tisch. Der Bärtige greift sofort mit einer Hand zu, beißt ein halbes Stück ab und wendet sich kauend mir zu. „Also, das mit den Blumen fand ich nicht besonders witzig.“ Ich lege mir ein Stück Kuchen auf einen Teller, schenke mir eine Tasse Kaffe ein und frage nach der Sahne. „Kommt sofort“, schallt es aus der Küche. „Zu so einem Pflaumenkuchen gehört einfach Schlagsahne,“ sagt die Frau neben mir. Barbara bringt die Schlagsahne. Ich nehme ihr die Schüssel ab, sie verschwindet wieder in die Küche und ich frage den Bärtigen. „Auch Sahne, Dieter?“

Dieser schiebt sich gerade ein zweites Stück in den Mund, er stockt, blickt mich an und brummt kaum verständlich, noch kauernd. „Wir kennen uns nicht.“

Aber Dieter, wir haben wir uns heute morgen noch getroffen, in deiner Wohnung, Dankelmannstrasse 53. Das wirst du doch nicht bestreiten können oder?“ Der Bärtige schiebt seinen Kuchenteller in die Mitte des Tisches, stützt einen Arm auf den Ellenbogen und blickt starr in die Luft.

Dann seufzt er und sagt.“ Ich habe keine Ahnung, wer du bist und woher du weißt, wo ich wohne, tut mir leid.“ „Falls du es vergessen hast, wir haben vorher telefoniert, du hast übrigens die Festnetztnummer Vorwahl Berlin 7826399, wir haben über einen gemeinsamen Besuch bei Barbara gesprochen und uns darauf verständigt, dass du die Blumen kaufst und ich mich zur Hälfte daran beteilige. Übrigens ein sehr schöner Strauß.“

Bisher soweit so gut. Oder auch nicht. Denn es drängt sich die Frage auf: Darf man das? Genauer, darf man eine fremde Person auf diese Weise so irritieren?

Der Leser soll selbst entscheiden.

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