von 25.10.2011

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Von Kai Schöneberg

Natürlich hatte ich die nettesten Kollegen überhaupt. Die besten Chefs. Und die flexibelsten Arbeitszeiten. Weil ich ja, logisch, auch für die wichtigste Zeitung der Welt gearbeitet habe. Ich habe viel gelernt. Wir waren ein duftes Team. Es war Selbstverwirklichung pur. Niemand hat mich gegängelt. Ich durfte schreiben, was und wie ich es wollte. Acht Jahre lang. Ein Traum. Vor zwei Jahren habe ich die taz trotzdem verlassen.

Ich bekomme heute noch Gänsehaut, wenn ich die jährlichen Rentenbescheide lese. Das wird später nicht mal Hartz IV. Man muss Geld mitbringen, um für die taz arbeiten zu können. Viele taz-Mitarbeiter lassen sich von jemandem aushalten. Es gibt die, die gespart oder geerbt haben, die mit den besserverdienenden Lebenspartnern, die mit den wohlsituierten Eltern, vielleicht ja sogar börsenzockende oder lottoverwöhnte taz-Redakteure. Und es gibt die, die wirklich sparen können.

taz-Rad: Zu teuer für taz-Mitarbeiter
taz-Rad: Zu teuer für taz-Mitarbeiter
An meinem ersten oder zweiten Schnuppertag bei der taz bremen sollte ich zu einem Termin zu den Bremer Stahlwerken, mindestens zehn Kilometer von der Redaktion entfernt. Ich hatte bei meinem Job davor etwa dreimal so verdient wie bei der taz und fragte unseren guten Redaktionsgeist Elke Rosenkranz: „Kannst du mir ein Taxi rufen?“ Elke baff: „Welches Taxi?“ Sie gab mir eine Fahrkarte für die Tram. Ansonsten fährt eine tazze natürlich Fahrrad. Aber das aus dem taz-Shop konnten wir uns natürlich nie leisten.

Wir sind den Abo-Zahlen auf den Leim gegangen. Und hatten ständig Angst, dass die aus der Berliner taz-Zentrale uns dicht machen würden. Sparen war in Bremen, trotz der miserablen Grundausstattung mit allem, Dauerthema. Redaktions-Godfather Klaus Wolschner sagte gerne: „Passiert schon nix. Die Berliner drohen schon, solange es uns gibt.“

Aber eines Tages war er dann auch unruhig: Es gab also einen Plenumsbeschluss, die Gehälter nicht wie geplant um ein oder zwei Prozent steigen zu lassen. Das Lohnniveau in Bremen lag unter dem der Berliner, aber auch dem der Hamburger Redaktion. Dort waren die Zahlen aber auch nicht besser.

Das Knausern hatte damals vor allem zwei Namen: Franz Schilling, unser guter Verlagsgeist, ein Finanz-Genie: Wahrscheinlich hat er von dem schmalen Salär, das monatlich auf seinem Konto landete, sogar noch nebenher ein Vermögen gehortet. Franz fertigte in unverdrossener Schnippel- und Locherarbeit unser in der ganzen Stadt bekanntes und belächeltes taz-Erkennungsmerkmal: die Blöcke aus den Rückseiten benutzter Ausdrucke und Kopierpapier. Franz schüttelte auch die Kopiertonerkartusche, damit sie noch ein bisschen länger hielt.

Ex-Geschäftsführer Andreas Marggraf kam tatsächlich irgendwie aus Schwaben. Ein echter Sparfuchs. Er rettete die kleine Zeitung jeden Tag mit waghalsigsten Kalkulationstransaktionen, die jedem Finanzbeamten die Zornesröte ins Gesicht getrieben hätten – wäre er Andreas denn je auf die Schliche gekommen.

Legendär die Weihnachtsfeiern im Bremer Sozialraum. Andere Firmen schicken ein 13. Monatsgehalt und lassen es bei einer Betriebsfeier krachen. Die taz bremen vergab – in guten Jahren – Sauna-Gutscheine, ein Gegengeschäft. Zudem teilte Andreas Marggraf an einem Abend im Dezember Tomaten und Feta-Käse an türkischem Fladenbrot im Sozialraum aus. Es gab irgendeinen Fusel, vielleicht noch Aldi-Flips und -Chips, und wir betranken uns. Nicht zu vergessen: Der Boßel-Ausflug einige Wochen später ins Blockland.

Das Problem: All die Entbehrungen und das Gegrübele, wie man nur noch etwas knausriger sparen könnte, hatten nur wenig Erfolg. Auch wenn Klaus die Regale in der Redaktion mit seiner Stichsäge zuschnippelte und selbst montierte und wir nur ein aktuelles Behördentelefonbuch hatten, auf das der Godfather „KAWE seins“ geschrieben hatte: Statt vier gab es irgendwann nur noch eine tägliche Lokalseite, der Bremen-Stadtplan im Sozialraum wurde durch eine Norddeutschlandkarte ersetzt. Einige Kollegen zogen nach Hamburg um, ich nach Hannover, andere mussten gehen – immerhin mit einem Sozialplan.

Warum ich mir das angetan habe? Ich hätte ja gehen können – anstatt mich jetzt und hier zu beschweren. Der Vater meiner Freundin sagte einmal unter Alkoholeinwirkung: „Du kannst meine Tochter nicht ernähren.“ Ich stritt mich mit ihr, weil ich nicht die ganze Hälfte der Miete zahlen konnte. Tat natürlich alles weh.

Es ist ja auch absurd, dass die meisten taz-Leser wahrscheinlich die Klammheit vieler taz-Mitarbeiter keineswegs teilen. Viele glauben wahrscheinlich noch an das „Einheitsgehalt“ – längst abgeschafft. Natürlich sind heute bei der taz nicht mehr alle auf gleiche Art und Weise gleich, viele Kollegen haben längst irgendwelche Extrawürste ausverhandelt. Ich habe später einen Tag in der Woche reduziert und nebenher gejobbt, Öffentlichkeitsarbeit. Dann sah ich das Geldding auch entspannter.

Vehement habe ich mich immer dagegen gewehrt, wenn jemand sagte, ich würde wohl aus „Idealismus“ bei der taz arbeiten. Revolution ist Mist, wenn am Monatsende doch Strom und Wasser bezahlt werden müssen. Idealismus, gar Altruismus halte ich also für Quatsch, trotz Praktikantengehältern: Der Job hat einfach Sinn und Spaß gemacht. Wenigstens meistens. Und ehrlich: Wer bei der taz war, will auch nicht mehr bei jedem billigen Jakob anfangen.

Jetzt arbeite ich für eine Zeitung, die noch nie schwarze Zahlen geschrieben hat. Die Auflage bröckelt, das Redaktionssystem ist seit zehn Jahren dasselbe, das Lohngefälle ist der Wahnsinn, aber immerhin gibt es einen akzeptablen Haustarif. Jedes Mal, wenn neue Sparrunden drohen, sagen die altgedienten Gutverdiener: „Die erzählen uns schon seit Jahren, dass es uns bald nicht mehr gibt. Ruhig Blut.“

Kai Schöneberg, 43, war von 2001 bis 2003 bei der taz bremen und dann unser Niedersachsen-Korrespondent in Hannover. Seit 2009 ist er Redakteur bei der Financial Times Deutschland.


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