An einem meiner ersten Tage in Paris stiess ich an der Place d’Italie auf das riesige Werbeplakat mit der Aufschrift: „L’éléctrique c’est chic“. Es war eine Aufforderung des Energiekonzerns EDF, auf Elektroheizungen umzustellen und eine Ermunterung, überhaupt mehr Strom zu verbrauchen. Das sei billig, sauber und elegant.
Der Werbeslogan war mein erster Aufhänger, einen Text über das Leben im Atomstaat zu schreiben. Es sollte der Anfang einer langen Serie werden.
Seit General de Gaulle nach Kriegsende entschieden hat, daß eine große Nation sowohl Atomraketen, als auch Atomstrom braucht, sind in Frankreich die AKWs wie Pilze aus dem Boden geschossen. Heute stehen sie in Reih und Glied mit historischen Schlössern, direkt weltberühmten Weinlagen und am Ufer von Badeseen. Nirgendwo – weder in der Hauptstadt, noch in den idyllischsten ländlichen Regionen des Landes – ist es in Frankreich weit bis zum nächsten AKW. Die meisten sind in Betrieb. Manche schon verschrottet. Als einzige Region ist die Insel Korsika verschont geblieben.
Das Leben auf Du und Du mit den Atomkraftwerken hat die Franzosen geprägt. Sie haben sich nicht nur an ihren Anblick gewöhnt, sondern sich auch davon überzeugen lassen, dass Atomkraftwerke sicher sind. Nach der Katastrophe von Tschernobyl, als ganz Europa den radioaktiven Fallout fürchtete, glaubten die meisten Franzosen, dass die Regenwolken an ihrer Landesgrenze eine Kehrtwende fliegen würden.
Jahre später zieht Nicolas Sarkozy als reisender Handelsvertreter der Atomindustrie in den Elysée-Palast ein. Bei seinen Auslandsreisen – egal, ob sie ihn an den Golf, nach Afrika, Asien oder Amerika führt – nimmt er die Atomchefin mit und versucht, französische AKWs zu verkaufen.
Meine französischen FreundInnen haben jede Menge an ihrem Staatspräsidenten auszusetzen. Aber seine Atomverbreitungspolitik ist den meisten nicht einmal eine Erwähnung wert.
Einmal nimmt mich eine Freundin mit aufs Land, um ein altes Bauernhaus zu besichtigen. Sie will es kaufen. Tagelang hat sie von dem Wald und den kleinen Seen in der Umgebung, sowie der Qualität des örtlichen Honigs geschwärmt. Von den Kühltürmen des benachbarten Atomkraftwerkes erfahre ich erst, als ich sie vom Garten aus sehe. Die Warnung vor der gefährlichen Nachbarschaft tut meine Freundin so ab: „typisch deutsch“.
Ich arbeitete weiter über Wiederaufbereitung, über Mülltransporte, über Strahlenopfer und über die übersichtlich kleinen Demonstrationen gegen den Atomstaat. Aber ich merke, dass mich das Thema weniger fasziniert. Vielleicht ist das ein Nebeneffekt im des Lebens im Land mit der höchsten Atomdichte der Welt.
Als der Ruf in die USA kommt, weiss ich, dass der Abschied mir schwer fallen wird. Bloss in einem Punkt bin ich hundertprozentig sicher, dass Frankreich mir nicht fehlen wird: der Atomstaat. Ich freue mich auf ein Land, das zwar immer noch den weltweit meisten Atomstrom produziert. Aber seit drei Jahrzehnten ein De-facto-Moratorium praktiziert. Es hat aus dem schweren Unfall im AKW Three Mile Island die Lehre gezogen, keine neuen AKWs mehr zu bestellen.
Meine Strahlenfreude währt nicht lange. Knapp drei Wochen nach meiner Ankunft in der neuen Welt wiederholt Barack Obama die Slogans der Atomindustrie im Weißen Haus. Der US-Präsident verdreifacht die Staatsbürgschaften. Er will neue AKWs bauen. Er nennt Frankreich als Vorbild. Und er preist die Atomenergie als sauber, sicher, klimafreundlich und zukunftsträchtig.
Atomar gesehen bin ich vom Regen in die Traufe geraten. Oder – wie meine neuen Landsleute sagen würden: „out of the frying pan into the fire“ – von der Pfanne in das Feuer.