Teil 3
Ernst: Interessant, aber das ist ja eine Figur aus der zweiten Reihe. Ich war immer wieder erstaunt, wenn man in deiner Gegenwart Namen wie Jelzin, Putin oder Gorbatschow nannte, also alles Personen aus dem Innercircle, Leute an der Spitze, die und viele mehr, du kanntest alle persönlich. Wie ist das zu verstehen, oder besser, wie hat sich das entwickelt?
Michel: Gorbatschow habe ich durch Falin kennengelernt. Falin habe ich in seiner Zeit als Botschafter in Bonn kennengelernt, die bekanntlich von 1972 bis 1978 dauerte. Er war sehr eng verbunden mit Egon Bahr und Brandt. Ich selbst war ja 1965 kulturpolitischer Berater von Brandt und hatte von daher eine starke Bindung zu Bahr. Außerdem verfügte ich über sehr enge Verbindungen zu hohen Genossen in der DDR, wie Konrad Wolf, Präsident der Akademie der Künste der DDR. Heiner Müller habe ich später kennengelernt, Konrad Wolf bereits 1960. Damals wollte ich bei ihm assistieren, bei seinem Goya Filmprojekt. 1965 oder 66 wurde er dann Präsident der Akademie der Künste und dort habe ich dann als freier Mitarbeiter in der Abteilung Darstellender Kunst gearbeitet. Auch das war natürlich ein Zugang, das muss man ja einfach so sagen, zu Russland zu Moskau, denn nirgendwo gab es ja engere Verbindungen als zwischen der DDR und der UDSSR. Ich habe es als nahezu grotesk empfunden, als nach 1990 die Potsdamer Begegnungen ins Leben gerufen wurden, zu denen ich einmal oder zweimal gefahren bin. Das erstaunliche war bei diesen Begegnungen zwischen Deutschen und Russen, wie gesagt nach 1990 /91, dort sassen nur Bürger der Bundesrepublik und Bürger aus der Zivilgesellschaft Russlands. Der einzige ehemalige DDR Bürger war Stolpe als Gastgeber, weil er Ministerpräsident von Brandenburg geworden war. Das zeigt ja noch ein ganz anderes Kapitel in diesem Zusammenhang, dass die, die wirklich intensive Kenntnisse im bezug auf Russland hatten- ich könnte sehr viele aufzählen, auch Autoren- angefangen bei Volker Braun bis du Karl Mickel, nicht dabei waren. Diese Leute spielten ab 1990 keine Rolle mehr.
Ernst: Interessant ist ja auch, dass du deine Beziehungen spielen lassen konntest in der DDR für den Musiker Udo Lindenberg. Wie ist das entstanden, was hat sich abgespielt?
Michel: Lindenberg hat mich 1981 oder 82 angesprochen. Er drehte einen Film in Berlin mit Adolf Winkelmann. Irgendjemand hatte ihm gesagt, Gaysmaier hat gute Verbindungen in die DDR. Lindenberg wollte ja um jeden Preis in der DDR auftreten, darum hat er sich schon lange vorher bemüht. Ich hatte mich, ohne Lindenberg persönlich zu kennen, 1979 bei Konrad Wolf auch dafür ausgesprochen. Zu der Zeit hatte Peter Zadek die Dröhnlandsinfonie ?? Sinfonie mit Lindenberg inszeniert, eine Rock Revue. Ich habe damals Konrad Wolf darauf aufmerksam gemacht und ihm gesagt, die Rock Revue könnte man doch wirklich mal in der DDR zeigen. Er antwortete mit der Frage, ob er sich dafür mal verwenden solle. Dann habe ich nie wieder etwas davon gehört. Später tauchte in den Unterlagen der Staatssicherheit in Bezug auf Lindenberg 1979 nur ein einziger Satz von Kurt Hager, dem zuständigen Mann für Kultur aus dem Politbüro auf: Auftritt kommt auf keinen Fall in Frage. Ja und so habe ich dann postum, Konrad Wolf ist ja schon 1982 gestorben, habe ich posthum erfahren, dass Konrad Wolf sich tatsächlich eingesetzt hat, allerdings damals mit durchschlagender Wirkungslosigkeit. Ich habe dann versucht den Lindenberg durch Kontakte die ich hatte neu einzufädeln. Dabei kam mir ein bulgarischer Regisseur zur Hilfe, Angel Wagenstein, der damals beim SFB arbeitete und zugleich Drehbuchautor bei Konrad Wolfs Goya Film gewesen war. Ich habe erst gar nicht nach Lindenberg gefragt, sondern nach einem Kontakt mit Markus Wolf, den er gut kannte. Rudolf Augstein hatte mich gebeten, ein Interview mit Markus Wolf zu organisieren. Angel Wagenstein kam mit der positiven Nachricht zurück, Markus Wolff gibt das Interview. Doch wenig später erhielt ich eine Absage von Markus Wolff mit der Bemerkung, ich hätte einen Wunsch frei. Darauf sagte ich, Markus Wolff solle sich für einen Udo Lindenberg Auftritt in der DDR aussprechen. Zu Markus Wollff hatte ich bis 1989 keinen direkten persönlichen Kontakt. Ich erhielt die Nachricht von Markus Wolff, einen Udo Lindenberg Auftritt oder sogar eine Tourne durch die DDR könne nur Honecker entscheiden. Daraufhin habe ich im Namen von Udo Lindenberg einen Brief an Honecker geschrieben. Der Brief kam nach einiger Zeit im Original zurück mit den am Ende handschriftlich zugefügten Worten „Einverstanden Honecker“. So kam die Tournee zustande.
Den Brief kann man faksimiliert im Netz finden. Der Brief wurde dann weitergeleitet an den, der das durchführen musste, Egon Krenz. Krenz schickte einen Boten, den Leiter des Festivals des politischen Liedes, Reinhard Heinemann
zu Udo Lindenberg ins Hotel Interconti in der Budapester Straße, Berlin. Dann gab es ein Treffen im Gästehaus der FDJ in der Pistoriusstraße, Berlin Weißensee, das heißt, Udo hatte ja keine Einreiseerlaubnis und deswegen wurde das so organisiert, dass wir über die Friedrichstraße einreisen konnten. Wir machten aus, sie holen uns in einem toten Winkel in der Nähe des Berliner Ensemble ab. Udo und ich sind also mit der S-Bahn über die Friedrichstraße eingereist und sind dann rüber gegangen zum Schiffbauerdamm. Dort haben wir uns aufgebaut und auf Heinemann gewartet, der uns abholen sollte. Da war normalerweise tagsüber niemand. Doch dann hatte die Theaterfotografin Vera Tenschert ?? Udo Lindenberg erspäht und plötzlich stand das ganze Ensemble, mit Köchen draußen, eine riesen Gruppe. Davon gibt es Fotos. Dann wurden wir abgeholt und fuhren in die Pistoriusstraße. Dort befand sich der Sekretär des Zentralrat der FDJ Hartmut König. Hartmut König hatte sich selbst mal versucht als Sänger „Sag mir wo du stehst“. Er hatte bei Wolf Biermann vorgesungen. Wenn Wolf Biermann den Daumen gehoben hätte, wäre Hartmut König ein Protestsänger geworden, da Biermann aber den Daumen gesenkt hatte, ist er ein Funktionär geworden. Zugegeben, das ist bösartig. Hartmut empfing uns, auch Heinemann war da, es gibt die entsprechenden Fotos. Meine Freundin Christine Eriksson, eine schwedische Fotografinn, hat das alles festgehalten. Na ja, dann kam also die Leiterin des Gästehauses, sah Lindenberg und sagte: Jetzt muss ich aber erst einmal Udo guten Tag sagen, setze das Tablet ab und umarmte ihn. Das rief natürlich großes Missfallen im Gesicht bei Hartmut König hervor, völlig klar, er war ja kein gern gesehener Sänger in der DDR und das nun die Leiterin seines Gästehauses Udo einfach umarmt, das war natürlich schon ein kleiner Fauxpas oder ein Schock oder wie immer du das bezeichnet willst.