vonlottmann 14.06.2009

taz Blogs


Willkommen auf der Blogplattform der taz-Community!

Mehr über diesen Blog

Aus: ‘Mit Nichte Hase in Asien’ (folgend die Stelle, in der der Ich-Erzähler den französischen Kollegen Michel Houellebecq in dessen Lieblingsbordell trifft bzw. gerade getroffen hat. Anm. d. Blogwarts).
…Für das Schreiben, erst recht das mündliche Berichten, gibt es in manchen, seltenen Fällen ein ZUVIEL an Erlebten. Ich merkte es, als mich Elke (Naters) unmittelbar nach meiner Begegnung mit Houle scharf zur Rede stellte: “Na, und? Wie war’s?” Ich konnte nur ausweichen. Ich faselte irgendwas, ich weiss es gar nicht mehr. “Und wo hast du ihn getroffen?” Ich sagte, es sei wohl im Sky Train gewesen, das sei so ein Zug weit über den dächern Bangkoks, der in ziemlicher Höhe verkehre, viel höher als unsere S-Bahnen, 30 Meter über der Erde, sehr bemerkenswert, wie in Fritz Langs Metropolis, und er sei recht teuer, dafür führen nur sauber gekleidete junge Thailänderinnen darin, die einem genau gegenübersitzen würden und den Blick unterwürfig zu Boden… Elke unterbrach mich recht ungehalten. “Genau wie bei Christian (Kracht), dieses Rumgelabere, ich kann es nicht mehr hören! Sprich Klartext mit mir, sonst fühl ich mich verarscht und blöd! Wie war er, wie habt ihr euch getroffen?!” Ich räusperte mich, war völlig hilflos. “Zufällig halt…” murmelte ich. “So eine Scheiße! Houellebecq trifft man nicht einfach so! In Bangkok!!” Sie schrie förmlich und die Kinder liefen weinend auf die Veranda. Sie hatte ja recht. Bangkok war dreieinhalb mal größer als Berlin. Aber ich MUSSTE ihn zufällig treffen, das war doch die Hauptregel beim Paparazzen. Die Frau beim Verlag (Dumont), der Platforme in Deutschland rausbringt, Houles großen Roman über Thailand, hatte mich sogar ausdrücklich gefragt, ob ich denn keinen Termin mit dem Autor wünsche. Nein, die deutsche Übersetzung würde genügen. Es waren aber erst acht Seiten übersetzt, und die habe bereits die FAS (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung) gekauft. Selbst das französische Original war erst Tage vor meiner großen Recherche sprich Suchreise in Deutschland ausgeliefert worden. Hase, die besser Französisch spricht als Deutsch, übersetzte mir daraus während des 23-stündigen (mit Anschlußverbindungen) Fluges. Ich hab’s aber grundsätzlich lieber in der Sprache meines Vaterlandes, also tiptop literarisch perfekt deutsch (die Übersetzungen sind ja immer besser als das Ur-Gestammel, jedenfalls wenn sie von Ulli Wittmann verfertigt werden), und so trat ich mit Wittmann in Kontakt, ein brillianter Franzose und guter Deutscher. Er versprach mir, die nächsten zehn Seiten direkt an Sven (Lager) zu mailen, meinem Gastgeber. “Das wird Sie eine hübsche Stange Geld kosten, mein Lieber, die FAZ war auch nicht kleinlich.” Ich sagte, daß die SZ (Süddeutsche Zeitung, d.Red.) dem sicherlich nicht nachstünde. “Und Sie treffen Houllebecq in Thailand? Ein Team vom französischen Sender Canal 5 war auch gerade da. Sehr interessant. Hab ich auf Video aufgezeichnet. Aber wollen Sie das Interview nicht in Paris führen? Da haben sie mehr Ruhe, das sage ich Ihnen.” Er lachte etwas häßlich, vielleicht irrte ich mich auch. Ich wollte ihm nicht sagen, daß ich im Forum keine terminierten Treffen behandeln durfte und wich aus: “Ach, Ulli, wissen Sie, das Thema Sexuelle Ausbeutung der Dritten Welt durch die Erste, noch dazu jetzt, da sich sexuelle und kriegerische Handlungen globalisiert zeigen, behandle ich lieber direkt vor Ort. Ich bin ja nicht irgendwer und die SZ ist nicht irgendeine Zeitung.” Doch zurück zu Elke. Sie verstand nicht, daß mir die Worte nicht fliessen wollten beim großen Erlebnis. Für mich war das sehr unangenehm. Sie war meine Gastgeberin. Sie leitete Worpswede. Sie war gut gewesen gegen meine Nichte, hatte ihr die doch arg vermißte Mutter ersetzt. Sie hatte “Königinnen” geschrieben, ein wichtiges Buch. Ich bekam einen echten Schweißausbruch, was gar nicht so leicht ist in einem Land, in dem man ohnehin immerzu schwitzt, bei einer Luftfeuchtigkeit von 120 Prozent und einer Dauertemperatur von 38 Grad das ganze Jahr (weil Äquator). Ich gab zu, ihn nicht im Sky Train getroffen zu haben. “Wo DANN?!” schnaufte sie. Es war für sie wohl wirklich wichtig, und ich erkannte darin, welche Bedeutung der verfemte Autor inzwischen hatte (die Taliban hatten die hl. Fatwa gegen ihn verhängt, da er islamistische Araber in seinem neuen Buch sehr schön als ‘Kamelficker’ beschreibt). Ich sagte, Hase habe ihn mir zugeführt. “WO?!” “Äh… auf einer Party. Hase macht gern party-party.” “Unmöglich! Sie war die ganze Zeit bei uns im Haus!” “Nicht immer. Manchmal hab ich sie ins Bordell mitgenommen.” Es sollte gar nicht lustig klingen (war ja auch nur die Wahrheit), aber Elke überlegte erstmal und schwieg. Dann sagte sie wieder, ich sei wie “der Kracht” und sie könne es nicht mehr hören. Das sei alles bullshit-Gerede und das Gegenteil von Kommunikation. Sie begann fast zu weinen und holte zur Ablenkung die Kinder zurück. Fast das ganze Haus hatte ich zum Weinen gebracht. Aber es ist wirklich SCHWIERIG, etwas so Ungeheuerliches einfach so locker zu erzählen. Also diese Houle-Sachen, die ja immer viel mit Sex zu tun haben. Hase kam und ich munterte mich auf. “Na, weißt du noch, wie du mir im Flugzeug einen runtergeholt hast?” Sie hob drohend den Zeigefinger. “Wehe, du schreibst das auf!” “Nee, bleibt alles in der Familie, keine Angst… und ich hab wahrlich anderes zu schreiben”, seufzte ich, “diesen Houellebecq-Scheiß… es fällt mir schwer, es auch nur zu ERZÄHLEN.” Elke hatte das aufgeschnappt. Aber nicht richtig. Sie begann, das Buch ‘Elementarteilchen’ zu rezitieren und schnitt von sich aus das Thema Swinger-Clubs an. Hase verstand nun ‘Swing Clubs’ und berichtete von einem Film, den sie darüber gesehen hatte. Die sogenannte Swing Jugend sei die erste deutsche Pop-Bewegung gewesen, belehrte sie uns. “Freilich, Hase, ich war doch dabei, kurz vor dem Krieg”, log ich. In Wahrheit war ich damals noch zu klein für Schallplatten. Sven kam von oben (wir saßen auf der Terrasse, er hatte die Räume mit den kirchenschiffgroßen Ventilatoren vorgezogen) und griff dankbar das Wort Swinger Clubs auf. Auch er hatte darüber etwas zu sagen, sogar er, mein geliebter Freund Sven (Lager), nämlich über die ungefähr hunderste Sendung “Swinger Clubs in Brandenburg”, die er gesehen hatte. Ich schüttelte mich. “Daß ihr sowas Scheußliches überhaupt in Euer Bewußtsein reinlaßt…” wunderte ich mich halblaut und schlug Hase vor, sich erstmal in der Toilette einzuschließen. Sven sagte rasch, er habe doch nur über Houellebecq geredet, sozusagen mir zuliebe. Elke fragte mit einem schlimmen Unterton, ob ich den denn überhaupt gelesen habe. Ich schüttelte den Kopf: “Natürlich nicht. Ich laß’ mir doch meinen eigenen Houellebecq nicht nehmen!” Sie stand abrupt auf. “Waa-as?! Dann ist also alles wieder nur Blödsinn?” Ich beugte mich unsicher zu ihr, flüsterte: “Es ist… mein besonderes Verhältnis zur, äh, …” Ich kriegte das Wort nicht über die Lippen. Dann sagte ich zu Sven: “Ich bin ein Arbeiter des Überbaus. Das weiß man doch jetzt. Oder immer noch nicht?” Elke meinte wieder, ich gefiele mir in Andeutungen, wolle verwirren, mich wichtig machen, aber da sei nichts dahinter, GAR NICHTS. Wie beim Kracht. Alles keine solide Literatur, bloß Schaumschlägerei. Gemeinsam sei uns beiden auch, daß wir weder beim Bund noch beim Zivildienst gewesen seien. Ihre Stimme schwoll an: “Deine Rede sei ja ja oder nein nein, steht in der Bibel! Kein Drumherumgerede!” Hase schlug vor, einfach die Musik zu wechseln. Bis jetzt hörten wir Jochen Diestelmeyer alias Blumfeld, den ich aufgelegt hatte. Eigentlich sehr harmonische Musik, liebenswerte Texte (“Ihr habt alles falschgemacht / nie über etwas nachgedacht / Doch jetzt ists vorbei / wir sind frei…”), doch nun legte das gute Kind weichgespülten Berliner Spät-Tekkno auf, grauenvoll und weder gut noch laut, sondern nur kontinuierlich störend. Wir mußten nun alle so laut reden wie Elke, auch wenn wir gar nicht wütend waren. Elke informierte auf dessen Frage endlich Sven, worüber wir uns überhaupt stritten: “Joachim hat mit den Fernsehleuten Houle getroffen und will nicht raus mit der Sprache.” Sven atmete auf. “Ach, ich dachte es ginge um Christian.” “Nein.” “Der ist übrigens Star der Buchmesse.” “Wer sagt das?” “Gerrit Bartels.” “Der Gerrit Bartels von der taz?” “Ja, der.” “Dann stimmt es auch!” Wir freuten uns alle und schwiegen beglückt. Ich, weil ich angeblich so war wie “der”, Sven, weil er mich mochte und für den geistigen Vater von Christian hielt, Elke, weil der Angesprochene ein Teil von Worpswede war, Hase, weil sie ihn gerade kennengelernt und man ihr (fälschlicherweise) zugetragen hatte, er würde sie mögen, die Kinder, weil die Erwachsenen gute Laune bekamen. Dann aber sagte Sven, ganz ungehalten: “Wie war es denn nun mit Houellebecq??” Der Eiertanz begann von Neuem. “Darüber möchte ich jetzt (räusper) nicht sprechen.” “Warum denn nicht? Sind wir dir zu doof dafür?” “Nein, weil es mir peinlich ist.” “Warum denn das?” “Weil es zu intim ist.” Jetzt schwiegen sie beide, wirkten verärgert. Ich sagte: “Es ist so intim, weil ich darüber schreiben werde, nicht weil es mit Sex zu tun hat.” Sven guckte erleichtert hoch. “Ach so! Ich dachte schon, du hättest… also, man, äh, hört da… von wegen…” Ich wußte nicht genau, was er meinte. Ich weiß es eigentlich immer noch nicht. Denn nun legte er die Platte “Sextourismus in Thailand” auf und referierte frei zwanzig Minuten lang über dieses Thema, ließ sich nicht stoppen. Ich hielt mir die Ohren zu. “AUFHÖREN! AUFHÖREN! Ich darf mir mein Thema nicht kaputtrecherchieren lassen!” “Warum nicht?” “Weil es das alles gar nicht GIBT!” Sie sahen mich an, warteten auf eine Erklärung. Die wäre gewesen: seit zwei Wochen schwommen Hase und ich durch den Strom der neun Millionen Einwohner Bangkoks, berauscht, selig, und wir sahen hundert tolle Sachen pro Minute, wunderbare Menschen, ein Volk der Liebenden, ein Traum. Wir konnten nicht finden, daß Thailand ein einziges großes Bordell war. Auch in der hinterletzten deutschen Kleinstadt gab es mehr Prostitution als hier. Jeder brandenburgische Swinger Club entwickelte mehr böses Kharma als alle Freudenhäuser Südostasiens zusammengenommen. Houellebecq hatte sich alles nur ausgedacht, wie Brett Easton Ellis seine Models in Glamorama, das war doch gerade das Gute daran. Deswegen durfte ich mir jetzt auch meinen Houellebecq ausdenken. Nur treffen hatte ich ihn halt müssen, wegen Forum und so. Weil die wissen wollten, wie er AUSSIEHT. Das ist doch der Witz beim Forum: man trifft einen Prominenten und teilt dann allen seinen Freunden per e-mail mit, wie der denn in Wirklichkeit so aussieht. Ich wandte mich zu Elke: “Sieh mal, ein Bild – ich wähle jetzt einen ganz anderen Bereich, um das zu verdeutlichen – ein Bild ist doch auch nicht wichtig, weil es gemalt ist, sondern weil darüber geschrieben wird und WIE darüber geschrieben wird, WAS dazu gesagt und neu gedacht wird.” “Am Ende ist dir die Wirkung einer Sache noch wichtiger als die Sache selbst…” resümmierte sie verächtlich. Gott sei Dank. Sie hatte mich verstanden. Wir müssen ins gesellschaftliche Bewußtsein eingreifen, das andere sollen Kunsthandwerker tun. Juith Hermann zum Beispiel. Aber Michel hat den ganzen literarischen Bereich repolitisiert, deswegen ist er toll. Da greife ich ein und mit mir Millionen. Alle reden, einige schreiben. Die Debatte ist da, was schert mich das Buch? Soll ich mich zu seiner Grammatik äußern? Ich wollte das alles gerade ausführen, als eines der Kinder, nämlich der siebenjährige Anton, mir ein Geschenk überreichte. Ein Schlüsselanhänger in Form eines kleinen Stoffschweines. Aber überspringen wir jetzt ein paar Stunden, freilich rückwärts, und kommen zu der Szene, in der ich den Autor traf. Soviel sei noch gesagt: Es gelang mir bis zuletzt nicht, den Worpswede-Leuten (später kamen noch andere hinzu) die Szene zu schildern. Ob ich sie nun wenigstens zu Papier bringen kann, müssen wir also abwarten… Über die Prostitution in Thailand läßt sich vielleicht folgendes sagen: 99 Prozent aller Frauen leben absolut anständig, gehen jungfräulich in die Ehe, haben ihren ersten Kuß mit 27 (subjektiv gefühltes Alter etwa die Hälfte) in der Hochzeitsnacht. Bis dahin lieben sie ihre Eltern und Geschwister, vor allem sind sie religiös, liebenswert bhuddistisch. Sie leben im Land der Liebe, ich sagte es schon, vor allem aber sehen sie wahnsinnig geil aus. Alle unter 20 sehen aus wie Kinder, fallen also weg, alle 20- bis 40-jährigen sehen aus wie Teenager, alle über 40-jährigen verstecken sich in Bambushütten, die sieht man grundsätzlich NIE. Auch die “Männer” machen sich seltsam unsichtbar. Ab und zu sieht man irgend einen subalternen Bengel hinter einer Ecke verschwinden, der war dann laut Geburtsurkunde ein “Mann”. Da kann man natürlich nur lachen, wenn man selbst viermal so groß ist. Die süßen Frauen nun, die mit den Weißen schlafen, machen das nicht, weil sie “versaut” wären, wie man annehmen könnte (immerhin befriedigen sie ja angeblich die seltsamsten Wünsche). Man muß sich das so vorstellen: Kämen zu uns Japaner, deren geheimster und obszönster Wunsch es ist, mit ihrer kleinen Nase die Nase eines weißen, großen Mannes zu berühren, ein in Japan so sagenhaft verbotenes und gigantisches Tun, daß sie für dieses Naserubbeln 3.000 Mark bezahlten, dann würde ich, wenn ich total Pleite wäre und eine große Familie von mir ökonomisch abhängig wäre, das tun. Ich würde die dreitausend Mark mit Freuden einstecken und mich überhaupt nicht versaut dabei vorkommen. Den vor Dankbarkeit grunzend kollabierenden kleinen Japanern wäre ich ebenfalls nicht gram, sondern würde ihnen einen guten Heimflug wünschen. So ist das also in Thailand. Die Mädchen dort sind wirklich lieb, sie wollen einen gar nicht mehr gehen lassen, nehmen partout kein Trinkgeld an und folgen einem noch durch die ganze Stadt. Dies muß einen nicht beunruhigen, denn Kriminalität ist in dieser Region vollkommen unbekannt. Michel hat also, seinem schwarzen Gemüt entsprechend, ein schwarzes Bild einer Sache gemalt, die eigentlich golden ist. Die Anmut der Thaifrauen – tja, man ist gewillt, den Satz nicht zuende zu schreiben, und tut man es doch, hat man der Sache keinen Dienst erwiesen. Selbst die Singapore Airlines werben so penetrant mit dieser “Anmut” genannten Eigenschaft, daß ich schon als junger Mann nur höhnisch auflachen konnte (“he he, gleich bläst sie ihm einen…”). Anmut kann man eben nicht beschreiben, man muß sie gesehen und erlebt haben. Thaifrauen rutschen auf dem Mann herum, als habe eine unsichtbare Gotteshand ihren kleinen elastischen Körper gepackt und wische mit ihm als weichen, shampoogefüllten Schwamm herum, ein menschlicher Ganzkörperschwamm, der alle Hügel und Täler des bleichen, massigen Westkörpers gleichzeitig knetet, liebkost, spült… ein Wunder! Wie sollte man das beschreiben, ohne sich lächerlich zu machen? Noch dazu vor Elke, die wahrscheinlich schrill werden würde: “Was, kneten, liebkosen – was denn nun? Entweder oder! Entscheide dich, red nich so schwul herum, Mann. Deine Feiertags-Folklore-Rede kannste mal vor dem Komitee zum Schutz der Opfer von Sextourismus und Kinderprostitution der UNO-Flüchtlingshilfe halten, du verKRACHTer Spinner!” Mir erginge es wie Peter Handke, der es eines Tages nicht mehr ausgehalten hat mit den immer-immer-immer-gleichen Greuelgeschichten der Serben in den Medien (“Serbien muß sterbien”), und nach Belgrad fuhr und lauter nette Leute traf und das beschrieb. Er sagte einfach nur, was er erlebt hatte, er ließ nichts weg, fügte nichts hinzu. Damit war er erledigt, also selber Kriegsverbrecher. Seitdem kann man Handke nicht mehr spielen. Selbst ich war genötigt, mich von ihm vor meinen engsten Freunden zu distanzieren (“Handke-Fan, ich etwa? Oh mein Gott, nein, früher einmal. Aber seine Rezeption der Balkanproblematik sollte als naiv zu gelten haben, finde ich, also ganz entschieden jetzt.” Aus: jungle world 12.10.1999). Ich wollte eben weiter dabei sein. Auch meine Relativierung der Houellebecqschen Thesen wäre auf dünnem Eis. Aber das Forum liest ja keiner. Und ich beschreibe ja nur, wie er aussieht, eigentlich und wie gesagt. Und wo ich ihn traf. Also ich hatte von Canal Cinque die Auskunft bekommen, sie drehten mit ihm auf Koma Sui. So oder so ähnlich hieß eine Insel im Süden Thailands. Hase brachte mich mit dem Nachtzug hin, was ganz lustig war, nämlich viel normaler und selbstverständlicher als bei uns. Tausend Kilometer, kein Problem, keine Hektik, alle lächeln wie gewohnt. Man kann nämlich jedem thailändischen Menschen beliebig lange in die Augen schauen und Entdeckerfreude sehen, Lust aufs Gegenüber, Klugheit. Und sie sehen auch alle so gut aus, vielleicht liegt es daran. Wer gut aussieht, kann sich eben viel leisten. Wir waren einmal auch kurz in China, meine Assistentin und ich (wenn schon, denn schon), und da lächelte keiner mehr. Selbst junge Mädchen, ja junge Männer sahen aus wie alte, verbiesterte Frauen, die entrückt vor sich hinschimpfen und mit krummen Rücken Krötensuppe kochen. Meine Euphorie bezieht sich nur auf Thailand, China kann mir nach wie vor so gestohlen bleiben wie das entsetzliche Russland. Und gerade deshalb ist es so ärgerlich, daß dieses lotusgetränkte Land der Erlösung und Erfüllung als neues Ballermann-Sechs-Mallorca kommuniziert und “prozessiert” (R.Goetz) wird. Also auf Koma Sui lernte ich einen Mann namens, hmm, lieber mal Datenschutz hier, muß auch mal sein, und der erzählte mir, wo Houle nachts WIRKLICH hingeht, nicht nur fürs Fernsehen, nämlich ins Hotel Prince in der New Petchabury Road (also Bangkok natürlich), was aber nur die Deckadresse sei. Da müsse man sich hinfahren lassen und aussteigen und sich dann zu irgendeinem Nebengebäude durchfragen. Er nannte ein Codewort und noch ein anderes. Gesagt, getan. Nach meinem alten Lebensmotto “Nicht ohne meine Tochter” nahm ich Hase selbst dahin mit, besser sie mich, denn da war es echt gefährlich, und gefunden hätte ich da gar nichts. Wenn ich als Reporter jemals gescheitert wäre, dann hier. Schon diese Straße hätte ich nie und nimmer gefunden, da thailändische Taxifahrer nur thailändische (chinesische) Schriftzeichen kennen und die Straße viel zu klein war, um sie irgendwie beschreiben oder zuordnen zu können. Selbst Hase verschliß an diesem Tag vier Taxifahrer und diverse Tukk-Tukks. Dann aber waren wir da. Sie war nun also nicht mehr Nichte, sondern bereits Tochter, da sie in diesem Zuhältermilieu den vollen Schutz eines Erwachsenen bekommen sollte. Houellebecq wußte, daß ein deutscher Mann wohl seine Nichte, niemals aber seine eigene Tochter von einem wrackigen französischen Schriftsteller mißbrauchen lassen würde. Das war mir wichtig. Ich behandelte Hase auch schlagartig mit mehr respect und unterließ niveaulose Scherze mit “runterholen” und so weiter. Ich schrie sogar “Man sieht deine Unterhose!!” und nestelte hysterisch an ihrer Jeans, zog sie mit aller Kraft nach oben. Prompt verzog sie den Mund zu einem schiefen Entenschnabel und quakte mißgetönt “Dad!”, was sich anhörte wie Dääääd!! und durch die ganze Lounge hallte. Dann passierten diverse Pannen, die nun unwichtig sind, am Ende fuhr uns ein Taxi in die nebengelegene Tiefgarage, wo sich ein Sexschuppen neben dem anderen befand. Sah aber alles aus wie Kfz-Handel, Schwarzarbeit, Umspritzen, Lada-Klitsche, Rußland, eben wie: UNTERWELT. War ja auch alles unter der Erde. Die Luft nicht zu atmen, wie der Heißdampf, mit dem bei uns in den Waschstraßen die Autos gewaschen werden. Hase mußte mich die letzten Meter tragen. Hier also lebte Michel. Hätte man sich eigentlich denken können. Wir passierten wieder einen Pförtner, sehr freundlich. Der dachte, hier bringt sich einer die Dame mit, zum flotten Dreier (heißt heute sicherlich anders). Drinnen jedenfalls wurde das immer wieder ausgesprochen, fast verlangt: “Ju tak ladi for tu!” (Sie nehmen zwei Frauen für den Geschlechtsverkehr). Auf keinen Fall wollten sie Hase allein da rumsitzen haben. Diverse Gangster wurden besorgt hinzugezogen. “Wot is sis?” (Was ist denn das für eine Person). Ich sagte immer “my daughter”, aber sie verstanden das Wort nicht, außerdem ist meine englische Aussprache irreführend schlecht. Die armen Gangster sahen bemitleidenswert konfus aus, wieder nur so dünne Hemdchen, die man umpusten konnte. Dagegen die Frauen: begeisternd. Sie saßen hinter einer großen, etwa zwanzig bis dreißig Meter breiten Schaufensterscheibe, nackt, angestrahlt mit superhellen Scheinwerfern, eine Nummer um den Hals. Bestimmt fünfzig Frauen, eine überwältigende Menge also. Drinnen im Dunkeln lümmelten sich ein paar Männer in die schweren Sessel, nur ein Westler, drei, vier andere, vielleicht Araber, schwer zu erkennen bei dem Licht. Obwohl es im Spannerraum so dunkel war, erkannten die fünfzig angestrahlten Mädels Hase und mich sofort, also MICH sofort, Hase zählte wahrscheinlich nicht, und richteten ihre aufgerissenen Augen auf mich, lächelten, winkten, sprangen hoch vor Freude, warfen Kußmünder. Ich konnte nicht hinsehen. Das klingt sicher jetzt unglaubwürdig, aber es war so. Immer mehr Gangster kamen und versichterten, Hase könne dabei sein beim Akt. Dann sagte Hase einmal zufällig “Papa” zu mir – mein Wort, Leser, es war so – und das verstanden sie plötzlich. Einer wiederholte es: “Papa!!” Und alle lachten brüllend vor Vergnügen und Erleichterung, “Papa! Papa! Papa!”. Sie fielen sich und mir fast um den Hals. Mensch, der Papa! Klar, daß die Tochter da zusehen will! Nee (Scherz), Hase war von da an in Sicherheit, das versicherten mir alle Gangster mit treuherzigen Blicken. Sie konnte auf Houellebecq aufpassen, während ich ein Thaimädchen bekam, was sich folgendermaßen zutrug: Hase, die im Gegensatz zu mir neugierig auf die Frauen glotzte, meinte sofort, da sei eine, die sei komplett außergewöhnlich. Ich blinzelte einmal hin und sah es auch sofort. “Die mußt du unbedingt nehmen, überhaupt keine Frage.” Eigentlich hatte ich an dem Tag schon zwei im Hotel gehabt und gar keine mehr im Sinn, schließlich war Houellebecq-Tag, aber DIE mußte es nun wirklich sein. Das Ultra-Erlebnis! Ganz schwindlig vor Verliebtheit kam ich da viel zu spät wieder raus, ich wußte gar nicht mehr, was ich mit Michel wollte, als ich Hase schlechtgelaunt mit einem Westler-Penner am Tisch wiedertraf, den sie offenbar nicht abschütteln konnte, selbst sie nicht, oder nicht wollte. Trotz aller Berauschtheit und Verliebtheit war ich irgendwie gereizt, und Hase war es auch, ich hatte die Zeit vergessen und sie viel zu lange warten lassen. Sie machte mir aber keine Vorwürfe (täte sie nie vor Leuten), sondern nörgelte: “Meeensch Jolo, was man hier alles abwehren muß, es ist die Härte. Erst so ein blöder Däne, den hast du vielleicht auch noch gesehen, der kam immer wieder. Ich dacht schon jetzt sag ich ihm gleich mal die Meinung, hab ich dann auch, erzähl ich dir noch, und dann, das war noch viel schlimmer, dieser ARABER! Muß ich dir ALLES noch erzählen! Und dann dieser Hooligan hier, den hab ich erstmal gelassen, wer weiß, was sonst noch gekommen wäre.” Das war natürlich Michel. Ich sagte es ihr und fragte, ob sie das denn gewußt habe. “Nee, woher denn? Ich habe ihn gefragt, er hat gesagt, er sei nicht Michel Houellebecq, sondern ein anderer Franzose, der nur so aussehe.” Ich regte mich auf: “Verdammt, ich kenne doch Houellebecq! Was redet der da?!” Ich sah ihm scharf in die Augen. Ohne Hase anzusehen, sagte ich, wobei ich zu dem Mann redete, sie solle ihm auf Französisch sagen, ich sei Joachim Lottmann. Das schien ihm zu gefallen, jedenfalls sagte er, er habe ‘Mai, Juni, Juli’ gelesen, ein gutes Buch, sehr lyrisch. Ich bedankte mich. Mehr war aber nicht aus ihm herauszulocken. Er sagte etwas zu Hase, was sie sich weigerte zu übersetzen. Da die volkstümlichen Vokabeln coucher avec moi darin vorkamen, konnte ich mir dennoch einen Reim darauf machen. Irgendwie war es wohl peinlich oder so, womöglich dachte er, ich würde ein Problem haben, oder er war nur müde wie immer. Oder, am wahrscheinlichsten: Er hatte nur darauf gewartet, daß dieses Super-Thai-Mädchen, das ich gehabt hatte, frei würde. Mit der zog er nun ab. Mir war es nur recht. Er hätte auch sofort abhauen können. Für den höflichen Paparazzo genügt eine Sekunde, um schreiben zu dürfen. Er hätte nicht erst lange meiner “Tochter” in den Schritt fassen müssen, wie sie mir später erzählte. Nun will der fleißige Forumsleser natürlich vor allem wissen, wie er denn aussah, der Prominente, sprich: was er anhatte! Nun, er trug eine weiße Scharping-auf-Mallorca-Hose, so ein Leinenstoff, in jeder Boutique erhältlich, ebenso in guten wie in schlechten Kaufhäusern, dazu ein dunkelrotes Polo-T-Shirt, halbärmelig. Seine unbestrumpften Füße steckten in braunen Mokassins. Natürlich hatte er kein blödes Tattoo und erst recht keinen Nasenring. Er war ja kein Blödmann. Stattdessen rauchte er gut erzogen Gaulloises sans filtre, wie es für französische Schriftsteller von der académie francaise vorgeschrieben ist. Bestimmt hatte er eine gute Zeit mit der Kleinen, und ich gönnte sie ihm. Sicher gab sie ihm ihre Handynummer und e-mail-Adresse, genau wie mir. Sicher mußte sie lachen, als er ihr sagte, er sei ein berühmter Schriftsteller, auch wenn er nicht so aussähe, denn genau das hatte ich ihr schon über mich gesagt. Und wenn der Dumont Verlag wirklich noch auf ein Treffen von uns beiden in Paris bestand, wußte ich wenigstens, worüber ich mit ihm reden konnte. Ich bin dann mit Hase nach Hause gefahren, also zu Elke (Naters) und Sven und den anderen, und von da an kennt man ja die Geschichte. Die habe ich ja lang und ermüdend breit erzählt. Also wie Elke meinte, ich würd nur schwul rumlabern oder was. Ich solle mal aufstehen, wenn ich ein Schalker sei. Von einem Mann verlange sie eine klare Ansage, das habe schon Helene Weigel verlangt. Gerade als Schriftsteller müsse man mit bedingungsloser Schärfe Position beziehen und so weiter… und der Leser will nun einfach nur noch wissen, wie DAS denn nun endete. Nämlich so: Ich gab ihr einfach Recht! Und meinte es sogar ehrlich! Ich stand auf (als Schalker) und hielt eine bedingungslose Brandrede gegen die Diffamierung Thailands als einziges “Bordell der Ersten Welt”. Ich führte mit schneidender Stimme (ganz unschwul) aus, daß die Erste Welt von der Dritten LERNEN könne, jedenfalls von Thailand, und daß man nach der Auslöschung Afghanistans, also der dort lebenden kretinösen Bevölkerung, das Gebiet mit liebevollen Thais besiedeln solle. “Dies, liebe Elke (Naters), ist meine Meinung. Dazu stehe ich. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir!” Damit meinte ich natürlich den christlichen Gott. Elke nahm mich in die Arme. “Herzchen! Jolo! Ich werd’ dich nie mehr mit Christian gleichsetzen. Du bist ein wackerer Kämpfer auf deine Art und wir mögen dich, Sven und ich, und die Kinder auch.” Anton, der siebenjährige Sohn, der das als waches, mitfühlendes Kind gehört hatte, kam angelaufen und umarmte mich ebenfalls. Sven in seiner ohnehin gutmütigen Art blinzelte mir aufmunternd zu. Hase klatschte symbolisch, also lautlos, Beifall und riß stummbleibend den großen Mund auf.
(…)

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/was_aus_dem_wartburg_wurde/

aktuell auf taz.de

kommentare