vonWolfgang Koch 12.08.2009

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Was ein echter Wiener Strizzi (Arbeitsscheuer, Tunichtgut) ist, der haut dir nicht gleich in die Goschen (Mund). Er droht nur damit und rechnet im übrigen mit der Dummheit und Feigheit seiner Opfer.

In den letzten Monaten verfiel so ein ausgekochter Strizzi auf die geniale Idee, Videokameras im öffentlichen Raum zu inspizieren. Entdeckte dieser Fallot (Gauner, Schelm) irgendwo ein Corpus Delicti an einer Geschäfts- oder Lokalfassade, rannte er umgehend zu einem Rechtsanwalt in der noblen Walfischgasse im 1. Bezirk. Dieser formulierte dann geharnischte Briefe mit beiliegenden Zahlscheinen an die betroffenen Geschäftsleute.

Der Herr Verteidiger in Strafsachen schrieb: »Ich habe anzuzeigen, dass ich die anwaltliche Vertretung [des Strizzis] übernommen habe. Mein Mandant hat mich dahingehend informiert, dass er am [soundsovielten Tag] dadurch, dass von ihm unzulässigerweise Videobilder aufgenommen wurden, in seinem verfassungsmässig gewährleisteten Grundrecht auf Datenschutz als einem gemäss § 16 ABGB absolut geschütztem Persönlichkeitsrecht verletzt wurde.

Mein Mandant [der Strizzi] hat insbesondere durch Einschaltung eines zur Aufklärung und Abwehr illegaler Lausch- und Videoangriffe spezialisierten Unternehmens festgestellt, dass die im bezeichneten Standort eingerichteten Videoanlagen von ihrer Gesellschaft [Firma] betrieben wird und diese Anlage weder im Sinne des § 17 DSG angemeldet, geschweige denn über die überforderliche Bewilligung verfügt.

Aufgrund der örtlichen Gegebenheiten in Verbindung mit der Zielausrichtung der Anlage war es dem Mandaten nicht möglich, der rechtswidrigen Aufnahme der Überwachungsbilder zu entgehen«.

Dieser Sätzen folgte die Behauptung des Anwalts, dem Strizzi sei ein konkreter »immaterieller Schaden« entstanden, der mit sage und schreibe 500 Euro zu bewerten sei. Weiters verlangte der Anwalt mit der topseriösen Kanzleiadresse den Ersatz für die aufgewendeten Kosten der engagierten Detektei in der Höhe von 432 Euro, dazu Ersatz für seine eigenen Kosten in der Höhe von 600 Euro.

Drohung des Anwalts: »Zur Vermeidung gerichtlicher Schritte habe ich Sie namens meines Mandanten einzuladen, eine Unterlassungs- und Beseitigungserklärung betreffend die den Bestimmungen des DSG widersprechende Videoanlage abzugeben, sowie meinem Mandanten, unter Verwendung des angeschlossenen Zahlscheines dessen Schaden in der vorab aufgegliederten Höhe von insgesamt EUR 1.532,00 zu ersetzen«.

Um die Überrumpelungstaktik perfekt zu machen, setzte dieser Kapazunder (Experte) dem Empfänger eine knappe Frist von neun Tagen. – Liest man so ein Schreiben, erhebt sich für den Normalwiener zunächst einmal die Frage: Wie verkommen ist eigentlich die österreichische Rechtsanwaltskammer, dass sie solch dubiose Anschuldigungspraktiken aus ihren Reihen heraus erlaubt?

Unser Strafverteidiger hat, um seinem Schreiben Nachdruck zu verleihen, gleich den bombastischer Beweisbericht der besagten Spezialdetektei mitangeschlossen, die natürlich ebenfalls im 1. Wiener Gemeindebezirk eine Zentrale unterhält.

In diesem pseudopolizeilichen Bericht wird der Geschäftsmann gleich mal als »Verdächtiger« geführt, es ist von einem »Tatort« und von einer »Tatzeit« die Rede, als ob es sich bei dem Fall um Mord- und Totschlag handeln würde. Der Text der selbsternannten Abwehrkämpfer gegen den Datenklau beginnt mit einer hochtrabenden »Präambel«:

»Im Büro der [Spezialdetektei] erscheint [der Strizzi], welcher sich auch als solcher durch Vorlage eines amtlichen Lichtbildausweises legitimieren kann. Dieser gibt an, sich in ihrem [sic!] verfassungsmässig gewährten Grundrecht auf Datenschutz durch die Aufnahme von Videobildern durch eine möglicherweise illegal betriebene Überwachungsanlage an der Adresse [sowieso] verletzt zu fühlen, da er [an dem und dem Tag] um 09.24 Uhr an der inkriminierten Adresse aufhältig war, die Videoanlage zu spät bemerkte und sich nicht mehr rechtszeitig der Aufnahme entziehen konnte«.

Im letzten Satz entpuppt sich der grossartige »Tatort« zwar als bescheidene Adresse, an der der Strizzi »zufällig aufhältig war«. Allein: die auf »Aufklärung und Abwehr illegaler Lausch- und Videoangriffe« spezialisierte Detektei hatte ja bereits den Auftrag zur Beweisführung für eine Privatklage erhalten. Also musste auch ein Lokalaugenschein vorgenommen werden, und der liest sich im Beweisbericht wie ein halber Krimi.

Lokalaugenschein, das heisst: bereits vier Wochen vor dem Verfassen des Anwaltschreibens begab sich ein Ermittlerteam – bestehend aus einem staatlich geprüften und konzesssioniertem Berufsdetektiv und einem technischen Berufsdetektivassitenten – zu der inkriminierten Wiener Adresse.

Arbeit der Detektive: »Tatsächlich ist eine Kamera zu sehen. Bei der Kamera handelt es sich um ein Modell unbekannter Bauart, welches offensichtlich mit einem System zur Aufnahme verbunden ist. Die Kamera ist in einem Winkel montiert, der bewirkt, dass jede Person, die den öffentlichen Gehsteig vor dem videoüberwachten Objekt benützt, in den Bildfassungsbereich dieser Kamera gelangt. Hinweis- oder Warnschilder sind augenscheinlich keine angebracht. Die einzige Möglichkeit, sich der Aufnahme zu entziehen, wäre ein Wechsel der Strassenseite, bzw. ein Ausweichen aus dem Erfassungsbereich. Dies würde allerdings voraussetzen, dass man die Überwachungsmassnahme rechtzeitig erkennt, was in diesem Fall fast nicht möglich ist.«

Auf der dritten Seite des kuriosen Beweisberichts teilen die schlauen Füchse dann schier Unfassbares mit: sie haben den Inhaber des Geschäfts, an dessen Fassade die Videoanlage montiert ist, hieb und stichfest als deren Betreiber »ausgeforscht«. – Zitat: »In einem anschliessend mit der Datenschutzkommission fernmündlich geführten Erhebungsgespräch wird festgehalten, dass für den in Rede stehenden Standort keine wie auch immer geartete Anmeldung gem. § 17 DSG 2000 geschweige denn eine Bewilligung vorliegt.«

Zusammenfassung der Detektive: »Die inkriminierte Videoüberwachungsanlage war zum Tatzeitpunkt vorhanden und wird dies vermutlich noch immer sein. Zum Zweck der Beweisaufnahme wurde eine Lichtbildaufnahme und gegenständlicher Bericht angefertigt. Laut Datenschutzkommission liegt keine Genehmigung zum Betrieb, nicht einmal eine Anmeldung vor. Die auftragsgegenständliche Frage, ob die Videoüberwachungsanlage illegal betrieben wird, kann somit bejaht werden. Es ist davon auszugehen dass der Tatbestand gem. § 52 Abs 2 Z 1 Datenschutzgesetz 2000 zum Dokumentationszeitpunkt erfüllt wurde.«

Der ganze Beweisbericht ist in einem anmassenden Amtston verfasst und gespickt mit drohenden Termini. Alle drei am Coup Beteiligten – der Strizzi, der Anwalt und die Spezialdetektive – erhofften sich offenbar ein gutes Geschäft. Bei der Wirtschaftskammer Wien sind mittlerweile über zwanzig solche Drohschreiben des Trios bekannt geworden. Die Briefeschreiber hatten ihre Verteidigung der Privatsphäre nämlich gleich flächendeckend eröffnet. Sie rechneten offensichtlich darauf, dass irgendein dummer Kerl ihren pfiffigen Schadenersatzforderungen schon nachkommen werde.

In den meisten der Fälle hatten die Bluffer gleich doppeltes Pech! Denn viele der inkriminierten Kameras waren einfach nur Attrappen – und der Betrieb von Attrappen ist in Österreich nicht genehmigungspflichtig. »Es wurden von Ihrem Mandaten keine unzulässigen Videobilder aufgenommen«, meldete ein Geschäftsinhaber dem Herrn Anwalt zurück, und fügte noch postwendend hinzu:

»Aufgrund der Bearbeitung des Sachverhalts sind bis dato folgende Zusatzaufwendungen entstanden: Recherchearbeiten im DSG ca 4 Stunden; Einlesen und Bearbeiten der besagten Datenschutzgesetze ca. 2 Stunden; Telefonkosten und Zeitaufwand für die Kontaktierung der Wirtschaftskammer; Zeitaufwendung für das Auffinden der Rechnung für die Attrappe ca. 1 Stunde; Zeitaufwendung für das Abfassen dieses Schreibens und diverse Kopien ca. 1 Stunde; Verlegung eines Arzttermines. Den 8stündigen Zeitaufwand verrechne ich Ihrem Mandanten mit einer Pauschale von 400 Euro exkl. Umsatzsteuer, zahlbar bis spätestens in neun Tagen«.

Auch für uns hat der Fall sein Gutes. Endlich scheint die etymologische Streitfrage geklärt, ob der wienerische Ausdruck »Strizzi« nun vom tschechischen styrc, Zuhälter, stammt, oder doch vom italienischen strizzare, was auf Deutsch »auspressen« heisst.

© Wolfgang Koch 2009

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