von 25.02.2011

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Als die taz 1984 noch in ihrer Weddinger Fabriketage wohnte, besuchte die chinesische Schriftstellerin Zhang Kangkang die Redaktion. Eigentlich hatte der Sinologe Wolfgang Kubin sie dort hingezerrt, wie sie später in der Literaturzeitschrift Renmin Wenxue schrieb, denn sie wollte nicht schon wieder interviewt werden. Aber nein, hatte Kubin ihr geantwortet, nicht sie dich, du sollst sie interviewen.

„Wo gibt es denn so etwas, eine Zeitung, die sich von anderen interviewen lässt“, fragte Zhang Kangkang – „Du wirst sehen, sie sind ganz anders als alle anderen Zeitungen,“ versprach Kubin ihr. Zunächst bemerkte die Dichterin, dass es überall „nicht besonders sauber“ war. Als sich einige taz-Redakteure um die chinesische Genossin scharten, findet diese, „dass sie sehr glücklich sind, dass ich gekommen bin“. Es gibt keine Unternehmen oder Banken, die sie kontrollieren, „jede Meinung kann veröffentlicht werden“, behaupteten die Redakteure, schrieb Zhang Kangkang . Sie beklagten sich jedoch, dass sie nur 1.000 DM verdienen würden, anderswo sei es zwei oder dreimal so viel. Außerdem versicherte man ihr: „Wir berichten nicht nur, sondern untersuchen auch die Fehler, z. B. im heutigen China, und machen Vorschläge.“ Was Deutschland betreffe, gestanden ihr die Redakteure, dass ihnen die – noch fünf Jahre entfernte – „Wiedervereinigung“ am Arsch vorbeigehe, im Übrigen gäbe es in der taz zwar nicht wie einst in China „den Kampf zweier Linien, dafür jedoch den Kampf von 99 Linien“. Als die Schriftstellerin müde vom Zuhören wurde, lud man sie zu Spaghetti Bolognese in die Kantine ein, Zhang Kangkang war voll des Lobes über das taz-Menü. Als sie mit ihren Begleitern die taz verließ, war sie „verwirrt“, wie sie schreibt, „meine Gefühle sind verwickelt und kompliziert. Wer hätte auch darauf kommen können, dass Westberlin so eine Zeitung hat!“

Video-Porträt von Helmut Höge, dem Autor dieses Textes

Die linken Journalisten aus dem kapitalistischen Ausland musste man nicht in die Redaktion zerren, sie kamen von selbst in das „Alternativprojekt tageszeitung“. 1986 veröffentlichte Jeff Cohen in der Chicagoer Wochenzeitung „In these Times“ einen Artikel über die taz, die den „Stil der Untergrundpresse der Sechzigerjahre wiederbelebte“, nebenbei über 1 Million Mark für die Guerilla in El Salvador zusammensammelte und die man bis dahin schon 40-mal angeklagt hatte, zwei Polizeirazzien sowie sechs Überfälle von Hausbesetzern, Antiimperialisten und Feministinnen gar nicht mit gerechnet.

Der anarchische Auftritt der taz mag „wenig objektiv“ sein, schrieb Cohen, aber er sei ein starker Kontrast zu dem allzu „glatten Journalismus der US-Tageszeitungen“. Viele bundesdeutsche Journalisten hätten ihre Karriere in der taz begonnen, die inzwischen zu einer wichtigen Quelle für die Konkurrenzblätter geworden sei. „Manchmal habe ich schon den Eindruck“, erzählte ein tazler dem Autor, „dass ein Scheitern unseres Blatts für die anderen Journalisten schlimmer ist als für unsere Leser.“ Wichtig sei die taz aber auch für „Whistleblower“, besonders in Bezug auf Umweltvergehen. So konnte die taz 1985 ein geheim gehaltenes Gutachten über arsenverseuchte Böden in Hamburg veröffentlichen. Es gebe enge Verbindungen zu der grünen Partei, die fast zeitgleich mit der taz gegründet wurde: Beiden gehe es „um das Zusammenführen separater Bewegungen“.

Die taz beschäftigte 1986 zwei Köche, einer wurde später Chefredakteur, die andere wurde von Cohen gefragt, warum sie, die im Gegensatz zu den meisten taz-Journalisten gut ausgebildet sei, für so wenig Geld arbeite. Die noch immer in der taz als Köchin arbeitende Bolivianerin Nancy antwortete ihm: „Ich wollte schon immer in einem Kollektiv arbeiten“.

Bei großen Umweltkatastrophen schnellten taz-Auflage und Abozahl jedes Mal in die Höhe, am heftigsten beim Reaktorunfall von Tschernobyl 1986. In dieser Zeit besuchte Martin Griffin vom Londoner Monochrome die Redaktion. „Wir sind absolute Profiteure des Fall-out“, bekam er zu hören, aber auch, dass die taz inzwischen schon über 100-mal vors Gericht gezerrt wurde – meistens wegen Beleidigung und Aufforderung zur Gewalt. Außerdem wurden die taz-Seiten einmal auf dem Weg zur Druckerei geklaut – und durch feministische Texte ersetzt, „die jedoch nicht schlecht waren“. Auch andere linke Gruppen fühlten sich zunehmend von der taz ignoriert oder ins falsche Licht gerückt. „Aber wir wollen politisch einflussreich werden, sodass das, was die taz sagt, mehr Gewicht hat“, wurde Griffin versichert.

Wenig später besuchte Erich Friedländer die taz, um für The Democratic Journalist, das Organ der Internationalen Journalistenorganisation, über sie zu berichten. Er sprach unter anderem mit der damaligen Chefredakteurin Georgia Tornow, die meinte, obwohl sich einiges geändert habe, gehe es noch immer darum, eine „alternative Öffentlichkeit zu schaffen.“ Ein anderer taz-Mitarbeiter erzählte Friedländer: „Wir waren ,Trendsetter‘, was Umweltschutz und Ökologie betraf, aber inzwischen haben fast alle nachgezogen.“

2008 erschien ein Artikel in der türkischen Zeitung Radikal, in der die Autorin Pinar Ögünc sich auf den ebenso langen wie komischen Konflikt zwischen der taz und der Springer-Presse konzentrierte. Die taz war einst auch gegen die Fastmonopolstellung dieses rechten Zeitungsverlags gegründet worden. Seitdem gab es immer wieder kleinere und größere Scharmützel zwischen den beiden „Häusern“. Die türkische Journalistin kam dann auf Bild-Chefredakteur Kai Diekmann zu sprechen, der die taz verklagte, weil sie auf ihrer Wahrheit-Seite über eine fiktive, verpfuschte „Penis-Verlängerung“ des Bild-Chefs berichtet hatte. Er verlor den Prozess jedoch. Dafür parkte er Lieferwagen vor dem taz-Haus, auf denen die Bild-Zeitung sich mit Plakaten über die körperliche Beschaffenheit der taz-Redakteure lustig machte, und wurde dann sogar gegen den Willen vieler tazler Mitglied ihrer Genossenschaft.

2010 arbeitete der Istanbuler Journalist Mahmut Hamsici zwei Monate mit einem EU-Stipendium in der taz und verfasste dabei einen langen Artikel für seine Zeitung Birgün. Der Artikel begann mit dem Satz: „Die Rudi-Dutschke-Straße 23 ist ein Haus, an dem ein großer Penis hängt“ (als Teil des Reliefs „Fried sei mit dir“ des Bildhauers Peter Lenk über die Bild-Zeitung).

Mahmut Hamsici gewann bei seinen Recherchen den Eindruck, dass die taz noch immer kein „Mainstream-Medium“ ist. Ihre Arbeitsweise ist anders, und sie ist noch immer ziemlich antiautoritär: „Im Gegensatz zu unseren Chefredakteuren, die mit einem Range Rover zur Redaktion fahren, kommt die taz-Chefredakteurin Ines Pohl mit dem Fahrrad.“ Und sie sagt: „Meine Befugnisse sind hier sehr begrenzt. Ich begreife mich als Dirigent eines großen Orchesters, wo ich versuche, die Leute dazu zu bringen, aus ihrer eigenen Einstellung heraus die besten Töne herauszubringen.“

Im Übrigen habe die taz inzwischen einen größeren Einfluss, als die Auflagenhöhe vermuten lasse. Und sie berichte auch noch immer über Dinge, über die sonst keine andere Zeitung schreibt. Hinzu kämen ihre „gestalterischen Spielereien“ und ihr „ironischer Stil“. Außerdem habe sie das größte Wohlwollen gegenüber Migranten und Einwanderern. Ines Pohl erzählte dem Autor: „Am Anfang war die taz keine wirkliche Zeitung, gemessen an journalistischen Standards. In dieser Hinsicht ist sie Teil des Mainstreams geworden. Zwar hat sie mittlerweile eine größere Distanz zu den Grünen, aber viele ihrer Leser wollen noch immer, dass sie ein Kampforgan ist.“

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