vonErnst Volland 15.08.2024

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Verpackung

Im letzten Jahr besuchte ich einen Designer in Worpswede. Die Begegnung entstand eher durch einen Zufall, da sich eine passende Mitfahrgelegenheit ergab und der Autobesitzer auf der Fahrt zurück nach Berlin einen Zwischenstopp organisiert hatte. Wir setzten uns unter einen Baum im lichtdurchfluteten Garten, der an einen öffentlichen Park grenzte. Der sehr freundliche Gastgeber zählte eine handvoll Getränkeangebote auf, wir entschlossen uns für einen Milchkaffee. Er verschwand im ländlichen Haus,

dessen Fenster im Jugendstil gerahmt ungewöhnlich groß gestaltet waren. Die Gedanken streiften ohne Anstrengung Bilder von Paula Modersohn Becker, und anderer Maler, die hier in der Gegend an der Schwelle des 20ten Jahrhundert gearbeitet hatten. Das Haus erinnerte an den Barkenhof in etwas bescheidenerer Ausführung und ohne die pompöse Treppe zum Eingang des Hauses von Heinrich Vogeler.

Mit den drei Bechern Milchkaffee servierte der Hausherr Schokolinsen.

Schokolinsen in einer kleinen weißen Schale, ungewöhnlich. Er erklärte ohne Aufforderung, es seien Belegexemplare, wir sollten kräftig zulangen, er hätte noch mehr davon. Wir griffen zu.

Die Herstellerfirma, gut aufgestellt seit Jahren mit ihrem Schoko-Flaggschiff, „Piastenschokolinsen begeistern seit Generationen, der Klassiker schlechthin“, kam vor einiger Zeit auf die Idee, ihrem Longseller eine optische

Änderung der Verpackung zu verpassen. Sie trat an unseren Gastgeber mit der Bitte heran, den Auftrag anzunehmen, und der Auflage, der Kunde dürfe nicht merken, dass die Packung neu designed ist. Sie solle so

aussehen wie bisher, nur neu. Die Schokolinsen selbst bleiben wie sie sind. Werbetext: „Die leckeren Schokoladen-Dragees sind mit einer knackigen Zuckerhülle überzogen, die mit erfrischendem Pfefferminz- und zartem Vanille-Geschmack auf der Zunge schmilzt. In rosa und weiß laden sie zum ausgelassenen Naschen ein.“

Angeblich geht das Rezept auf Soldaten des spanischen Bürgerkrieges zurück. Diese lutschten in ihren Stellungen mit Zucker überzogene Schokostückchen.

Der Gastgeber schmunzelte, als er das hörte und erzählte, dass er den Auftrag gern angenommen habe. Er meinte, er sei auf Anfragen dieser Art spezialisiert und zeigte dabei auf sein Haus. Mit dieser Geste deutete er an, dass sein Wohlstand der Tatsache geschuldet sei, dass er Objekte verändern kann, ohne dass man deren Veränderung bemerkt. In der einen Hand hielt er die alte Verpackung, in der anderen Hand seine neue. Beide erscheinen auf den ersten Blick identisch. Auch auf den zweiten.

Schokolinsen scheinen etwas magisches zu haben“, meinte unser Gastgeber und fragte, ob wir von der „Schoko-Laden-Diebstahl-Bande“ gehört hätten, die im Mecklenburgischen ihr Unwesen treiben. Nach jedem Raubzug sind immer alle Schokolinsenpackungen verschwunden, Ritter Sport, Milka, Lindt bleiben meist zurück.

Die drei auf kalorienreiches Diebesgut spezialisierte Ladendiebe haben in Neustrelitz mehrfach am selben Tag versucht, Süßes im Wert von mehreren Hundert Euro zu stehlen.

Gleich zweimal an einem Tag hatte sie in einem Supermarkt in Neustrelitz in Mecklenburg-Vorpommern zugeschlagen. Dabei wurden zwei Frauen und ein Mann beobachtet, teilte die Polizei mit. Ein Mitarbeiter konnte den Mann im Kassenbereich aufhalten. Die Polizei fand bei dem 57-Jährigen Schokolade, vor allem Schokolinsen, im Wert von mehr als 250 Euro.

Die beiden Frauen konnten hingegen flüchten, bis sie einige Stunden später erneut im Supermarkt erschienen und versuchten, Schokolade zu stehlen. Polizisten und ein Ladendetektiv stellten die 44- und 30-jährigen Ladendiebinnen gerade beim Griff ins Schokolinsen Regal.

Nehmt doch noch ein paar,“ hier kosten sie nichts. Dann legte unser Gastgeber für uns beide je ein volles neu designtes Schokolinsenpäckchen auf den Tisch.

Durch die Äste des Baumes warf die Sonne einen einzigen Strahl auf die inzwischen leere Schale ein.

Auf der Rückfahrt leerten wir eine Schokopackung zusammen. In der Magdeburger Börde machten wir eine kurze Rast an einem Waldweg.

Ist dir auch so flau im Magen, „ fragte ich meinen Fahrer. „Moment,“ stöhnt dieser und verschwindet hinter einem Baum.

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