vonWas tun? 30.04.2024

Was tun? Der Podcast

„Andere Podcasts haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern.“ Karl Marx

Mehr über diesen Blog

Damals wie heute: Arbeitskämpfe sind ein zentraler Hebel, um Zeit gerechter zu verteilen. Im „Was tun?“ Interview spricht Andre von der 4-Stunden-Liga über die Geschichte der Kämpfe um Zeit seit dem Haymarket Massaker 1886, seine Forderung nach einer radikalen Arbeitszeitverkürzung auf 4-Stunden pro Tag bei vollem Lohnausgleich und seine Sicht auf die Tarifkonflikte heute. Lest hier einen Auszug aus dem Gespräch – das ganze Interview hört ihr im Podcast.

Danke an alle Fördermitglieder – ihr macht unseren Podcast möglich! Falls Du noch nicht dabei bist, dann unterstütze „Was tun?“ und Dissens jetzt im Doppelpack mit einem kleinen Beitrag. Schon ab 3 Euro im Monat gehts los: https://steadyhq.com/de/dissens/about 

Auszug aus dem Gespräch

André, mit der 4-Stunden-Liga setzt Du dich für eine Verkürzung der regulären Arbeitszeit auf täglich vier Stunden ein – bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Wie bist du politisch aktiv geworden?

Nach dem Studium habe ich in der Behindertenassistenz gearbeitet. Erst im Laufe der Zeit wurde mir klar, dass ich dort in einem Leiharbeitsverhältnis beschäftigt war. Daraufhin habe ich mich mit anderen Beschäftigten zusammengetan, wir haben gemeinsam einen Betriebsrat gegründet und Betriebsarbeit gemacht. Ich war zwar schon vorher Gewerkschaftsmitglied, aber das war der Punkt, an dem ich aktiv geworden bin: Wir haben dann versucht, Menschen in der Behindertenassistenz zusammenzubringen und die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Das war mein Weg in die Gewerkschaftsarbeit.

Und wie kam es dann dazu, dass du dich jetzt für Arbeitszeitverkürzung einsetzt?

Zur Arbeitszeit als politischem Thema bin ich über August Spies gekommen – eine Person, die heute nur noch die wenigsten kennen. August Spies wurde in Nordhessen geboren und ist in den 1870er Jahren nach Chicago ausgewandert. Chicago war damals eines der wirtschaftlichen Zentren in den USA. Viele Menschen sind dorthin migriert, auch viele Deutsche. August Spies hat sich dort radikalisiert und ist der sozialrevolutionären Arbeiter:innenbewegung beigetreten, die unter dem Begriff „Chicago Idea“ firmierte – das war eine spannende Mischung aus Anarchismus und Kommunismus.

abo

Zeiten wie diese brauchen Seiten wie diese. 10 Ausgaben wochentaz für 10 Euro im Probeabo. Jetzt die linke Wochenzeitung testen!

Die Genoss:innen dort wollten die kapitalistische Lohnarbeit ganz abschaffen. Chicago entwickelte sich damals zum Zentrum einer neuen Streikbewegung für den Acht-Stunden-Tag. Als revolutionäre Arbeiter:innen standen Spies und seine Genoss:innen da erstmal nur an der Seitenlinie, weil die Forderung nach einem acht-Stunden-Tag für sie natürlich ein reformistisches Projekt war – sie wollten die Lohnsklaverei, wie sie es nannten, ganz abschaffen.

Mit der Zeit haben sie jedoch gesehen, dass die Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung eine enorme Mobilisierungswirkung entfaltete. Die unterschiedlichsten Gruppen konnten sich darauf einigen und gingen zusammen auf die Straßen: Facharbeiter mit ungelernten Arbeiter:innen, Frauen und Männer, Junge und Alte, aber auch Menschen unterschiedlichster Ethnien. Das hat Spies und seine Genoss:innen begeistert und mitgerissen – sie sind dann mitten rein in den Kampf für den Acht-Stunden-Tag. Die Geschichte von August Spies und seine Einsicht, dass wir über Kämpfe um Arbeitszeit die unterschiedlichsten Menschen zusammenbringen können, hat mich fasziniert. So habe ich zu dem Thema gefunden.

Das bedeutet, ihr seht euch mit der 4-Stunden-Liga in der Tradition der Arbeitskämpfe in Haymarket – warum fordert ihr ausgerechnet einen 4-Stunden-Tag? 

Die 4-Stunden-Liga hat sich 2016 als politisches Bündnis gegründet. Dafür spielte Andrea Nahles – damals noch die Arbeitsministerin – eine zentrale Rolle. Nahles startete 2015 einen großen Dialogprozess mit dem Titel „Arbeiten 4.0“. Dort ging es um die Frage, was der digitale Wandel für Herausforderungen für die Arbeitswelt bedeutet und wie sie neu organisiert werden muss. Die Arbeitgeberverbände haben es sehr gut geschafft, diesen Dialogprozess für sich zu nutzen: Ein Ergebnis war die Losung, man brauche einen neuen „Flexibilitätskompromiss“ – ein neues Arbeitszeitgesetz, das den Beschäftigten mehr Wahloptionen einräumt. Dahinter stand der Gedanke der Arbeitgeber:innen, dass man ganz nonchalant von den arbeitsgesetzlichen Bestimmungen abweichen könne was die Ruhezeiten, aber auch die werktägliche Höchstarbeitszeit anbelangt.

Wir haben das damals gehört und für uns stand fest, dass das gar nicht geht. Es ist eine weitere Entgrenzung von Freizeit und Arbeit und ein Angriff auf den Acht-Stunden-Tag –eine der wichtigsten Errungenschaften der internationalen Arbeiter:innenbewegung. Wir dachten uns „Angriff ist die beste Verteidigung“. Und so kam es zu unserer zentralen Forderung: ein 4-Stunden-Tag bei vollem Lohn- und Personalausgleich.

Habt ihr euch auch überlegt, wie man das umsetzen und finanzieren könnte?

Zu Zeiten von August Spies gab es die 8-Hour-Associations. Diese Idee haben wir aufgegriffen und uns ebenfalls als Liga organisiert. Als Nächstes haben wir uns überlegt, wie sich ein 4-Stunden-Tag bei vollem Lohnausgleich finanzieren ließe. Das war die größte Hürde und wir haben eine Menge Wirtschaftsstatistik der letzten 100 Jahre gewälzt. Wir haben Experten-Hearings gemacht und dergleichen und sind schlussendlich zu diesem Finanzierungskonzept gekommen: Zahlen muss das Kapital.

Nun sprechen wir ja zum 1. Mai – auf welche Meilensteine kann die internationale Arbeiter:innenbewegung zurück schauen?

 Zuerst natürlich auf den erfolgreichen Kampf für den acht Stunden Tag. Die Streikbewegung in Chicago wurde ja blutig niedergeschlagen, aber nach dem Aufstand in Chicago stand die Forderung nach dem 8-Stunden-Tag ganz oben auf der Agenda der Arbeit:innenbewegung. Als die Genoss:innen drei Jahre später 1889 in Paris zum internationalen Arbeiterkongress zusammenkamen, beschlossen sie, dass Arbeiter:innen auf der ganzen Welt am ersten Mai gemeinsam auf die Straßen gehen sollten, um für den Acht-Stunden-Tag zu streiken. In diesem Kampf ging es darum, die Industrialisierung, die die Arbeiter:innen gesundheitlich kaputt machte, einzugrenzen. In Deutschland wurde der 8-Stunden-Tag 1918 erstmals gesetzlich festgeschrieben. Weil damals aber auch samstags gearbeitet wurde, gab es dennoch eine 48-Stunden-Woche.

Die Samstagsarbeit liegt in vielen Berufen zum Glück hinter uns. Wie kam es dazu?

Ein wichtiger weiterer Meilenstein war der Kampf des DGB für die Einführung der 40-Stunden-Woche. Der berühmte Slogan dafür war „Samstags gehört Vati mir“. Es ging also einerseits wieder um die Gesundheit, aber jetzt auch um die Rückaneignung von Lebenszeit – also um mehr Zeit für Familie, Hobbies und kulturelle Dinge. Es gab damals tolle kurze Filmclips, wo den Arbeiter:innen vermittelt werden sollte, was man alles machen kann, wenn man den Samstag frei hat. Die 40-Stunden-Woche, die vielen von uns heute so sicher scheint, wurde in Deutschland aber nie gesetzlich verankert. Nach Arbeitszeitgesetz ist eine 48-Stunden-Woche noch immer möglich. Die 40-Stunden-Woche wurde von den jeweiligen Gewerkschaften erkämpft, 1965 erstmalig in der Druckindustrie, danach in der Metallindustrie.

Mit Blick auf den kürzlichen geschlossenen Tarifanschluss der GDL haben einige Gewerkschaften ja sogar noch mehr Zeit für die Arbeitnehmer:innen in ihren Branchen raugeholt. 

Die dritte wichtige Wegmarke in Deutschland war Mitte der 80er Jahre der Kampf der IG Metall um die 35-Stunden-Woche. Dieses Mal war das Motto „Mehr Zeit zum Leben, Lieben, Lachen“, das war 1984. Deutschland steckte zu dem Zeitpunkt in der Rezession. Es gab so etwas wie Massenarbeitslosigkeit. Ein wichtiger Beweggrund für Arbeitszeitverkürzungen in diesem Kontext war, die Arbeit umzuverteilen. Also Menschen, die arbeitslos waren, in Arbeit zu bringen und bestehende Arbeitsverhältnisse zu sichern. Dass sich seit den 80er Jahren trotz der Zuwächse der Produktivität kaum etwas getan hat, zeigt: Eine radikale Arbeitszeitverkürzung ist heute längst überfällig.

In welchem Verhältnis stehen Kämpfe um Arbeitszeit zu anderen politischen Kämpfen, zum Beispiel im Bereich der Geschlechter-Gleichstellung oder der Ökologiebewegung?

 Uns allen ist klar, dass Arbeit für unsere Gesellschaft zentral ist, weil sie die materielle Reproduktion der Gesellschaft sicherstellt: Sie schafft Güter und die Dienstleistungen, die wir zum Leben brauchen. Arbeit sorgt auch für gesellschaftliche Teilhabe und steht so im Zentrum unserer Gesellschaft. Aber neben der Erwerbsarbeit müssen wir auch auf die Sorgearbeit oder Care-Arbeit schauen. So wie wir gewerkschaftlich gegen die Despotie im Betrieb kämpfen und uns gegen das Herrschaftsverhältnis von Kapital über Arbeit zur Wehr setzen, so müssen wir auch beim Thema Sorgearbeit gegen die Unterdrückung im Geschlechterverhältnis kämpfen – und Zeit ist da ein wichtiger Hebel.

Die Feministin Frigga Haug hat dafür die 4-in-1-Perspektive entwickelt. Nach ihr gibt es vier gleichberechtigte Arbeitsfelder: Erwerbsarbeit, Reproduktionsarbeit, kulturelle Entwicklung und politische Arbeit bzw. Gemeinwesenarbeit. Unser Kampf für einen 4-Stunden-Tag, der mehr Raum gibt für Reproduktionsarbeit, Kultur und politische Arbeit, ist also auch ein feministischer Kampf.

Und wie ist es mit der Klimafrage?

Es gibt auch Schnittmengen mit der ökologischen Frage. Oft dreht sich diese Debatte um individuelle Konsumentscheidungen. Dabei gerät aus dem Blick, dass die Lohnarbeit eine der Hauptquellen für Treibhausgasemissionen ist. Wenn weniger gearbeitet wird, wird weniger produziert und das verringert auch den Ressourcenverbrauch und die Emissionen. Ebenso können antifaschistische Kämpfe an unsere 4-Stunden-Forderung andocken. Bei den Rechten ist ein bestimmtes Verständnis von Arbeit zentral: als moralisch verpflichtender Dienst an der Volksgemeinschaft. Das Gerede von „Deutscher Arbeit“ und „Made in Germany“ stehen sinnbildlich dafür. Dem setzen wir entgegen: Klasse und Kampf statt Ethnos und Ethos. Selbstbestimmte Zeit statt fremdbestimmter Zeit und unseren steten Widerspruch zum Imperativ der Arbeit.

Aktuell gibt es auch innerhalb der Linken Kontroversen, ob es gerade der richtige Zeitpunkt für eine Reduzierung der Arbeitszeit ist. Und Merz, Lindner und Co fordern natürlich schon längst, die Leute mehr in die Arbeit zu zwingen. Warum ist aus eurer Sicht dennoch gerade der richtige Zeitpunkt, um eine radikale Arbeitszeitverkürzung zu fordern?

 Ich denke, was die Kämpfe um Zeit anbelangt, sind wir aktuell an einem sehr interessanten Punkt. Die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung erlebt eine Renaissance: Wir haben das gerade bei der GDL gesehen, aber auch ver.di macht gerade eine riesengroße Befragung zum Thema Arbeitszeitverkürzung, weil nächstes Jahr die Tarifrunden im öffentlichen Dienst anstehen. In den Verhandlungen wollen sie das Thema Arbeitszeit in den Mittelpunkt stellen. Ich sehe auch, dass die Gewerkschaften aufgrund der Arbeitsmarktlage wieder an Macht hinzugewinnen und dass sich das Machtverhältnis zugunsten der Lohnarbeitenden verschiebt.

Woran machst du das fest?

Das wird für mich deutlich daran, dass das Gejammer der Interessenvertretung des Kapitals immer lauter wird und an den Angriffen, die jetzt auf das Streikrecht gefahren werden. Das alles ist sinnbildlich dafür, dass sich da was im Machtverhältnis zu verschieben scheint. Die Arbeitgeber:innen tun gerade alles dafür, dass sich die Arbeitsbedingungen nicht verbessern. Sie versuchen so viele Arbeitskräfte wie möglich zu mobilisieren, damit die Löhne nicht steigen und das Wachstum stimmt. Alle sollen länger arbeiten: Alte sollen länger arbeiten, Jüngere sollen eine kürzere Ausbildung machen, Frauen sollen aus der Teilzeit in Vollzeit wechseln. Dort, wo Einwanderung dem Kapital nützt, wird sie erleichtert und es wird enormer Druck auf Bürgergeldempfänger:innen ausgeübt, jede noch so beschissene Arbeit anzunehmen.

Das soll auch ein disziplinierendes Zeichen an alle Menschen senden, die in Arbeit stehen. Wenn es nach dem Kapital geht, sollen sie bloß nicht aufbegehren, keine überzogenen Ansprüche stellen und vor allen Dingen noch mehr und länger arbeiten. Mit Blick auf die Funktionsweise einer kapitalistischen Gesellschaft macht es Sinn, dass die Arbeitgeber in diesen Zeiten, in denen sich die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer:innen verbessert, stärker auf Zwang setzen. Ihnen geht es ja um die Sicherung der Unternehmensgewinne gegen erhöhte Lohnkosten und um die Sicherung des schrankenlosen Wachstums.

Das klingt ja eher nach rauem Gegenwind aus der Arbeitgeber:innen-Richtung.

Es zeigt unsere Chance: Eigentlich ist jetzt genau der Zeitpunkt für Gewerkschaften, mit offensiven Forderungen voranzugehen und ihre verbesserte Verhandlungsposition für die Durchsetzung von Arbeitszeitverkürzungen zu nutzen. Auch wenn wir als Liga den 4-Stunden-Tag fordern, steht für uns fest: Jede Stunde weniger Arbeit ist eine Stunde mehr für uns.

Das ganze Interview hört Ihr im Podcast „Was tun?“ – hier im Blog und überall wo es Podcasts gibt.

Weiterführende Links:

August Spiess: https://de.wikipedia.org/wiki/August_Spies_(Journalist)
Samstag gehört Vati mir: https://www.planet-wissen.de/geschichte/deutsche_geschichte/wirtschaftswunder/pwiewissensfrage398.html 
Mehr Zeit zum Leben, Lieben, Lachen: https://www.igmetall.de/ueber-uns/geschichte/der-kampf-um-die-35-stunden-woche
Theresa Bücker: Alle Zeit: https://www.ullstein.de/werke/alle-zeit/hardcover/9783550201721
Frigga Haug 4 in Einem: https://www.endlich-wachstum.de/wp-content/uploads/2017/01/C_Who-cares_Hintergrundtext-4-in-1-Perspektive.pdf

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/was-tun/jede-stunde-weniger-arbeit-ist-eine-stunde-mehr-fuer-uns/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert