vonHelmut Höge 22.03.2010

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(Our Equipment at night)

Poller-Pause

Es gibt eine Theorie – aus Frankfurt am Main, wonach die Bürohäuser nachts miteinander kommunizieren, und zwar über Lichtstrahlen. Wir haben noch nicht gelernt, ihre “Sprache” zu entziffern. Man weiß aber inzwischen, dass in den abends verlassenen Hochhäusern mal hier und mal da irgendwelche Lichter an- bzw. ausgehen, dass plötzlich ein beleuchteter Fahrstuhl – leer – nach unten oder nach oben fährt – und Ähnliches geschieht. Es gibt eine ganze Schule – um Micky Reemann, die sich um ein Verständnis dieser nächtlichen Bürohaus-Unterhaltung bemüht.

Was aber ist mit den Geräten im Inneren der Büros? Ich sitze oft nachts alleine im vierten Stock der taz-Zentrale in der Rudi-Dutschke-Straße am Schreibtisch. Wenn ich die Deckenleuchten auslasse, blinken überall im Großraum kleine grüne und rote Lichter: am Kopierer, an den Druckern, an den Cursormäusen der PCs, an den Nicht-abgehörten Anrufbeantwortern, dem Fernseher, dem DVD-Player usw. Und manchmal geht ein Bildschirm an, anderswo geht er mit einem leisen Klick  aus, auch die anderen Geräte stellen sich  manchmal von selbst an – und wieder aus, eine Art Probelauf oder Selfcheck? Vielleicht will das Gerät aber auch etwas damit sagen – einem anderen Gerät nämlich…?

Indoor-Poller, die sich auf den Kopf gestellt haben

Wir wissen aus der Geschichte von “Byron, der Birne” (in Thomas Pynchons Roman “Ende der Parabel”), dass sie nachts versuchte, die anderen Glühbirnen zum Widerstand gegen das Glühbirnenkartell (in dem Siemens/Osram  einst führend war) aufzurufen. Wie verhält es sich nun mit dem ja durchaus möglichen Elektronikkartell (angeführt von Microsoft, Apple und Hewlett-Packard), d.h. versuchen deren  Geräte jetzt auch, sich dem Kartelldiktat nach immer kürzerer “Lebensdauer”, d.h. immer schnelleren Produktzyklen,  zu widersetzen bzw. zu entziehen? Oder, schlimmer noch: Arbeiten sie wohlmöglich nachts – scheinbar ausgeschaltet – gerade im Auftrag des Kartells gegen die Kunden, d.h. gegen uns, denen sie tagsüber treue Dienste leisten – als harmlose Rechner, exzellente Kopierer, mit immer mehr Funktionen ausgerüstete Hightech-Telefone usw.?

Eine zeitlang wurde ich beruhigt:  Da entdeckte ich nachts, bei Licht am Schreibtisch sitzend, einige Mäuse im vierten Stock. Sie liefen über die Regale und Tische und wenn sie dabei zufällig eine Computertastatur berührten, ging das entsprechende Gerät mit einem lauten “Ach!” bzw.  “Klack!” an, woraufhin die  Mäuseschar sich blitzartig irgendwohin verkroch. Es dauerte aber nur ein paar Minuten, dann wagten sich die vorwitzigsten erneut hervor. Sie durchsuchten alles: In der offenen Schublade des Medienredakteurs fielen sie z.B. über eine angebrochene Tafel Nußschokolade her.

Vollrohr-Poller kurz vor der Aufstellung

Nachdem immer mehr Leute im Haus von den “Mäusen im Vierten” erfahren hatten, und man herausfand, dass sie sich in den Kabelschächten unterm Fußboden eingerichtet hatten, wurde der englische Kammerjägerkonzern “Rentokil” eingeschaltet, mit dem die taz schon vor Jahren einen Dienstleistungsvertrag abgeschlossen hatte, die Vernichtung von Schadinsekten und -nagern im Haus betreffend. Das bezog sich insbesondere auf das regelmäßige Auslegen von Rattengift in den ausgedehnten Kellerräumen der kleinen Zeitung.

Als ich mich dort wieder einmal nachts im vierten Stock an den Schreibtisch setzte, waren die Mäuse verschwunden – und sie blieben es auch.  Wie hatte “Rentokil” das bloß geschafft? Ich schaute mir im Internet die Aktienperformance dieses Weltmarktführers an: Sie hatte Anfang letzten August fast ihren Jahreshöchststand vom Oktober 2005 wieder erreicht, war dann aber im Laufe des Monats wieder stark abgefallen. Das sagte mir alles nicht viel. Ebensowenig, dass der Konzern “ständig neue umweltverträgliche Dienstleistungen und Technologien für noch effizientere Detektion, Bekämpfung und Vorbeugung entwickelt”, wie er auf seiner Webpage prahlt. Als “Schädling des Monats”  wurde dort im übrigen die Schwarzgraue Wegameise ausgezeichnet. Die hatten wir unten vor dem taz-Gebäude auch, aber niemand rief deswegen nach den Kammerjägern, im Gegenteil: einige taz-Autoren schrieben sogar anrührende Artikel über diese Ameisen, während sie unten im Café-Garten saßen und sie beobachteten.

Obwohl oben im vierten Stock keine Mäuse mehr waren, gingen die Geräte weiterhin nachts an und aus und ließen kleine grüne oder rote Lämpchen aufblitzen, wie ich schnell bemerkte. Manchmal erschrak ich regelrecht und wenn dann plötzlich auch noch ein Ventilator in einem Rechner leise aufjaulte, konnte es sogar unheimlich werden.

Kette aus lebenden und toten Hotel-Pollern

Eine Weile führte ich eine Strichliste darüber, wann welches Gerät sich wie zu Wort gemeldet hatte, fand aber keinen Sinn darin – und gab es bald wieder auf. Wie in einem guten Gruppengespräch waren die Beiträge, so schien es mir jedenfalls, ziemlich gleich verteilt, mit Ausnahme zweier extrem unruhiger Laserdrucker, die unmotiviert von rot (Achtung) auf grün (Bereit) hin und her sprangen,  und einer Cursormaus am Computer der Wahrheits-Redakteurin, die permanent ungesund flackerte. Sie, wie auch zwei, drei andere Geräte mit Rotlicht-Anzeigen signalisierten nebenbeibemerkt im Laufe der Nacht in immer gelberen Farbtönen. Das mußte natürlich nichts bedeuten, stutzig machte  mich jedoch, das gleichzeitig die roten Lämpchen an den Telefonen, die die Anrufe auf den ABs anzeigten, zu tanzen begannen, will sagen: dass ihr Lichtschein  wackelte, nicht wie bei einem  Wackelkontakt an und aus, sondern hin und her. Vielleicht hatte ich sie auch ganz einfach zu lange angestarrt? Jedenfalls saß ich inmitten eines angeregten Photonen- und Maschinengeräusche-Austauschs, der langsam erlosch bzw. verstummte, sobald ich eine oder gar alle Deckenleuchten anmachte – und ebenso langsam wieder anhub, wenn ich das Licht im Großraumbüro ausschaltete und im Dunkeln da saß, mich nicht rührte.

Das gab mir das Gefühl, ich störte die Geräte mit meiner Anwesenheit in ihrem Raum nach Feierabend. Ob sie Böses aushecken (wollten), kann ich nicht einmal sagen. Ebensowenig, ob ihr Tun bis auf die  heutige Nacht und darüberhinaus anhält, aber davon muß man wohl ausgehen.

Von einem Nachtwächter im GSW-Hochhaus nebenan, das noch viel größer als die taz-Zentrale ist und zudem ein “Öko-Hochhaus”, d.h. das es noch viel mehr sich selbst kontrollierende und regulierende Technik/Elektronik hat, erfuhr ich neulich mehr über den Inhalt der nächtlichen Gerätekommunikation. Er meinte, das war nicht immer so, dass die sich untereinander mit Schallwellen und Photonen, also quasi persönlich, und nicht automatisch über ihre elektrischen Verbindungen verständigten. Aber inzwischen würden sie sich schwer herausgefordert fühlen und müssten damit fertig werden, dass den Computern von den Gerichten immer mehr “Personenrechte” zugestanden werden – seitdem wir bereit sind, z.B. mit Geld- und Fahrscheinautomaten sowie Computerprogrammen im Internet “faktische Verträge”  abzuschließen. Demnächst würden sogar “Computer auf beiden Seiten des Vertragsverhältnisses agieren”, wie der Rechtssoziologe Gunther Teubner schrieb.

Der Jurist Andreas Matthias ließ sich davon bereits zu einem grundsätzlichen “Plädoyer für die Rechtsverantwortung von autonomen Maschinen inspirieren”  (“Automaten als Träger von Rechten”, heißt sein Buch dazu, das im Verlag “Logos Berlin” erschien). Ein Rezensent schrieb: “Der Autor vertritt die Auffassung, dass Betreiber und Hersteller von Maschinen mit künstlicher Intelligenz keine Kontrolle mehr über diese haben. Denn nur die Maschinen haben die vollständige Kontrolle über den von ihnen ausgeführten Vorgang und sollen somit auch die Verantwortung für etwaige Fehler bzw. Schäden übernehmen.”

Vibrierender Kipp-Poller (selten)

Dieser unaufhaltsame Prozeß, den Geräten immer mehr Verantwortung zu übertragen, so der GSW-Nachtwächter, stehe in engem Zusammenhang mit dem Bemühen der Neurobiologen und sonstigen Gehirnforscher, uns Verantwortung abzusprechen. Ihrer Einschätzung nach könne der Mensch deswegen nicht für seine Taten zur Verantwortung gezogen werden, weil die physikalisch-chemische Deutung unserer Gehirnvorgänge die “Willensfreiheit” bereits als bloße Fiktion entlarvt habe. Der Mensch sei, technisch betrachtet, eine “Fehlkonstruktion”. Der Philosoph Günther Anders zitierte dazu einen US-Offizier, der den Menschen als eben  “faulty”, als nun mal fehlerhaft, bezeichnete. Er sei bestenfalls “bloß noch ‘Mit-Tuender’ in einem Betrieb, egal ob er Waschmaschinen oder Massenvernichtungsmittel” herstelle.

“Ein Gerät wird von uns gehandhabt, Maschinen haben uns in der Hand”, so sagte es Günther Anders. Und damit befindet sich nun laut Bruno  Latour die stärkere Moral quasi automatisch auf ihrer Seite. Unter dem US-Pseudonym  Jim Johnson behauptet der französische Wissenssoziologe Latour – speziell  im Hinblick auf seinen eigenen neuen Personalcomputer:  “Trotz des steten Unbehagens von Moralisten ist kein Mensch so unerbittlich moralisch wie eine Maschine.”

Seitdem ich das nun weiß, ist mein Vertrauen in die sich untereinander verständigenden Geräte erheblich gestiegen, d.h. dass sie nachts nichts gegen uns und das sogenannte “taz-projekt” unternehmen (wollen). Ganz ruhig  sitze ich seitdem an meinem Schreibtisch, tippe Texte wie diesen und tue so, als würde ich die ganzen Geräte und ihr optisch-akustisches Geschnatter um mich herum gar nicht wahrnehmen. Nur manchmal läßt mich noch ein unbekanntes Geräusch zusammenzucken. Aber das ist vielleicht ganz normal.

Alberne Poller-Reihe (alle Photos von Peter Grosse)

P.S.: Man unterscheidet in der Hightech-Branche Software von Hardware und Wetware (in Russland dazu noch Samoware). Mit Wetware sind die mit der Technik arbeitenden Menschen gemeint:- für sie wurde dieser Text in das sogenannte Netz gestellt  – zur Warnung.

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