vonWolfgang Koch 22.07.2010

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Da wir unversöhnliche Demokraten sind, keinesfalls Rot. »Hand auf’s Herz«, raunt die Wiener SPÖ, »macht es Sie nicht auch ein wenig stolz, dass so viele Menschen uns Wienerinnen (um unsere Stadt) beneiden?« – Nein, denn um Hundedreck, Bauspekulationen, Bahnhofsdemolierungen, Altensterbeheime und um die Bettlerverordnung beneidet uns niemand auf der Welt. Die Mehrheit der Wähler und Wählerinnen in Wien ist keineswegs so zufrieden, wie uns das die Spin-Doktoren aus der Löwelstraße zu suggerieren versuchen.

Die Mehrheit der Menschen wird am Arbeitsplatz unter Druck gesetzt und der Rest der Bevölkerung mit Spielen und Drogen ruhig gestellt. Wir wählen weder aus patriotischem Stolz noch aus Dankbarkeit für irgendetwas, sondern aus der Notwendigkeit, dass sich das Leben zum Besseren wandelt. Wien muss sich ändern, wenn es Wien bleiben will. Die Wiener Eigenarten und die stille Geruhsamkeit des Lebens in dieser Stadt sind heute im höchsten Maß gefährdet. Die SPÖ hatte über Jahrzehnte ausreichend Zeit, das zu erkennen und entsprechend zu reagieren.

Die Wiener SPÖ behauptet in ihrer Werbung für die Landtags-und Gemeinderatswahlen im Herbst 2010, diese Stadt spreche eine gemeinsame Sprache. Soll heißen: die Masse der Zuwanderer sei gewillt sich in das Leben der Altwiener zu integrieren und sie lerne brav mit deutscher Zunge zu sprechen. Falsch! In Wahrheit bilden sich in einigen Außenbezirken handfeste Migrantenghettos, in Fünfhaus verslumen ganze Straßenzüge, der illegale Drogenhandel ist fest in der Hand von Jugendlichen, deren Eltern aus den Staaten des zerfallenden Jugoslawiens zugezogen sind.

Die SPÖ sagt: »Wien hat zusätzliche Ordnungskräfte«. Gut möglich; jetzt vor der Wahl sind sie jedenfalls für alle gut sichtbar im öffentlichen Verkehrsnetz präsent. Aber jeder gelernte Wiener weiß, dass dieser demonstrative Eifer der Behörden am Wahltag schlagartig erlöschen wird. Streifendienste werden – außer eben in Wahlzeiten – nur mehr motorisiert durchgeführt. Und bisher ist keine einzige der vielen in den letzten Jahrzehnten geschlossenen Wachstuben wieder aufgesperrt worden.

Die SPÖ sagt: »Wien investiert in die Wirtschaft«. Das wird schon stimmen, aber die ökonomischen Hauptadern des Wiener Handels, die Einkaufsstraßen der Bezirke, verwaisen dramatisch. Die Scheiben ganze Straßenzüge sind im Erdgeschoß verklebt. Das Verschwinden der Spezialisten zugunsten von Ketten und Supermärkten ist unübersehbar und kann auch von den tüchtigsten Kleingewerbetreibenden aus der Migratenszene nicht mehr gebremst werden.

Was die Wiener Stadtregierung für alle gut sichtbar fördert, das ist die Monowirtschaft eines einfallslosen Tourismus: Wien als schläfrige Senioren-Busreise-Destination, als Aufführungsstätte der Reproduktionskultur (Konzert, Oper, Musical). In unserer Stadt fährt dank öffentlicher Investitionen der teuersten Flughafenzubringer auf Schiene europaweit (CAT) und auf der Donau nach Bratislava der überteuerte Twin City Liner. Solche grandiosen Wirtschaftsimpulse werden die Stadt kaum vor der ökonomischen Konkurrenz aus den Tigerstaaten Asiens und Osteuropas retten.

Aber das Freizeit- und Kulturangebot in Wien sei doch unerschöpflich, sagt man. Na, dann schlagen Sie mal den Programmteil eines Berliner Stadtmagazins auf. Selbst in Istanbuls Paradekulturviertel Beyoglu ist abends mehr los als im Wiener Universitätscampus, wo Bier und König Fußball regieren. Ohne Frage gibt es Künstler und Dichter in Wien, aber viele wertvolle Institutionen (Gartenbaukino, Stadtkino, Breitenseer Lichtspiele, Aktionsradius Augarten, Kabinetttheater, Schule für Dichtung, usw.) sind entweder vom Zusperren bedroht oder haben schon dicht gemacht, wie dieser Tage das Vienna Art Orchester, Europas einzige Jazzbigband mit internationaler Besetzung.

Von einer pulsierenden Musikszene oder einer Explosion der Kunst sind wir Lichtjahre entfernt. – »Unter Bürgermeister Häupl ist Wien eine schöne, offene, lebenswerte Großstadt geworden«, lautet die Fama. Erstens ist das falsch; aber auch wenn es richtig wäre, wäre das noch kein Grund, die SPÖ wieder in die politische Verantwortung zu wählen. Demokratie lebt vom Wechsel. In welcher vergleichbaren Großstadt in Europa regiert seit 1945 ohne Unterbrechung dieselbe Partei?

Gewiss gehört das große sozialdemokatische Herz zu den unverwechselbaren Eigenarten des Wieners. Aber dieses Herz braucht dringend eine Erholungspause, sonst kollabiert es demnächst. – Dankbarkeit ist keine politische Kategorie. Darum braucht man sie von uns auch nicht einzufordern! Wir belohnen PolitikerInnen an der Urne nicht für ihre Tätigkeit; sie bekommen reichlich für ihre Arbeit bezahlt.

Was gestern war und selbst was heute ist, das braucht die Wähler und Wählerinnen beim Wahlgang kein bißchen zu kümmern. Es zählt allein, was eine Rathauspartei für morgen anzubieten hat. Und das sieht bei der SPÖ sehr, sehr vage aus: »Mehr Lebensqualität für ALLE«, »Klare Regeln fürs Zusammenleben«. – Na dazu, Genossen, sagen wir aber ein herzliches »Servus!«

© Wolfgang Koch 2010

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