„Berlin hat Angst“, titelt die Bild-Zeitung, und: „Jede Nacht stecken linke Chaoten in Berlin teure Autos in Brand“. Über 30 Autos wurden in der Hauptstadt seit Jahresbeginn abgefackelt – na also, die Abwrackprämie zeigt erste Wirkung. Ein Schritt in die richtige Richtung, sicherlich.
Dennoch überschlagen sich die täglichen Meldungen, die die Wirtschaftsaussichten jeweils noch ein Stückchen düsterer zeichnen. Die Einsicht reift langsam: Mit einer Abwrackprämie nur für Autos wird das nicht getan sein. Es gibt doch auch so viel anderes, was ganz fix zum Nutzen des Gemeinwohls auf den Schrotthaufen könnte!
Irgendwer von der CDU-Mittelstandsvereinigung hat ja schon eine Abwrackprämie für Kaffeemaschinen gefordert. Warum nur Kaffeemaschinen? Für jeden dieser absurden Automaten, der in der eigenen Küche Kohlensäure in Leitungswasser macht, und für jeden heimischen Brotbackautomaten könnte man meinetwegen auch gerne eine Abwrackprämie auszahlen, wenn jeder, der so ein Ding zur Müllhalde bringt, versichert, sich garantiert nie wieder etwas ähnlich Beklopptes anzuschaffen. Wer Mineralwasser und Brot will, soll sich das gefälligst kaufen. Diese Kombination aus Centknauserei und „selbst gemacht ist irgendwie besser“ muss zukünftig verlässlich vom ästhetischen Schutzschirm, den die Bundesregierung noch aufspannen muss, abgewehrt werden. Und alle Altbestände eben: Abwracken! Erst mal im Guten versuchen, mit der Abwrackprämie, und wenn die Brotselberbacker und Bläschen-ins-Wasser-Bläser dann immer noch nicht mitmachen, dann muss eben enteignet werden. Dieses schöne Instrument sollte man keineswegs nur den Banken vorbehalten, hier geht es schließlich ums Allgemeinwohl.
Oder diese halbmeterlangen Schlüsselbänder. Wer um Himmels Willen hat die Dinger überhaupt erfunden? Und warum? Und warum sind die so lang? Damit ihre Träger, also Leute, die bekloppt genug sind, wirklich jeden Moderamsch mitzumachen, sich anschließend, wenn sie ihre Torheit begreifen, gleich daran aufhängen können? Ach, mir doch egal. Abwracken!
Genau so wie Rollkoffer. Rollkoffer sind Ruhestörung. Wie kleine Kettenfahrzeugkolonnen rumpeln sie durch die Bahnhofshallen und Flughäfen, und wehe, so ein Rollkofferzieher zieht seinen Rollkoffer über Bordsteine oder gar Kopfsteinpflaster, dann klingt es wie im Krieg. Ach was: Rollkoffer sind Krieg! Mag ja sein, dass die praktisch sind, aber verdammt: Praktisch sind Panzer auch! Und offenbar scheint sich auch jeder Rollkofferzieher in dem Moment, wo er so sein Ding an diesem ausfahrbaren Griff fasst, übergangslos in einen Panzerkommandanten auf dem Russlandfeldzug zu verwandeln. Als gelte es, am selben Abend noch Stalingrad oder Wladiwostock zu erreichen, rumpeln sie los, gucken nicht mehr nach rechts noch links und walzen alles platt. Im Zug zum Beispiel. Unerbittlich rumpelt jeder Vollkoffer mit seinem Rollkoffer durch die Gänge, und ragt irgendetwas zwischen den Sitzreihen hervor, eine abgestellte Tasche oder eine Jacke oder ein Bein oder ein Kind, wird es einfach übergekoffert. Und in der Mitte des Wagens kommt dem Rollkoffertreck der Rollkoffertreck vom anderen Gangende entgegen, dann stehen sie sich gegenüber mit ihren Rollkoffern und wissen nicht mehr vor und nicht zurück, weil sie ihre monströsen Privatpanzerschränke auf Rädern nicht mehr hochheben können, immerfort müssen sie rollen, Räder müssen rollen für den Sieg, und sei es nur der Sieg, im ICE bis zu seinem Sitzplatz vorzudringen, nachdem man wieder zu doof war, sich vorher den Wagenstandsanzeiger anzugucken. Ach was, wer Rollkoffer zieht, ahnt überhaupt nichts von der Existenz von Wagenstandsanzeigern, der rollt und koffert einfach planlos los, und was sich in den Weg stellt, wird einfach überrollt mit dem Hartschalenkoffer. Harte Schale, harter Kern – abwracken, und zwar sofort!
Und das ist erst der Anfang! Wir kriegen die Wirtschaft schon wieder auf Vordermann! Diese ganzen lächerlichen Handys, die immer kleiner werden und flach wie Briefmarken sind und wo man nie die richtigen Tasten trifft, was aber auch ganz egal ist, weil ihre Besitzer sowieso einfach völlig wahllos in der Welt herumtelefonieren mit ihrer Flatrate! Winzige Handys, die man kaum noch von der Tischplatte abknibbeln kann, weil sie so flach darauf pappen wie eine Briefmarke, die aber mit einer telefonbuchartigen Gebrauchsanweisung ausgeliefert werden, weil sie über Hunderte absurder Funktionen verfügen, die kein Mensch braucht und sowieso kein Mensch aktivieren könnte, weil die Tasten viel zu klein sind – Abwracken! Die ganzen Computer, die ohne, dass man sie darum gebeten hätte, sich irgendwelches Zeug aus dem Internet herunterladen, einem verkünden, sie hätten sich nun upgedatet und leider müsse man deswegen jetzt wieder von vorn anfangen – Abwracken! Sogenannte Hotlines, die man selbst bei den banalsten Anlässen anrufen muss, die dann von einem verlangen, man möge seinen Namen, seine Telefonnummer, seine Adressdaten, seine Rechnungsnummer, sein Geburtsdatum, sein Anliegen und seinen Lebenslauf über die Tastatur seines Telefons eingeben und bei denen man, wenn man sehr gute Nerven hat und sich noch eine Viertelstunde lang irgendeine leiernde Warteschleifenmusik von ca. 1982 angehört hat, dann schließlich an einen Mitarbeiter gerät, der allen Ernstes als Erstes nach Namen, Telefonnummer, Adressdaten, Rechnungsnummer, Geburtsdatum und Lebenslauf fragt – Abwracken!
Diesen ganzen komischen Social-Network-Scheiß. Abwracken! StudiVZ, Facebook, MySpace, Twitter – abwracken! All die Radiosender mit den Super-Hits aus den 60ern, 70ern, 80ern, 90ern und dem Besten von heute – Abwracken! Weg damit, neu machen! Je schneller, desto besser! Dieses ganze Event-Fernsehen! Ich bin ein Star, Germany’s next Topmodel, Deutschland sucht den Superstar – Abwracken! OK, zugegeben, das wird nicht einfach. Dieser ganze Kram samt seiner Mitwirkenden ist natürlich schon derartig abgewrackt, dass die Gefahr besteht, die Prämie könnte einfach so, ohne Gegenleistung, ausgezahlt werden, weil: das ist schon kaputt, noch kaputter geht nicht. Man muss wachsam bleiben beim Abwracken. Im Zweifelsfall mit dem großen, dem ganz großen Vorschlaghammer lieber noch zwei-, dreimal extra draufhauen, auf die Bohlens und Klums und Raabs und Pilawas, bis nicht mal mehr ProSieben die noch für irgendwas wieder aufarbeiten kann. Ja, das wird nicht leicht, aber es geht um die Weltwirtschaft, also: Abwracken, abwracken, abwracken!
Und nicht zu vergessen die Religionen. Die nicht einfach nur still und leise vor sich hin glauben können, sondern permanent Dritte damit belästigen müssen. Die Tsunamis und Wirbelstürme zu Strafen Gottes erklären, die darüber wehklagen, wenn Kinder sich ausgeschälte Kürbisse ins Fenster stellen, die einen kollektiven Herzkaspar bekommen, wenn mal jemand ihren albernen Propheten irgenwo hinzeichnet, die aus irgendeinem Grund ständig Respekt für sich einfordern, obwohl sie selbst nichts als Respektlosigkeit kennen gegen jeden, der bei ihrem lächerlichen Mummenschanz und voraufgeklärten Quatsch nicht mitmachen will – Abwracken!
„Pro Reli“ – ein eingetragener Verein in Berlin, der mit beachtlichem Getöse und dem Segen der Kirchen ein Volksbegehren am 26.4.2009 initiiert hat, auf dass das Schulfach Religion auch anstatt des vom gottlosen rot-roten Senat eingeführten Pflichtfaches Ethik gewählt werden darf, und nicht nur freiwillig zusätzlich. Für dieses Anliegen hat „Pro Reli“ nun die gesamte Hauptstadt zuplakatiert mit dem Slogan: „Freie Wahl zwischen Ethik und Religion!“ Und hey: Präziser hätte ich es eigentlich auch nicht auf den Punkt bringen können: Entweder Religion – oder Ethik. Es kann halt nur eines geben. „Pro Reli“ – Abwracken!