vonWolfgang Koch 15.06.2011

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Kann man jemanden in seinen »Schwächen unterstützen«? Angenommen, dieser Jemand sei eine baufällige Brücke, ich ersetze die alte Fundamente und die morschen Pfeiler durch bessere Stützen, konstruiere also die Basis von Grund auf neu. Im Wortsinn unterstützt wird dabei nicht das Tragwerk der Brücke, unterstützt wird der Oberbau.

Der Ausdruck »Schwächen unterstützen« ist eine fahrlässige bildungspolitische Phrase, die das Ganze irgendwie mit dem Hauptbestandteil verwechselt. Schwäche bedeutet bekanntlich Kraftlosigkeit, heißt Laschheit, Mangel und Missstand, heißt Beeinträchtigung oder Behinderung. Nichts davon will ich kräftigen, weder den Mangel an Können, noch den Mangel an Begabung will ich stärken, im Gegenteil: Können und Begabung sollen gefördert werden.

Man sagt hier etwas dahin, was auf einen recht laxen Umgang mit dem Publikum schließen lässt. Tatsächlich ist die unglückliche Formel typisch für eine ideologische Debatte. Sie zielt auf das billige Einverständnis der Menge, wobei das Gemeinte stets mehr zählt als das Gesagte.

Der Ausdruck »Schwächen stützen« wäre ja akzeptabel, wenn man Schwäche nur im Sinn von Faible auffassen würde. »Die Faibles der Auszubildenden unterstützen« – das ließe ich mir gern gefallen. Alles andere aber bezeugt die ortübliche Aufgeblasenheit im Bildungsdiskurs, das Flunkern einer politischen Offensive, die in der Öffentlichkeit mit triumphalen Gesten hantiert, ohne immer zu wissen, was sie daherschwatzt.

Der schiefe Ausdruck »Schwächen stützen«, ich lasse nicht ab davon, findet sich in der 56. Zeile des österreichischen Bildungsvolksbegehrens, – und er dürfte als bequemer Textbaustein über das Schulexperiment einer Ökosozialen Oberstufe in Graz in den nationalen Forderungskatalog hinein gerutscht sein. In akademischen Kreisen ist das jetzt groß in Mode: das Plagiatisieren.

Schulpolitiker schreiben notorisch voneinander ab. Googelt man die leere Hülse von der gestützen Schwäche, lässt sich ihr Ursprung auf deutschen Provinzunis verorten. Seit etwa zehn Jahren geistert nun das sprachliche Ungeschick, das Mängel noch kräftig erhöhen will, durch die Papers von Ministerien. Und im aktuellen Fall steht dieser sprachliche Widersinn ausgerechnet in einem Forderungskatalog, der lautstark nach selbstständigem Denken ruft und das gleich mit dem eigenen Kauderwelsch Lügen straft.

Der Initiator und Financier des österreichweiten Bildungsvolksbegehrens (mit mageren 5.448 UnterstützerInnen im Netz) ist der sozialdemokratische Industrielle Hannes Androsch. Dieser Ex-Politiker und Gentlema veranstaltet auf höheren Wink aus der Löwelstraße eine «unabhängigen Kampagne«, sprich: einen rot-grünen Probelauf für die nächsten Nationalratswahlen.

Um das klar zu erkennen, braucht man sich nur zu vergegenwärtigen, auf welchen politischen Feldern die Regierungspartei SPÖ seit Monaten Meinungsführerschaft für sich beansprucht: es sind dies die Abschaffung der Wehrpflicht und der Einführung der Gesamtschule.

Wessen Geist das Bildungsvolksbegehren atmet, das haben Androsch und der Medienphilosoph Konrad Paul Liessmann letzte Woche nochmals bei einer Podiumsdiskussion dargestellt. Es sei Ziel eines jeden Bildungsbeflissenen, tönten die Herren unisono, »sich in Form zu bringen«; um Bildung müsse sich unbedingt jeder ehrliche Alpenrepublikaner bemühen, ja mehr noch: Bildung sei nicht nur ein verdammtes Menschenrecht – »sondern auch vorrangig eine Pflicht«.

Ein Bildungsfluch scheint auf dem Land zu liegen. Man will uns moralisch verpflichten, unsere »Schwächen« doch gefälligst »stützen« zu lassen, die morschen Pfeiler sollen ummantelt, die Fundamente unterfundiert werden. Beim aktuellen Volksbegehren fühlt man sich in die 1930er-Ära der Arbeiterbildungsvereine zurück versetzt, als mittels einer staatlich gelenkten »Erziehung zum Guten« der Neue Mensch im industriellen Maßstab aus der Schule rollte.

Ach, industrieromantische Sentimentalität! – Alle auf Bildung abgestellten Diskussionen zwischen Bodensee und Marchfeld haben dieses eine erklärte Ziel: die Heranwachsenden noch früher und effektiver für das Erwachsenleben zu trainieren. In diesem Punkt sind sich übervorsorgliche Eltern, Pädagogen und Schulpolitiker vollkommen eins: Aus den Kleinen müssen selbsttätige Lernmaschinen gemacht werden, damit sie später im Leben nicht untergehen im ungeheuerlichen Ellenbogengerempel.

Nicht mit mir. Supermamis und Superpapis können mir gestohlen bleiben; Herr Androsch soll dem Pisa-Test hinterher hecheln, solange er will. Die Gesamtschule wird kaum etwas an der Unfreiheit der Kinder verändern – sie entfremdet sie nur weiter dem Elternhaus und liefert sie noch nachhaltiger den geheiligten Prämissen des Arbeitsmarktes aus.

Es ist schon wieder dreißig Jahre her, dass der Schweizer Ex-Lehrer und Schriftsteller Urs Widmer das einzige kluge Wort in die versulzte Schuldebatte gerufen hat. Das beste Modell einer neuen Schule, sagte Widmer, heißt Weniger Schule.

Mag unser Parlament das Dienst- und Besoldungsrecht der Lehrer reformieren: gut so. Mag die Regierung die 50-minutigen Stundeneinheit in der Schule zu Fall bringen: sei’s drum. – Aber liberalisieren wir doch erst mal den rigorosen staatlichen Zugriff auf die Schulpflichtigen, entrümpeln wir die Lehrpläne, lockern wir den Lerndruck, akzeptieren wir ein breit differenziertes System von Schultypen, statt die Belastungen auf die Heranwachsenden immer weiter zu erhöhen.

»Heute wissen wir alle zu vieles zu früh«, erkannte Urs Widmer 1980 mit der ihm eigenen Sensibilität. »Wo ist eine genügend harmlose Umwelt, die unsere Kinder wieder den schönen schmerzhaften Weg aus der Naivität ins Verstehen gehen lässt, langsam, Jahrzehnt um Jahrzehnt?«

© Wolfgang Koch 2011

www.nichtsitzenbleiben.at/volksbegehren/forderungen/

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