vonErnst Volland 15.12.2023

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Kapitel 13

Mit gekreuzten Armen sitzt Jack vor mir. Ohne ein Wort zu sagen, streckt er einen Arm aus, tippt mit dem Zeigefinger an meine Stirn und immitiert mit der Spitze eine Bohrung in meine Haut. Ich bleibe ruhig sitzen, bis er seinen Finger wieder zurück zieht.

Geschätzter Freund, die Stern-Tagebücher solltest du dir in Erinnerung rufen. Das war ein mediales Highlight, im übrigen eine leicht zu durchschauende Fälschung, wenn man das Deckblatt mit den zwei Buchstaben in Alt Deutscher Schrift betrachtet, A und H. Aber das A auf dem Titel des ersten präsentierten Tagebuchs war nie ein A, sondern ein F! Klar, im Nachhinein ist man immer klüger. Kann nie schaden, also von A nach B oder von A nach F. Alles klar?

Die Tagebücher schrieb Kujau mit einer Handschrift, als wäre er selbst Hitler, perfekt. Nur, Hitler hatte nie Tagebücher geschrieben, das wussten die Historiker. Die wollten einfach, dass die echt sind. Punkt. Stell dir mal vor, was das an Ruhm und sicherlich auch Kohle für die Experten gebracht hätte, wenn die Tagebücher von Hitler wirklich echt gewesen wären. In diesem Punkt trifft sich übrigens die Fälschung mit dem Fake. Die Fälschung wurde so geschickt inszeniert, psychologisch aufgeladen und in einen glaubwürdigen Kontext gesetzt, dass man den Experten die Tagebücher von Stalin oder Mao hätte unterjubeln können mit der Behauptung, sie seien von Hitler, so sehr waren sie auf den Plot eingestimmt und entsprechend aufgekratzt, an einem historisch einmaligen Fund dabei zu sein. Man spricht in diesem Fall davon den „Wald vor Bäumen nicht zu sehen“ , ein Spruch, der auf den Dichter Christoph Martin Wieland zurück geht.

Die Herren dieser Art blend’t oft zu vieles Licht;

Sie sehn den Wald vor lauter Bäumen nicht.“,

oder etwas schlichter ausgedrückt, ein „Brett vor dem Kopf zu haben“.

Jack nimmt den letzten Schluck aus seinem Bierglas, schaut mir in die Augen, hebt zwei Finger in die Luft, die dem Victory Zeichen auf dem berühmten Foto mit Churchill ähneln und Jenny signalisieren, zwei weitere volle Gläser zu bringen.

Die gehen auf meinen Deckel, übrigens, falls du dich erinnerst, der Schwindel flog nach einer Woche auf, durch ein Gutachten der Bundesanstalt für Materialprüfung. Dort stellten sie fest, dass der Stoff für die Bindung der Tagebücher erst nach dem zweiten Weltkrieg hergestellt wurde. Noch genauer: Bei einem Test unter ultraviolettem Licht luministzierte das Papier, wodurch sich sogenannte Weißmacher nachweisen lassen, die erst seit Anfang der 50er Jahre bevorzugt zur Papierherstellung und in Textilstoffen eingesetzt werden. Der „Stern“ zahlte dem Kunstfälscher Kujau umgerechnet fast 5 Mill. Euro für seine Tagebücher. Das Motiv von Kujau scheint doch vorwiegend Geld gewesen zu sein, allerdings kann ich mir auch vorstellen, dass Kujau sich diebisch über seinen Coup gefreut hat, was heißt gefreut, der hat sich beim Schreiben von neuen Tagebüchern kaputt gelacht.“

Jenny stellt uns eine Schale Chips und Erdnüsse auf den Tisch. „Vom Haus“, sagt sie und „es ist noch mehr da.“

Wir greifen beide sofort in die kleine Schale. Dabei berühren sich kurz unsere Finger. Die Hand von Jack weicht automatisch zurück, ohne einen Chip zu nehmen. Er lässt mir den Vortritt. Im ersten Moment erzeugt die Berührung durch die leichte Reibung auf der Haut ein unangenehmes Gefühl. Die Haut der Finger registrieren komplexere Vorgänge, die ich in diesem Augenblick noch nicht differenzieren kann. Innerhalb kurzer Zeit sind Jack und ich uns immer näher gekommen. Wir gaben uns ab und zu bei unseren Treffen die Hand, klopften uns auch anerkennend auf die Schulter. Die Reibung und unsere Reaktion interessiert mich, ich kann jedoch nicht mit Jack darüber sprechen, was mich irritiert, denn mit Jack lasse ich kein Thema aus. Aber war es überhaupt ein unangenehmes Gefühl, war es nicht eher ein unerwartetes Gefühl?

Ich verabschiede mich von Jack, der über mein plötzliches Verschwinden nicht erstaunt ist. Vielleicht denkt er auch über das Gefühl nach, das durch unsere Berührung entstanden ist und respektiert meinen Abgang. Wir verabreden uns für den nächsten Tag, entweder treffen wir uns in der Mundbar oder am Abend im Lido.

In die Galerie kommen jetzt viel mehr Besucher, als zu anderen Ausstellungen. Mantem ergänzt die leere Wand mit allen neuen Artikeln über die Vorgänge innerhalb der Ausstellung durch Zeitungsausschnitte und Internet-Ausdrucke. In der Fülle erkennt niemand die Duplizität der gleichen Inhalte aus dem Web und der gedruckten Zeitung. Eine von Charlotte vor der Wand aufgestellte große durchsichtige Vase mit langstiligen Blumen verleiht der Wand einen Kultstatus, einem Altar ähnlich. Davor drängen sich die Besucher.

Ich komme nicht dazu, mich mit Jack mittags in der Mundbar zu treffen. Am Nachmittag rufe ich ihn in seinem Verlag an, und wir verabreden uns im Lido.

Nach den zwei bestellten Bieren, die mit einer Schale Erdnusskernen von Jenny sofort auf unseren Tisch gestellt werden, setzten wir unser Gespräch fort. Die Fingerberührung greife ich nicht auf, es geht um Fälschung und Fake.

Dann danke ich Jack für das erste spendierte Bier und die ausführliche Erinnerung an den Hitler- Tagebücher-Skandal. Ich greife kurz das Thema Fälschung an um dann ausführlich auf meinen Fake zu kommen.

Viele Künstler sind ja ganz einfach zu kopieren, zum Beispiel Miro. Nolde ist schon etwas schwieriger, und ganz kompliziert wird es bei den alten Meistern. Da muss ein Profi ran wie der Holländer Han van Meegeren, der kurz nach dem Zweiten Weltkrieg ausgezeichnete Vermeers malte. Van Meegeren war selbst Maler und Restaurator, der verstand sein Handwerk. „

Van Meegeren sagt Jack nichts. Ich bin sicher, er wird heute noch bei Wikepedia nach dem Kunstfälscher recherchieren. Vorsichtig deute ich an, dass ich etwas anderes meine als Kujau und seine braune Truppe mit dem Stern-Journalisten Heidemann an der Spitze, dem es um mehr als Nationalistische Devotionalien ging. Sie hatten sich im Dritten Reich eingerichtet, zwar museal, konnten aber ihre Sympathien für Hitler nicht leugnen.

Ich selbst hatte vor einiger Zeit von einem Vorfall aus meiner Fahrradgruppe gehört, der mich nachdenklich stimmte. Der Vater einer Teilnehmerin war in der DDR noch vor dem Mauerbau als CIA-Spitzel aufgeflogen. Nach einem langen Prozess und einer Haftstrafe von drei Jahren, wurde der Mann vorzeitig frei gekauft. Im Westen verdiente er sich später unter anderem sein Geld durch Malen von Hitler Portraits, die er in “gewissen Kreisen“ gut absetzen konnte.

Jack zeigt sich von diesem Fall nicht überrascht. Er spricht von einem braunen Netzwerk mit Leuten aus dem Top Management und der Politik in der Bundesrepublik der 50er und 60er Jahre.

Diese Diskussion führt mich jetzt zu weit weg von meinem Vorhaben, das mir noch völlig unausgereift erscheint, und auf das ich mich konzentrieren möchte. Ich bitte ihn noch einmal ausdrücklich, mit niemandem darüber zu sprechen, dann lenke ich unser Gespräch wieder auf meine Fake-Idee, die wirklich sehr schwer zu realisieren ist. Dass ich Lust und starkes Interesse an einer solchen künstlerischen Aktion habe, versuche ich ihm mit einer Geschichte schmackhaft zu machen.

Die Geschichte handelt von meiner Musterung für die Bundeswehr, und ich erzähle sie Jack genau so ausführlich, wie er mir seine Kenntnisse über die gefälschten Hitler Tagebücher erzählt hat.

Jack, ich kann mich an etliche Details erinnern, sogar an ganze Dialogpassagen. Es fing damit an, dass eines Tages ein Brief im Briefkasten mit der Aufforderung lag, an einem Freitag um 9 Uhr zur Musterung der Bundeswehr zu erscheinen. Pünktlich stehe ich mit etwa fünfzig jungen Männern vor der Kaserne. Jeder nennt seinen Namen, bekommt eine Nummer, ich die Nummer 9, das weiß ich noch ganz genau, Nummer 9, und die erste Untersuchung beginnt. Blutdruck, Kniebeugen mit ausgestreckten Armen, Blutabnahme fertig und ins nächste Zimmer.

Setzen Sie sich auf diesen Stuhl.“

Ein Arzt steht mit dem Rücken zu mir am geschlossenen Fenster. Sein ausgestreckter Arm deutet mit dem Zeigefinger auf einen mitten im Raum stehenden Stuhl. Langsam dreht der Arzt sich um und geht zum Schreibtisch.

Irgendwelche Kinderkrankheiten, Masern, Mumps und dergleichen?“

Ja, Masern, ich glaube Masern hatte ich.“

Längere Aufenthalte im Krankenhaus?“

Nein.“

Irgendwelche Geisteskrankheiten in der Familie?“

Bei mir gehen in diesem Moment sämtliche Lampen an plus Deckenbeleuchtung. Du wirst es nicht glauben, Jack, aber so eine Steilvorlage, die durfte ich nicht verpassen, und ich antwortete:

Ja, sicher. Wie Sie wissen, heute ist doch jeder so ein bisschen Plemplem.“

Der Arzt hebt seinen Kopf und schaut mich an.

Können Sie das noch einmal wiederholen.“

So eine kleine Meise hat doch heute jeder.“

Der Kopf des Arztes bewegt sich nach links und dann nach rechts, als ob er sich vergewissern wolle, dass sich keine weitere Person im Raum befindet. Ohne einen Kommentar notiert er einige Sätze auf sein vor ihm liegendes Formular. .

Hören Sie Stimmen?“

Für diese Frage hätte ich ihn küssen können.

Ja.“

Erzählen Sie doch mal, was hören Sie denn?“

Jack, ehrlich, in dem Augenblick erzählte ich dem Arzt einfach das, was mir gerade einfiel.

Ja wissen Sie, manchmal abends, wenn ich im Bett liege, steht irgendjemand, ich weiß nicht wer, hinter dem Vorhang und ruft: „Hallo, Hallo.“

Interessant, interessant und wie ist es bei ihnen, wenn sie auf der Straße laufen?“

Ich wechsle ab und zu die Straße, gehe auf die andere Seite, weil ich

denke, hinter mir läuft jemand.“

Danke“ sagt er dann, „das reicht, Sie können in die nächste Abteilung gehen.“

Der folgende Augenarzt erledigt seine Prüfung in zwei Minuten. Anschließend warten die ersten Gemusterten auf den Wehrpass zur Eignung für die Bundeswehr.

Nummer 4 hält strahlend seinen Wehrpass in die Höhe und ruft meine Nummer, die 9 auf.

Ich rein. Vor mir sitzen an einem langen Tisch drei Personen.

Wir können Ihnen den Wehrpass leider nicht ausstellen. Es ist etwas dazwischen gekommen. Hier ist ein Umschlag für Sie. Bitte nehmen sie diesen Umschlag und gehen Sie sofort zu Nervenarzt Dr. Barschel. Die Adresse steht auf dem Umschlag. Herr Dr. Barschel erwartet Sie.“

Ich will nicht zu Dr. Barschel, ich will zu den Panzern.“ sage ich, Jack. Ich habe keine Ahnung, wer mir das zugeflüstert hat, aber ich schwöre, es war so.

Panzer? Das wird vorläufig nicht möglich sein, vielleicht einmal Sanitäter. Rufen Sie bitte Nummer 5 herein.“ Ich wieder raus, steige auf mein Fahrrad und radle direkt in die Praxis des Nervenarztes, der mich sofort in sein Behandlungszimmer bittet. Zum ersten Mal sehe ich, wie das bekannte Hämmerchen funktioniert, das an das Knie geschlagen wird und den Reflex des wippenden Fußes erzeugt. Die Untersuchung dauert eine halbe Stunde.

Ich kann an ihnen nichts Auffälliges finden. Sie haben ein gutes Reaktionsvermögen, sind normal intelligent, also ich kann mir keinen Reim daraus machen, was in den Papieren steht,

die Sie mitgebracht haben. Hier steht zum Beispiel, Sie seien auffällig grimmassiv.“

Sagt der Nervenarzt und ich frage zurück:

Was ist denn grimmassiv“

Das sind Gesichtszuckungen. Sieht etwa so aus:“

Der Arzt bewegt Mund Augen und Nase gleichzeitig in verschiedene Richtungen. Ich muss lachen.

Eine unangenehme Sache die Grimmassivität, aber ich kann sie bei Ihnen nicht feststellen, überhaupt nicht. Also, sagen Sie mir, was ist los mit Ihnen.“

Darf ich ehrlich sein? Ich beschäftige mich mit Kunst, male, verstehe mich als Maler und bin gerade in einer kreativen Phase. Ich möchte die nächsten zwei Jahre nicht bei der Bundeswehr verbringen.“

Ich dachte, jetzt schmeißt er mich raus. Aber nein:

Das finde ich gut, das war keine schlechte Idee von Ihnen. Ich schreibe Ihnen jetzt ein Gutachten, das so ausgerichtet ist, dass Sie nicht zur Bundeswehr müssen. Ich lasse mir ein paar knackige Formulierungen einfallen. Wünsche alles Gute und auf Wiedersehen.“

Da war ich doch baff, war eigentlich ganz einfach.

Zu Hause erzähle ich meiner Mutter freudestrahlend das Ergebnis meiner Musterung.

Ich bin untauglich, ich muss nicht hin, ich höre Stimmen.“

Mein Bericht löst bei meiner Mutter Tränen aus, aber nicht der Freude, sondern des Zorns.

Bist du wahnsinnig? Was hast du gemacht? Das steht für immer in deinen Papieren. Deine Zukunft ist verbaut. Du kannst mit diesem Ergebnis nicht studieren. Warte nur, bis dein Vater da ist.“

Einige Stunden später, es ist früher Nachmittag, fordert meine Mutter meinen Vater auf, bei der Musterung anzurufen. Mein Vater wählt die von meiner Mutter bereits mühselig gesuchte Telefonnummer.

Meine Mutter sitzt auf dem Sofa, ein Taschentuch in der Hand, das sie hin und wieder über die Augen reibt. „Paragraf 51, mein Sohn hat Paragraf 51.“ Stöhnt sie ab und zu.

Du weißt sicherlich, dass mit diesem Paragrafen, dem sogenannten Jagdschein, die Unzurechnungsfähigkeit von Personen gemeint ist.

Mein Vater ruft also bei der Musterung an und sagt sinngemäß Folgendes:

Hallo, ich wollte kurz Stellung nehmen zur Musterung meines Sohnes. Mein Sohn ist nicht verrückt.“

Ich höre ein Schluchzen meiner Mutter. Meine Mutter schaut meinen Vater erwartungsvoll an.

Er erzählt uns dann, dass ich in zwei Jahren noch einmal gemustert werde und hält mir ne Standpauke mit angeblichen Qualifikationen aus seiner Militärzeit- Er war mit siebzehn Jahren ein halbes Jahr lang Flakhelfer. Das erfuhr ich aber erst später.

Junge, ich war jahrelang im Schützengraben, Mann gegen Mann. Da wirst du doch die zwei Jahre bei der Bundeswehr absitzen können. Kann dir nicht schaden.“ So was in der Preislage.

Ja, so war die Stimmung bei uns zu Hause, dieGeschichte ist noch nicht zu Ende.

Der Termin der zweiten Musterung rückt näher. Von einem Freund erfahre ich, dass es die Möglichkeit gibt, die Bundeswehr zu verklagen. Allerdings muss man gute Argumente haben. In meiner Dachstube im Haus meiner Eltern stapeln sich die gemalten Bilder, und Grafiken. Auf keinen Fall will ich zur Bundeswehr. Ich reiche die Klage ein, die trotz Volljährigkeit auch von meinem Vater unterschrieben werden musste. Keine Ahnung, warum das so war. Jedenfalls wurde mein Vater auch zur Verhandlung eingeladen und fuhr auch hin, zusammen mit mir.

Sie findet siebzig Kilometer entfernt in einem Stützpunkt der Bundeswehr statt. Im Zug zur Verhandlung komme ich mit meinem Vater ins Gespräch.

Wenn Sie dich zwingen zur Bundeswehr zu gehen, dann musst du hin. Pflicht ist Pflicht und Schnaps ist Schnaps.“

Ich will aber nicht gehen.“

Was willst du dagegen tun? Wenn ich dir irgendwie helfen kann, dann mache ich das, doch jetzt scheint es zu spät zu sein. “

Ich ziehe einen großen Umschlag aus meiner Tasche, öffne diesen und zeige meinem Vater einen Brief.

Hier, lies, ich war noch einmal bei Nervenarzt Dr. Barschel, habe ihn gebeten, sein Gutachten zu erneuern und so wasserfest zu gestalten, dass ich nicht den Dienst antreten muss. Hört sich doch ganz gut an.“

Mein Vater überfliegt die Zeilen..

Alle Achtung, Respekt. Anerkennung. Ich werde dich bei der Verhandlung unterstützen.“

Wir sind beide etwas nervös, als wir den Verhandlungsraum betreten. Hinter den an hohen Tischen sitzenden Personen hängen die Fahnen der Bundeswehr und der Bundesrepublik. Mein Vater und ich bleiben kurz zur Orientierung mitten im Raum stehen, den Blick auf die Personen an den Tischen gerichtet. Ich höre direkt neben mir das Zusammenschlagen von zwei Schuhen, das in der Stille einen lauten Knall erzeugt und sehe aus den Augenwinkeln den gestreckten Arm meines Vaters.

Heil Hitler!“

Nach drei Minuten ist die Verhandlung beendet.

Ich habe nie einen Wehrpass bekommen.“

Jack hält seinen Bauch mit beiden Händen fest, warum ist mir nicht klar, denn er hat so gut wie keinen und auch zum Lachen ist der Bauch nicht unbedingt notwendig

Er steht auf, zeigt seine ganze Körpergröße, beugt den Oberkörper ein wenig nach vorn, klopft mit zwei seiner langen Finger auf den Tisch und ruft, „Heil Hitler, das ist ja ein Ding, doll“.

Dann setzt er sich wieder hin, bestellt zwei Pils, die er auf seinem Deckel anschreiben lässt, „Das Bier hast du dir echt verdient, Mannomann, in was für einem Haushalt bist du denn aufgewachsen?“

Jacks Geburtshaus stand in Karl- Marx- Stadt, einer Stadt, die nach der Wende ihren alten Namen wieder angenommen hatte, Chemnitz. Den riesigen Schädel von Karl Marx, einer monumentalen Steinskulptur, aus den 70er Jahren, von einem russischen Bildhauer gemeisselt, rührten die Chemnitzer Bürger und Lokalpolitiker nicht an und verhinderten eine Schleifung. Sicherlich nützte Marx seine Nationalität als Deutscher Jude, dass sein Kopf nicht atomisiert wurde, ganz im Gegensatz zu den vielen Lenin-Statuen in der ehemaligen DDR, die so gut wie alle vom Erdboden verschwunden sind. 1984 stellte Jack, der eigentlich Joachim heißt, einen Ausreiseantrag, dem zwei Jahre später, 1986, stattgegeben wurde. Er hatte mir über diese Vorgänge aus seiner Stadt erzählt, ohne jeden sächsischen Akzent, den er beherrschte, ihn aber nie benutzte. Nebenbei erfuhr ich sein Promotionsthema, das er kurz nach seiner Ausreise durch ein Stipendium der Friedrich-Ebert- Stiftung beginnen konnte. „Einar Schleef, Schriftsteller oder Maler?“

Jetzt aber mal wieder zurück zu deinem Fake, deinem Fake potentialis, denn du weißt ja noch überhaupt nicht, wie der aussehen soll.“

Ich beginne, langsam, und nach Begriffen suchend, wie ich mir die Sache vorstelle, betone seine

Kooperation, er sei wirklich willkommen theoretisch und praktisch. Aber man solle auch nicht alles zerreden, denn meine Lebensweise, und das sei auch hier bei diesem Fake der Fall, sei nun mal so, dass ich nicht alles an einem Reißbrett plane, sondern einen Stein ins Wasser werfen möchte und dann beobachte, wie sich die Ringe um die Einwurfstelle vermehren. Ich bevorzuge mehr die spielerische Variante.

Jack unterbricht mich und fragt, ob ich schon einmal etwas von Marcel Duchamp gehört habe.

Ich antworte nicht. Unverschämte Fragen beantworte ich nie.

War doch nicht so gemeint, klar kennst du Duchamp, aber der passt jetzt. Duchamp hat mich mal sehr interessiert, ehrlich gesagt, mehr als sein Antipode in der Kunst des 20. Jahrhunderts, Picasso. Ich habe sogar einmal einen Artikel über Duchamp veröffentlicht, der ist wirklich interessant, also der Duchamp, mein Artikel vielleicht auch.

Duchamp ist spielerischer und auch intellektueller als Picasso. Ich denke, er bewegte sich wie ein Spieler in der Moderne und kannte auch die Gesetze der Moderne, also die Ichbezogenheit, die fixe Idee vom Fortschritt, das bürgerliche Streben nach Ansehen und schließlich den Glauben an die soziale Sprengkraft künstlerischer Praxis. Den letzten Punkt entwickeltet dann ja Beuys weiter, mit seiner sozialen Plastik, Ok, nix Neues für dich. Duchamp hatte die Fähigkeit, die Spielanordnung der Moderne genau zu erkennen, und er war gleichzeitig in der Lage, sich selbst als Spieler in dieser Ordnung zu bewegen. Ich würde sogar sagen, er hat sie alle mit seinem Urinal auf den Arm genommen.

Wenn du mich fragst, dann war Duchamp der erste Faker überhaupt mit seinem Urinal und der Fremdsignatur R. Mutt (Richard Mutt). Genial, sein Pissbecken mit der Bezeichnung „Fountain“ als erstes Ready made 1917, für eine Ausstellung einzureichen. Das war damals eine echte Provokation. Die bekannte Fettecke von Beuys ist ohne Duchamp nicht denkbar. Aber Achtung, lass deinen fiktiven Künstler nicht so etwas wie ein Ready made basteln, die Sache ist ausgelutscht, nicht zuletzt als Objekt trouve bei den Surrealisten.

Das Original Urinal von Duchamp landete übrigens damals auf dem Müll. Es stellte eher eine skandalisierte artistische Geste dar, als dass es ein begehrtes Objekt war.

Nach dem zweiten Weltkrieg stieg Duchamp allmählich zur Kultfigur der Popkünstler auf, die Alltagsgegenstände für ihre Kunst benutzten. Es dauerte nicht lange, bis Duchamp von cleveren Galeristen und Kuratoren weich geklopft wurde und neue Pissoirbecken kaufen ließ. Diese wenigen Urinale befinden sich heute in den bedeutendsten Museen der Welt, wie im Philadelphia Museum of Art, oder im Moderna museet in Stockholm. Jetzt kommt der eigentliche Gag. Mitte der 60er Jahre edierte Duchamp zusammen mit einem Mailänder Galeristen noch einmal zwölf Urinale, alle wurden ordentlich signiert und registriert. Sie befinden sich in Sammlungen in Paris, Rom, London San Francisco, Kyoto, Jerusalem und Ottawa. Unter zwei Millionen Euro ist keines dieser Urinale zu haben. Der Gag, von dem ich sprach ist, dass darüber hinaus weitere Urinale auf dem Markt auftauchen, angeblich drei Stück und für Verunsicherung sorgen. Duchamp hätte seine Freude dran. Das wärs doch. Du bringst noch ein Duchamp R. Mutt Urinal auf den Markt und steigerst die Verunsicherungen in den propperen Sammlungen in London und Rom.“

Pass mal auf, äh, äh, …“

Ich beginne meine Antwort auf die interessanten Ausführungen von Jack mit dieser Floskel und beende meinen angefangenen Satz.

Quatsch.“ „ Pass mal auf“, wollte ich nicht sagen, ist mir so rausgerutscht, blöde Phrase, „pass mal auf“, aber ich kenne mich auch ein bisschen mit Duchamp aus, aber Objekte kann ich sowieso nicht basteln. Mein Künstler wird sicherlich malen, ganz traditionell malen, denn Malerei ist zeitlos und immer wieder gefragt.“

Aber das Urinal „Fountain“ mußt du nicht basteln, nur kaufen, im nächsten Supermarkt, bei OBI.“

Ohne auf den letzten Satz von Jack noch einmal einzugehen, zeichne ich mit einem Bleistift, den ich immer bei mir in der Jackentasche trage, eine Modellkonstruktion auf ein Stück Papier, ähnlich einer chemischen Formel. In der Mitte befindet sich im Kern der fiktive Künstler, um ihn herum bewegen sich alle wichtigen Bezugspersonen, die notwendig sind, damit der Künstler Erfolg hat : Galerist, Journalist, Sammler. Perfekt wäre die Beteiligung eines Museumsdirektors.

Jack, ich behaupte, wenn sich diese drei, vier Personen einig sind, können sie einen Künstler ganz nach vorn bringen. Wie die Bilder aussehen, ob sie gemalt oder collagiert sind, getupft, gestanzt oder gesägt, kann ich noch nicht sagen.“

Das ist ja gar nicht so weit von Duchamp entfernt, also, ich denke, da hast du ihn sozusagen geistig mit im Boot.“

Jack, hör bitte zu, mit diesem Fake sehe ich mich in der Tradition von Dada, und zwar in der politischen Linie von Dada, John Heartfield, George Grosz und Raoul Hausmann. Mein Fake übt Kritik an der Vermarktung von Künstlern, ist aber auch selbst eine eigenständige künstlerische Aktion.“

Jack scheint nachzudenken, da er auf meine Ausführungen nicht reagiert. Er schaut in sein Bierglas, in dem noch ein Rest Bier vorhanden ist, schüttelt das Glas hin und her, trinkt den Rest mit einem Schluck aus, stellt dann das leere Glas ordentlich in die Mitte seines Bierdeckels und schweigt weiter.

Ich bestelle zufrieden per Fingerzeig bei Jenny zwei neue Getränke. Durch das Gespräch mit Jack bekommt mein Vorhaben Konturen und erhält ein Profil. Jack lobt die satte Schaumkrone im Bierglas, was Jenny nicht hört, denn sie bedient sofort andere Gäste. Mit einem Zug trinkt er das Glas leer.

Dein Künstler sollte kein Deutscher sein, eher ein Ausländer, aber einer, in dessen Land der Kunstmarkt funktioniert. Lass mal sehen. Das hätten wir ganz vorn die Amerikaner, die den Markt seit dem Zweiten Weltkrieg dominieren und kontinuierlich ihre Leute in den Spitzenplätzen positionieren. Dicht dahinter die Engländer und die Deutschen. Dann kommt erst mal nix, dann die Franzosen, Japaner, neuerdings die Chinesen. Ist dir schon einmal aufgefallen, dass die reichsten kapitalistischen Länder auch die meisten Künstler stellen oder kennst du irgend einen berühmten Maler aus Togo, Ghana oder den Phillipinen? Fehlanzeige. Dort gibt es keine Künstler. Die medial bekannten Künstler werden mehr oder weniger eurozentrisch mit den Amerikanern bestimmt und beherrschen ideologisch den Weltmarkt. Jedenfalls gucken alle anderen Länder, die nicht in diesem Netz mitspielen, in die Röhre. Das führt jetzt eine wenig zu weit, ich denke jedoch, dein Künstler sollte aus einem europäischen Land kommen, auf keinen Fall aus einem exotischen. Frankreich wäre gut, denn Frankreich besitzt eine reiche kulturelle Tradition, Paris war hundert Jahre die künstlerische Welthauptstadt, besonders in der bildenden Kunst, von 1850-1950, grob geschätzt. Seitdem die Amerikaner den Markt beherrschen, hört man von den Franzosen fast nichts mehr. Es wäre also interessant, einen neuen jungen, französischen Künstler zu etablieren.

Hast du eigentlich die Biere bestellt?“

Unser Fakethema erscheint mir so interessant und spannend, dass ich im Augenblick nur darauf konzentriere. Sofort bestelle ich zwei Bier. Jack jetzt aus dem Tritt zu bringen, wäre unvernünftig. Ich bin verblüfft über seine aktuellen Kenntnisse, die ich einem promovierten Spezialisten der „deutschen Aufklärung“, nicht zugetraut hätte.

Du hast Recht, ja, genau, es sollte ein Franzose sein, einfach weil dieser sich der unmittelbaren Information entzieht. Mein Künstler lebt in Frankreich und Frankreich ist weit weg, wenn man es von Deutschland aus betrachtet. Die deutsche Galerie und Museumsszene ist kaum zu überblicken, noch weniger die französische. Oder kennst du dich da aus? Nein. Der junge französische Künstler müsste dann von Paris nach Berlin gehen, erst einmal auf unbestimmte Zeit. Sein Alter wäre etwa fünfundzwanzig bis dreißig Jahre, er hat in Paris studiert, dann ein, zwei Semester in London, dazwischen einen dreimonatigen Studienaufenthalt in New York verbracht, ist jetzt in Berlin und erzählt jedem, wie geil die Stadt ist.“

Ja, nicht schlecht. So in etwa könnte unser Homunculus beschaffen sein und du hast jetzt gleich vier Länder mit seiner jungen Vita verknüpft, cool. Bisschen New York, bisschen London, viel Paris und jetzt ne Masse Berlin. Perfekt. Mensch, das wird doch was mit deinem Fake. Nicht vergessen: Der junge Franzose braucht natürlich eine Homepage und eine Emailadresse. Beides kann ich dir einrichten. Ich weiß nicht, wie lange du ihn als Internetgröße am Leben lassen kannst, vielleicht brauchst du eine reale Figur, eine Person, die deinen französischen Künstler spielen muss, im Notfall, zumindest solltest du darauf vorbereitet sein. Moment, jetzt bin ich ja selbst mitten drin. Ich hoffe, du hast nichts dagegen.

Zwei Wodka?“

Na klar, Homepage und Wodka, plus Email. Alles drin.

Bevor ich lalle, möchte ich dir von einem Fake erzählen, den ich mal realisieren wollte, bei dem sich aber ein Galerist quer legte. Bist du noch aufnahmefähig? Haha, kleiner Scherz.

Es ist schon einige Jährchen her, so etwa 10-12 Jahre, da las ich in der Presse etwas über einen Streit zwischen der Witwe von Joseph Beuys und dem Manager von Beuys. Du wirst den nicht kennen, aber der spielt immer noch eine große Nummer im ganzen Business. Es ging damals um den bekannten Fettstuhl, besser gesagt, es ging um zwei Fettstühle. Die Witwe von Beuys war im Besitz eines Fettstuhl und der Manager war im Besitz eines Fettstuhls. Beide Parteien bekämpften sich per Anwalt, wer den eigentlichen, den zuerst gefertigten Fettstuhl besitzt, der dann in einer Ausstellung gezeigt werden sollte. Ich lese den Artikel bis zum Ende und denke mir, hier geht es um eine Satire.

Aber es handelte sich um eine bierernste Auseinandersetzung. Die Witwe Beuys ist für ihre Hartnäckigkeit in Urheberrechtsfragen bekannt und das ist auch legitim. Wenn du diesen absurden Streit im Kontext mit dem Fettstuhl anschaust, dann, glaube mir, ist das ein echter Stoff für eine Satire. Die beiden Fettstühle unterscheiden sich. Der erste besteht aus einem dunklem Holzstuhl mit einem sehr großen Fettkeil, der auf der Sitzfläche liegt. Der dünne, um die Rückenlehne gewickelte Eisendraht, ist zu vernachlässigen. Der zweite Küchenstuhl ist weiß lackiert, ebenso schlicht in der Ausführung, und auf der Sitzfläche liegt ein dünne, flockige Schicht Fett. Nebenbei, das ganze ist ein Horror für Restauratoren. Der Hintergrund ist natürlich auch und immer wieder das Geld, nicht billig so ein Kunstobjekt von Beuys. Mich reizte diese Geschichte nicht zu einer Satire, eher zu einem Fake. Die Satire macht ja nur lächerlich, der Fake will aufklären, aber das hatten wir ja schon.“

Jack dreht sich eine filterlose Zigarette. Er bietet mir an, für mich ebenfalls eine zu drehen, was ich ablehne. Dafür begleite ich ihn bis vor die Tür. Wir stehen unter der rot weiß gestreiften Markise, die Jenny noch nicht mit einer Handkurbel zurückgezogen hat. Jack hält die Hand mit der Zigarette in die Luft in Richtung Markise. Bei seiner Körpergröße stößt die glühende Kippe fast an den festen Segeltuchstoff.

Ein echter Daniel Buren. Dem tue ich nix, keine Angst.“

Jack, sorry, Buren ist ein Künstler, mit dem ich nichts anfangen kann. Sein künstlerisches Lebenswerk besteht aus der Grundidee, immer die gleichen, etwa zehn Zentimeter breiten Streifen, abwechselnd weiß und farbig auszustellen. Zuerst malte er die Streifen, dann benutzte er maschinellen Markisenstoff. Ready made, ick hör dir trabsen. Kann das abendfüllend sein?“

Anscheinend ja, denn Buren ist einer der bekanntesten und wichtigsten zeitgenössischen Künstler.

Das wollen wir jetzt aber nicht ausdiskutieren.

Ich hab bei einem ganz guten Autor, den ich schätze, Martin Suter mal was witziges über einen Künstler gelesen, der ein begnadeter Kopist war und sich permanent etwas ungewöhnliches einfallen lies, um künstlerisch auf sich aufmerksam zu machen. Er legte auf selten befahrene Straßen Farbpfützen an und spannte Leinwand über den Asphalt, auf denen die Autos ihre Farbspuren zurück ließen. Ist das eine Einfall für deinen Künstler, geht das in deine Richtung? Ist doch originell oder? Kannst ja mal darüber nachdenken. Wie geht es weiter mit deiner Fake- Geschichte?“

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