vonClaudia Mussotter 22.01.2010

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And the star goes to… Ob Grammy oder Oscar in Musik und Film oder Michelin, Gault Millau und all die anderen Gastronomieführer – viele Wege führen zum Ruhm, und nicht immer geht es nach Ansicht der Beteiligten gerecht zu. Sterne, Gabeln, Kochmützen, Punkte – die Verfahren sind unterschiedlich, da werden schon mal differenzierte Empfehlungen ausgesprochen. Letztendlich zählt vermutlich das Renommé. Und das hat Michelin zweifellos.
Wer sich dem Wettbewerb stellt, zu den Großen zählen will, muss stets sein Bestes geben, denn er muss immer darauf gefasst sein, dass die Dame dort hinten im Pelz oder der höfliche Herr mit Brille zur Zunft der Kritiker gehört und gnadenlos alles genauestens unter die Lupe nimmt. Stress pur, die Inspektoren kommen nun mal inkognito – mit einem Kaffee und einem Schwätzchen lässt sich nichts mehr gerade biegen.
Es soll schon vorgekommen sein, dass sich wichtige Kritiker verkleidet haben, damit sie nicht erkannt werden. Unlängst griff die Restaurantkritikerin einer großen New Yorker Zeitung zu diesem Hilfsmittel, nachdem ihr Konterfei schlussendlich zur Vorwarnung in allen Lokalen aushing.
Wenn man es aber denn geschafft hat, wird sich die Auszeichnung, der Stern, rasch bemerkbar machen. Bücher, Kongresse, Magazine, Fernsehen folgen, da ist ein klarer Trennstrich zwischen denen mit Stern und denen ohne – und natürlich zwischen denen mit zwei und denen mit drei Sternen. Die Bedeutung der Sterne wird folgendermaßen beschrieben:
– Ein Stern: Eine sehr gute Küche, die die Beachtung des Lesers verdient.
– Zwei Sterne: Eine hervorragende Küche – verdient einen Umweg.
– Drei Sterne: Eine der besten Küchen – eine Reise wert.

2010 ist für Michelin nicht nur in Deutschland, sondern auch in Spanien ein Jubiläumsjahr: Vor 100 Jahren erschienen die ersten Führer. In der Folgezeit erlebte der handliche rote Band eine wechselvolle Geschichte, die den Wandel von Reisegewohnheiten, Mobilität, aber auch in Hotellerie und Gastronomie widerspiegelt.
Als 1910 der Michelin-Führer „Deutschland und Schweiz“ herauskommt, ist sein Konzept in Frankreich bereits seit zehn Jahren etabliert. André und Edouard Michelin wollen mit dem „Guide Michelin“ die Verbreitung des Automobils fördern und dem Reifenmarkt Impulse geben. Dabei stoßen sie in eine Marktlücke. Auf deutschen Straßen verkehren 1910 bereits 50.000 Kraftfahrzeuge. Doch die Service-Infrastruktur für Automobilisten ist dünn. Die Straßen sind vielfach weder beschildert noch asphaltiert und die Fahrzeuge sehr anfällig. Ein praktischer Reisehelfer wie der Michelin-Führer kommt hier wie gerufen. Entsprechend deutlich unterscheidet sich der Michelin-Führer von 1910 von den heutigen Ausgaben. Das „den Herren Automobilisten“ gewidmete Buch enthält detaillierte Ratschläge zu Reifenwechsel und -reparaturen. Hinzu kommen die Namen von Werkstätten, Batterieladestationen, Benzin- und Öldepots. Auch Unterkünfte listet der erste Michelin-Führer auf und erwähnt, ob das Hotel eine Reparaturgrube für Kfzs bietet.

Bereits 1910 bedient sich der Michelin-Führer zur Information der Leser eingängiger Symbole. Während sie bei den Hotels anfangs Aufschluss über heute selbstverständliche Komfortmerkmale wie Bad, Zentralheizung und elektrisches Licht geben, verweisen sie später auf Annehmlichkeiten wie Telefon oder Fernseher in den Zimmern. Die Hotelauswahl nimmt sich anfangs im Vergleich zu heute bescheiden aus. Neben den Preisen für Übernachtung und Mahlzeiten liefert der Band auch Angaben zu den Verpflegungskosten für den Chauffeur. Restaurantempfehlungen finden sich 1910 im Michelin-Führer noch nicht. Sie tauchen erstmals in der Frankreich-Ausgabe 1923 auf.

Zusammen mit dem Internet-Routenplaner www.ViaMichelin.com geht der Michelin-Führer Deutschland 2001 ins Netz. Heute deckt ViaMichelin 45 Länder- sowie über neun Millionen Straßenkilometer ab und listet in den verschiedenen europäischen Ausgaben des Nachschlagewerks 55.000 Hotels und Restaurants auf. Seit Mai 2009 lassen sich die Restaurantempfehlungen auf das Apple iPhone® laden. Neben Adresse, Telefonnummer und Öffnungszeiten umfassen die Listen die Kurzkommentare zu jedem Haus aus dem Michelin-Führer. Auszeichnungen wie Michelin-Sterne und Bib Gourmand komplettieren die Verzeichnisse. Die iPhone®-Applikationen ermöglichen es den Nutzern, in Sekundenschnelle ein Restaurant mit guter Küche in ihrer Nähe zu finden und dort einen Platz zu reservieren. 

Michelin-Führer Spanien
100 Jahre Michelin wurden auch in Spanien im Mercado de San Miguel in Madrid zelebriert und endlich auch der – wirklich überfällige – dritte Stern an das 1986 eröffnete katalanische Restaurant Celler de Can Roca in Girona vergeben, auf den die drei Brüder Joan, Josep und Jordi Roca so lange warten mussten. Damit besitzt Spanien sieben Drei-Sterne-Köche: Die weiteren sind Juan Mari Arzak vom Restaurant Arzak in San Sebastián, Santi Santamaría vom Can Fabes in San Celoni, Ferran Adrià vom El Bulli in Roses, Martín Berasategui mit dem Restaurant gleichen Namens in Lasarte (Guipúzcoa), als einzige Frau Carme Ruscalleda vom Sant Pau in Katalonien und Pedro Subijana, ebenfalls in San Sebastián.
Neu hinzu kamen im Zwei-Sterne-Bereich (insgesamt sind es zwölf) das Lasarte Barcelona von Martín Berasategui, Casa Marcial von Arriondas in Asturien, das Restaurant Les Cols de Olot in Girona und La Terrazza de Casino von Paco Roncero in Madrid. Überhaupt kann Madrid dieses Jahr triumphieren: Fünf Etablissements stehen auf der Favoriten-Liste von Michelin. Seinen zweiten Stern verloren hat dagegen das Restaurante Tristán auf Mallorca.

Mehr Bewegung gab es bei der Vergabe von einem Michelin-Stern. 130 sind es neuerdings insgesamt in Spanien, allerdings mussten einige auch einen Stern abgeben. So unter anderem der Kursaal in San Sebastián.
Gefreut haben über den ersten Michelin-Stern dürfte sich besonders David Muñoz vom Restaurante DiverXo in Madrid – der übrigens von allen schon lang erwartet wurde.
Trotzdem waren es weniger Sterne als erwartet. Was von Guru Ferran Adrià dementsprechend kritisiert wurde, nach dessen Meinung die einflussreichste gastronomische Publikation des Planeten Spaniens weltweite kulinarische Verdienste zu wenig honoriert habe. Japan kam dagegen gut weg. 261 Sternschnuppen fielen über Tokio, ein neuer Rekord, womit die Stadt mit elf Drei-Sterne-Restaurants weltweit an der Spitze liegt.

Bibendum – Das Reifenmännchen
Bibendum, das legendäre „Reifenmännchen“ und Erkennungszeichen der Marke Michelin ist mit seinem außergewöhnlichen Aussehen und nicht zuletzt einer eigenen Geschichte zum Mythos geworden. Kaum ein Werbeträger ist so eng mit der Entwicklung eines Unternehmens und seiner Produkte verknüpft wie Bibendum mit Michelin, seinen Reifen und Reiseführern.
„Der Luftreifen schluckt die Hindernisse“, sagt André Michelin 1893 auf einer Ingenieurskonferenz in Paris, um die Vorteile der Michelin-Erfindung zu beschreiben. Ein Jahr später, Weltausstellung in Lyon, auf dem Stand der Brüder Michelin: Edouard sieht einen Stapel unterschiedlich großer Reifen und meint zu André: „Wenn er Arme hätte, sähe er fast wie ein Mensch aus.“ Angeregt durch ein Werbeplakat, das einen dicken biertrinkenden Bayern mit dem Spruch „Nunc est bibendum“ („Lasst uns anstoßen …“) zeigt, bestellt André Michelin ein Plakat, auf dem ein imposanter Reifenmann einen mit allerlei Glasscherben und Nägeln gefüllten Pokal mit dem Trinkspruch „Nunc est bibendum“ hochhält, was nun so viel bedeuten soll wie: „Auf Ihr Wohl! Michelin verschluckt die Hindernisse!“ Das Reifenmännchen Bibendum ist geboren und tritt seinen Siegeszug rund um die Welt an. Allerdings hat es in den Jahren abgespeckt. Statt wie anfangs 40 Reifen sind es jetzt nur noch 26, trotzdem spricht man in Spanien, wenn es um die ungewollten Speckröllchen geht, von „michelines“.

„Bibs“ – preiswerte Adressen
Zwar ist der Michelin-Führer für sein Sterne-System berühmt, das auf Restaurants mit einer überdurchschnittlich guten Küche hinweist. Der Erfolg der Reihe basiert jedoch auch auf der großen Auswahl von Restaurants und Hotels zu moderaten Preisen. Für Häuser, die auf den kleineren Geldbeutel zugeschnitten sind, führt Michelin die Auszeichnung „Bib Gourmand“ und später auch die Empfehlung „Bib Hotel“ ein. Namensgeber ist das freundliche Michelin-Männchen, kurz „Bib“.
Der „Bib Gourmand“ kennzeichnet Restaurants mit einem besonders guten Preis-Leistungs-Verhältnis. In der Regel handelt es sich hierbei um kleine, sympathische Häuser, die eine regional geprägte Küche bieten und familiär betrieben werden. Es finden sich darunter aber auch moderne Bistros, Restaurants mit internationaler Küche und so manches Zweitrestaurant eines bekannten Spitzenkochs, das bezahlbare und authentische Küche in guter Qualität bietet.
Die Häuser mit „Bib Hotel“ finden sich nicht in den gängigen „Bestenlisten“ der Top-Hotels. Es handelt sich stattdessen um Adressen mit gemäßigten Preisen, die sich für eine Übernachtung auf einer Geschäftsreise oder auch für einen längeren Urlaubsaufenthalt eignen. Bei der Vergabe des „Bib Hotel“ achten die Michelin-Inspektoren nicht nur auf den zeitgemäßen Komfort der Zimmer, sondern auch auf die Freundlichkeit des Personals und ein gutes Frühstücksangebot.
Zu erstehen ist der neue Michelin-Führer für ca. 25 Euro im Handel oder übers Internet. Die Hinweise zur Benutzung sind auf Französisch, Englisch, Deutsch und Spanisch zu lesen.

Bon profit!

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