von 08.07.2010

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Unsere Mäuse leuchten nicht nur, wenn man sie bewegt
Unsere Mäuse leuchten nicht nur, wenn man sie bewegt
Es gibt eine Theorie aus Frankfurt am Main, wonach die Bürohäuser nachts miteinander kommunizieren, und zwar über Lichtstrahlen. Wir haben noch nicht gelernt, ihre „Sprache“ zu entziffern. Man weiß aber inzwischen, dass in den abends verlassenen Hochhäusern mal hier und mal da Lichter an- oder ausgehen, dass plötzlich ein beleuchteter Fahrstuhl – leer – nach unten oder nach oben fährt.

Was aber ist mit den Geräten in den Büros? Ich sitze oft nachts allein im vierten Stock der taz-Zentrale in der Rudi-Dutschke-Straße am Schreibtisch. Wenn ich die Deckenleuchten auslasse, blinken überall im Großraum kleine grüne und rote Lichter: am Kopierer, an den Druckern, an den Cursormäusen der PCs, an den nicht abgehörten Anrufbeantwortern.

Manchmal geht ein Bildschirm an, anderswo mit einem leisen Klick aus – eine Art Probelauf oder Selfcheck? Vielleicht will das Gerät aber auch etwas damit sagen. Einem anderen Gerät? Wir wissen aus der Geschichte von „Byron, der Birne“ (in Thomas Pynchons Roman „Ende der Parabel“), dass sie nachts versuchte, die anderen Birnen zum Widerstand gegen das Glühbirnenkartell (in dem Siemens und Osram einst führend war) aufzurufen. Wie verhält es sich nun mit dem ja durchaus denkbaren Elektronikkartell (angeführt von Microsoft und Apple). Versuchen deren Geräte jetzt, sich dem Kartelldiktat nach immer kürzerer „Lebensdauer“, also immer schnelleren Produktzyklen, zu widersetzen? Oder, schlimmer noch: Arbeiten sie nachts – scheinbar ausgeschaltet – gerade im Auftrag des Kartells gegen die Kunden, also gegen uns, denen sie tagsüber treue Dienste leisten?

Eine Zeit lang wurde ich beruhigt: Da entdeckte ich nachts, bei Licht am Schreibtisch sitzend, einige Mäuse im vierten Stock. Sie liefen über die Regale und Tische und wenn sie zufällig eine Computertastatur berührten, ging das entsprechende Gerät mit einem lauten „Ach!“ und „Klack!“ an, woraufhin die Mäuseschar sich blitzartig verkroch. Nachdem immer mehr Leute von den „Mäusen im Vierten“ erfuhren und man herausfand, dass sie sich in den Kabelschächten im Fußboden eingerichtet hatten, wurde der englische Kammerjägerkonzern „Rentokil“ eingeschaltet, mit dem die taz schon vor Jahren einen Dienstleistungsvertrag abgeschlossen hatte, die Vernichtung von Schädlingen betreffend.

Als ich mich wieder einmal nachts im vierten Stock an den Schreibtisch setzte, waren die Mäuse verschwunden – und sie blieben es auch. Die Geräte gingen weiter an und aus und ließen grüne oder rote Lämpchen aufblitzen. Eine Weile führte ich eine Strichliste, wann welches Gerät sich wie zu Wort gemeldet hatte, fand aber keinen Sinn darin – und gab es wieder auf.

Wie in einem guten Gruppengespräch waren die Beiträge ziemlich gleich verteilt, mit Ausnahme zweier extrem unruhiger Laserdrucker, die unmotiviert von Rot (Achtung) auf Grün (Bereit) hin und her sprangen, und einer Cursormaus am Computer der Wahrheit-Redakteurin, die ungesund flackerte. Sie wie auch zwei, drei andere Geräte mit Rotlichtanzeigen leuchteten im Laufe der Nacht in immer gelberen Farbtönen. Das musste natürlich nichts bedeuten, stutzig machte mich jedoch, dass gleichzeitig die roten Lämpchen an den Telefonen, die die verpassten Anrufe anzeigten, zu tanzen begannen, will sagen: dass ihr Lichtschein wackelte, nicht wie bei einem Wackelkontakt an und aus, sondern hin und her. Vielleicht hatte ich sie auch zu lange angestarrt? Jedenfalls saß ich inmitten eines angeregten Photonen- und Maschinengeräusche-Austauschs, der langsam erlosch, sobald ich eine Deckenleuchte anmachte – und ebenso wieder anhub, wenn ich das Licht im Großraumbüro löschte, im Dunkeln saß und mich nicht rührte.

Das gab mir das Gefühl, ich störte die Geräte mit meiner Anwesenheit in ihrem Raum nach Feierabend. Ob sie Böses aushecken (wollten), kann ich nicht sagen. Ebenso wenig, ob ihr Tun bis auf die heutige Nacht und darüber hinaus anhält, aber davon muss man ausgehen.

Von einem Nachtwächter in einem Hochhaus nebenan, das noch viel größer als die taz-Zentrale ist, erfuhr ich neulich mehr über den Inhalt der nächtlichen Gerätekommunikation. Er meinte, das war nicht immer so, dass die sich untereinander mit Schallwellen und Photonen, also quasi persönlich, und nicht automatisch über ihre elektrischen Verbindungen verständigten. Aber inzwischen müssten sie damit fertig werden, dass den Computern von den Gerichten immer mehr „Personenrechte“ zugestanden werden – seitdem wir bereit sind, mit Geld- und Fahrscheinautomaten sowie Computerprogrammen im Internet „faktische Verträge“ abzuschließen.

Demnächst würden „Computer auf beiden Seiten des Vertragsverhältnisses agieren“, wie der Rechtssoziologe Gunther Teubner schrieb. Dieser unaufhaltsame Prozess, den Geräten mehr Verantwortung zu übertragen, so der Nachtwächter, stehe in Zusammenhang mit dem Bemühen der Neurobiologen und Hirnforscher, uns Verantwortung abzusprechen. „Ein Gerät wird von uns gehandhabt, Maschinen haben uns in der Hand“, so sagte es Günther Anders. Und damit befindet sich laut Bruno Latour die stärkere Moral quasi automatisch auf ihrer Seite. Unter dem Pseudonym Jim Johnson behauptet der französische Wissenssoziologe – speziell im Hinblick auf seinen eigenen Personalcomputer: „Trotz des steten Unbehagens von Moralisten ist kein Mensch so unerbittlich moralisch wie eine Maschine.“

Seitdem ich das weiß, ist mein Vertrauen erheblich gestiegen, dass die sich untereinander verständigenden Geräte nachts nichts gegen uns und das sogenannte taz-Projekt unternehmen wollen. Ganz ruhig sitze ich nun an meinem Schreibtisch, tippe Texte wie diesen und tue, als würde ich die ganzen Geräte und ihr optisch-akustisches Geschnatter um mich herum gar nicht wahrnehmen.

Nur manchmal lässt mich noch ein unbekanntes Geräusch zusammenzucken. Aber das ist vielleicht ganz normal.

Helmut Höge, 62, ist Autor und Aushilfshausmeister der taz

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