vonErnst Volland 22.03.2024

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Auschwitzzyklen. Ernst Volland

Seit Jahrzehnten bestimmt das Thema Fotografie meine künstlerische Arbeit. Auf der Suche nach einer Ausdrucksform begann ich mit gegenständlichen Federzeichnungen, wechselte zur Tusche und entwickelte dann einen knappen Karikaturenstil. Dann entdeckte ich die Fotomontage, mit der man ebenfalls satirisch zuspitzen kann. Ich kombinierte die Fotomontage schon Anfang der 70er Jahre mit dem Medium Plakat, das ich selbst entwarf, druckte und auch selbst vertrieb, ein eigenes, unzensiertes Medium. Die Wirkung war nicht vorauszusehen. Beschlagnahmungen, Ermittlungsverfahren, Hausdurchsuchungen, Morddrohungen und Prozesse bis hin zur kompletten Zerstörung einer ganzen Ausstellung durch die Berliner Polizei. (1)

Anfang der 90er Jahre entwickelte ich eine neue Werkphase, die ich „Eingebrannte Bilder“ nenne. Zwei Impulse waren dafür entscheidend. Zum einen meine Erkenntnisse über das Wesen der Fotografie, Erkennnisse, die ich mir durch Gründung einer Fotoagentur über Jahre angeeignet hatte. Der zweite Impuls ergab sich durch die Begegnung und Freundschaft mit dem sowjetisch-ukrainischen Fotografen Jewgeni Chaldej, dessen bekanntestes Foto das Hissen der sowjetischen Flagge auf dem Reichstag im Mai 1945 ist. Das Foto symbolisiert das Ende des 2. Weltkrieges, das Ende Hitlers und das Ende des Faschismus. Zusammen mit dem Che Guevaraportrait des kubanischen Fotografen Alberto Korda gilt Chaldejs Foto als das bedeutendste, zumindest meist reproduzierte des 20. Jahrhunderts.

Ab 2005 setzte ich die Serie „Eingebrannte Bilder“ mit einer neuen Werkphase fort, die ich „Buntstiftbilder“ nenne. Ich verfremde historische Fotos durch eine farbige Buntstiftbearbeitung. Seit 2015 entwickele ich Videos mit historischen Fotostills.

In diesem Text beschreibe ich ausführlich die Intention der „Eingebrannten Bilder“.

Die Fotografie ist ein allgegenwärtiges Medium, dem man im Alltag ständig begegnet. Die professionelle Beschäftigung mit Fotografie schärft den Blick auf die Geschichte der Fotografie und auf die FotografenInnen, die für die Entwicklung der Fotografe besonders relevant sind. Die zeitgenössische Fotografie erscheint zuerst unübersichtlich, doch schnell sind die klassischen Genres wie Architekturfotografie, Mode, Naturfotografie, Akt, usw. zu erkennen mit ihren wichtigsten professionellen FotografenInnen. Die große Schar der AmateurfotografenInnen orientiert sich stilistisch an den professionellen. Alle zusammen, die Amateure und die Profis haben eines gemeinsam. Sie fotografieren mit unterschiedlichem Niveau das, was sie sehen. Ich fotografiere, was man nicht sieht. Das klingt paradox. FotografenInnen nehmen ihre Kamera in die Hand und fotografieren alles, was sich auf der Oberfläche der Erde befindet. Ich fotografiere das, was sich bei mir im Kopf an fotografischem Gedächtnis befindet. Es versteht sich von selbst, dass ich dabei selektiv vorgehe. So entstand die Serie „Eingebrannte Bilder“. Was meine ich damit? Unser Bildgedächtnis ist durch Fotografie geprägt und zwar ausschließlich. Das Gedächtnis konzentriert sich auf ein Einzelfoto mit einem herausragenden historischen Bezug, einem Kriegsmoment, einem sportlichen Ereignis, einer Persönlichkeit. Durch die zigfache Reproduktion in vor allem gedruckten Medien und durch das immer wieder Betrachten des einzigartigen Bildes setzt sich das Foto im Gedächtnis fest und ist jederzeit abrufbar. Da es kulturelle Differenzen gibt, werden die herausragenden Bilder (Icons) unterschiedlich wahrgenommen und auch unterschiedlich wieder abgerufen. Ein berühmtes Beispiel ist im Portrait der jungen Anne Frank zu sehen, das ich für eines meiner Eingebrannten Bilder in der Serie E1-E9 verwendet habe. (Bild 1, E9)

Im Gegensatz zu anderen Bildern der Serie erkennen die BetrachterInnen die Person sofort, obwohl sie völlig verfremdet ist. Den Verfremdungseffekt erreiche ich

1. Durch die Verzerrung des Formates. Die Originalabbildung hat der BetrachterIn kleinformatig ein oder mehrmals in einem Buch oder einer Broschüre gesehen, kombiniert mit der Lebensgeschichte Anne Franks. Das Iconische am Portrait besteht im freien, offenen Lächeln des jungen Mädchens und ihrer barbarischen Ermordung. Meine Arbeit trägt den Titel E9, (E-Eingebrannt) und hat das Bildformat 140 x 100 cm. Das Format ist also erheblich größer als das Format der ursprünglichen Abbildung in einer Publikation. 2. Durch den Wegfall eines Titels für das Bild. Der BetrachterIn wird beim Schauen nicht abgelenkt oder sogar manipuliert. Er kann selbst entscheiden, was er sieht. 3. Die changierenden Grautöne der Unschärfe erzeugen eine grafische Ästhetik, die den BetrachterIn nachdenklich macht. Er ist irritiert, verweilt, und im gleichen Augenblick arbeitet sein kollektives Bildgedächtnis. Ist das ursprüngliche Bild einmal erkannt, gibt es kein Zurück mehr. Von jetzt an sieht der BetrachterIn das Originalfoto und das von mir Eingebrannte Bild gleichzeitig.

Der BetrachterIn beginnt jetzt durch die Kongruenz des eingebrannten Bildes mit dem Originalfoto den historischen Hintergrund zu reflektieren. (2)

Bei der Arbeit an der Serie war es ein Bedürfnis, die mir bekannten, bewegendsten, grausamsten Fotos für die Serie „Eingebrannte Bilder“ zu nutzen, die mir jemals begegnet sind. Es sind die Fotos der Serie E1-9. Ich nenne sie die Auschwitzserie, weil sie aus neun großformatigen Bildern bestehen und vier von ihnen sich unmittelbar mit Auschwitz beschäftigen E2, E4, E5, E7. Es handelt sich hier um Szenen direkt vor Ort.

E1, E3, E6, E8, E9 stehen mittelbar im Kontext von Auschwitz. E9, Anne Frank, ist im Konzentrationslager Bergen Belsen umgebracht worden.

Wie ist die Serie E1-E9 im Vergleich mit anderen Auschwitzbildern zu sehen? Ein Vergleich mit den Birkenau/Auschwitz Bildern von Gerhard Richter erscheint kühn, ist Richter doch der bekannteste deutsche Künstler, wenn nicht sogar der bekannteste zeitgenössische Künstler weltweit. Der aus vier großformiten Bildern bestehende Zyklus Birkenau zeigt jeweils mit einem Rakel gezogene Farbbahnen. Der Zyklus befindet sich im Besitz der Gerhard Richter Stiftung, er ist nicht veräußerbar und gilt als das zentrale Werk. (3) (Bild 2)

Durch etliche Gespräche mit dem Künstler und einer stattlichen Anzahl von Artikeln zu diesem Zyklus erfahren wir, dass Richter versucht hat, vier unter Lebensgefahr von einem Häftling aufgenommene Fotografien aus Auschwitz, unscharf nachzumalen. Das Ergebnis stellte ihn nicht zufrieden. Er überzog daher alle vier Entwürfe mit Farbbahnen. (Bild 3)

Die Bilder zeigen Birkenau/Auschwitz mit all den Grausamkeiten nicht optisch, sie sind nicht im Bild und müssen durch beigestellte Informationen erklärt werden. Jacek Barski :

Dadurch, dass Richter die sichtbare Quelle dieser Erinnerung mit seinem malerischen Gestus künstlerisch überdeckt, konstruiert er geradezu einen Erinnerungsort und regt die Diskussion darüber an. Er schafft eine Balance zwischen der Erinnerung und der Ästhetik des Abstrakten, die eine eigenartige Doppelexistenz beider Bereiche zulässt. Aus Respekt davor, was im Lager Birkenau geschehen ist, zeigt Richter die erschütternden Dokumente nicht, macht sie jedoch in seinen Gemälden mit künstlerischen Mitteln erlebbar und erfahrbar. Das Lager Birkenau ist in dem künstlerischen Werk mit dem gleichen Titel ‚anwesend, aber nicht sichtbar‘.“ (4)

Das ist eine Meinung von vielen. Meinungen, besonders von Experten, bereichern die Aura eines Kunstwerkes. Sie sind jedoch auch manipulativ, so dass das Bild in den Hintergrund treten kann und die Aura den Diskurs bestimmt. Besonders abstrahierte und abstrakte Bilder sind anfällig für eine auratische Aufladung. (5)

Die Meinung der Experten ist nicht jedem und überall verfügbar, sie sollte auch nicht als Kommentar dem Zyklus an der Wand zur Seite gestellt werden. Daher kommt dem Titel des Zyklus eine besondere und entscheidende Bedeutung zu. „Birkenau“. Ließe man den Titel weg, könnten die Farbstrukturen zu völlig beliebigen Deutungen führen. Der BetrachterIn ist also durch die Betitelung gezwungen, die Farbstrukturen als Synonym für Birkenau zu sehen. Oder andersherum, die Farbstrukturen sind ohne den Titel des Zykluses nicht in der Lage, ein Empfinden für das historische Ereignis Birkenau zu erzeugen. Der Titel übernimmt die nicht bewältigte künstlerische Leistung des Malers.

Ganz anders verhält es sich im Zyklus der „Eingebrannten Bilder“. Das Bild E9 und alle anderen Bilder der Serie „Eingebrannte Bilder“ verzichten auf einen Titel. Das Bild selbst stellt durch seine formalen Eigenschaften einen Dialog mit dem BetrachterIn her und läßt diesen entscheiden, was er im Bild erkennt. Nicht nur der Titel ist bewußt nicht genannt, ebenso fehlt eine durch Experten geschaffene Aura zum Bild E9. Hier ist der BetrachterIn selbst der Experte, er formuliert beim Schauen seine eigene Aura.

(1) Polizei zerstört Kunst. Der Fall Volland/NGBK. Ein soziologisches Experiment. Eine Dokumentation und Analyse um die Plakatausstellung „Voll aufs Auge“- Ernst Volland stellt aus.“ Berlin 1982

(2) „Darüber hinaus führen diese Bilder im Bewußtsein der Betrachter ein Eigenleben. Sie erscheinen als erfundene Bilder. Das Kunstwerk ist bekanntlich nicht das gerahmte Exponat, sondern das, was es im Kopf des anderen auslöst, es liegt im Immateriellen und Du lieferst die Vorgabe. Du arbeitest im Sinne der Moderne mit der Irritation, die in der Ambivalenz der Bilder steckt,….“ Eckhart Gillen, Berlin 2003 in „Die Lawine von morgen, der Schnee von gestern.“

Bei Ausstellungen ist oft der Wunsch geäußert worden, das ursprüngliche Originalfoto ebenfalls auszustellen. Ich habe dieses Ansinnen immer vehement abgelehnt und werde es weiterhin ablehnen.

(3) Stefan Koldehoff. Deutschlandfunk 15. 3. 2021. Gerhard Richter sagte im Deutschlandfunk zu den Birkenau-Bildern, die den Nukleus der Stiftung bilden:

Mir wurde klar, dass ich die Birkenau-Bilder nicht verkaufen kann und nicht verkaufen möchte.

( 4) Jacek Barski, März 2020. „Birkenau von Gerhard Richter.“

https://www.porta-polonica.de/de/atlas-der-erinnerungsorte/birkenau-von-gerhard-richter

(5) Im Jahr 2009 zeigte die Berliner Gemäldegalerie nur ein einziges Werk Mark Rothkos aus ihrem Bestand. Reds Nr. 5, in Kombination mit zwei Gemälden des italienischen Renaissancemalers Giotto. Marientod ca 1310 und Kreuzigung ca 1315. Dafür wurde in den Räumen der Gemäldegalerie ein kappelenartiger Raum gebaut, den man durch einen Korridor betrat. Am Eingang forderte eine Hinweistafel auf, während des Besuches nicht zu sprechen. Museumspersonal überwachte diese Anweisungen.

März 2024

Ernst Volland, E9, 1997 , 140 x 100 cm

Bild 1

Gerhard Richter „Birkenau“. 2014. Alte Nationalgalerie Berlin. Foto Xander Heinl.

Bild 2

Ernst Volland, Deutscher Wald, 1996.

Fotografie. C-Print. Triptichon 100 x 140 cm

In dieser Arbeit wählte Ernst Volland eines der vier Fotos aus Auschwitz, die Gerhard Richter für seinen Birkenau Zyklus verwendete, aber wieder durch Übermalung verworfen hatte.

Bild 3

 

Eingebrannte Bilder E1-E8

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