Es ist eine der Horrorvorstellungen, dass das Haus in dem man lebt oder die eigene Wohnung brennt. Aus dieser Angst heraus wird dreimal der Herd gecheckt bevor man geht, auch wenn man ihn morgens gar nicht angemacht hat, da werden die Stecker bestimmter Elektrogeräte gezogen und sichergegangen, dass kein Zigarettenstummel mehr glüht. Irgendwann, beim vierten Mal ist-der-Herd-auch-wirklich-aus gucken, kommt einem in den Sinn, dass es nicht unbedingt die eigene Wohnung im Haus sein muss, die brennen könnte. Dass der Nachbar die brennende Kerze vergessen oder beim Rauchen einschlafen könnte. Trotz alledem kontrolliert man fleißig weiter den Herd bevor man geht und hofft, dass man niemals in die Situation eines in Flammen stehenden Hauses kommt.
In der Nacht von Dienstag zu Mittwoch wurde bei mir im Haus ein Feuer gelegt. Die Holzfahrräder der Kinder, die im Hausflur unten neben den Briefkästen standen, waren mit Brandbeschleuniger angezündet worden.
Es war kurz nach halb eins, ich saß noch am Küchentisch und arbeitete, als ich eine Frauenstimme hörte, die immerzu „Feuer! Feuer! Hilfe, es brennt!“ schrie. Ich klappte meinen Computer zusammen, steckte ihn in meine Tasche, holte wie in Trance die alte Puppe und den Teddy meiner Kindheit (wie ich seit Dienstagnacht weiß, gehören sie zu meinem wertvollsten Besitz und dem einzigen, der nicht ersetzt werden könnte) und hastete zur Wohnungstür. Bis dahin hatte ich keine Ahnung, dass es wirklich unser Haus ist, das brennt. Ich öffnete die Tür und brauchte ein paar Sekunden bis ich realisierte, dass ich im Hausflur nichts sah, nicht weil das Licht nicht an wäre, sondern weil der Rauch so dicht war. Es gab diese eine kurze Schrecksekunde, in der ich nicht wusste, was ich jetzt tun sollte. Ich die Tür zu, rannte zum anderen Ende meiner Wohnung, in mein Arbeitszimmer und flüchtete mich auf den Balkon. Inzwischen waren in allen Wohnungen die Lichter angegangen. Eine Nachbarin aus dem Vorderhaus rief aus dem Fenster, dass sie gerade die Feuerwehr anrufen würden. Die Nachbarin, die gerade nach Hause gekommen war und das Feuer im Hausflur entdeckt hatte, stand hilflos auf dem Hinterhof. Ich fischte aus meiner Tasche mein Handy und rief die Feuerwehr an. Ich lebe allein, ich war eingesperrt in meiner Wohnung, ich musste mit irgendjemanden reden, der wusste, was zu tun war. Die Nachbarn im Vorderhaus konnten ja nicht wissen, dass wir alle in unseren Wohnungen, wie Mäuse in der Falle saßen. Und vor allem hatte ich so das Gefühl irgendetwas tun zu können, dem nicht vollkommen ausgeliefert zu sein. Ich fragte den Feuerwehrmann in der Telefonzentrale, ob es irgendwie sinnvoll wäre nasse Handtücher von innen vor die Wohnungstür zu legen. Das wäre es, erklärte er mir, solange nicht schon zu viel Rauch in meiner Wohnung wäre. denn nur dann könnten die nassen Handtuch vorerst verhindern, dass Rauch durch die Ritzen der Tür in die Wohnung gelangt. Nachdem ich aufgelegt hatte, rannte ich in den leicht verrauchten Wohnungsflur, ins Bad, hielt ein Handtuch unter den Wasserhahn, legte es vor die Tür und rannte wieder auf den Balkon. Inzwischen eilte ein Nachbar aus dem Nebenhaus, über den Zaun kletternd zur Hilfe. Beiden fiel der Wasserhahn samt Schlauch ein, der bei uns im Hinterhof installiert ist und zusammen versuchten sie das Feuer zu löschen. Der Schlauch sprang ständig von dem Wasserhahn ab, wurde wieder ran gesteckt, sprang wieder ab und trotzdem war das der Moment, in dem ich dachte, dass wir alle heute Nacht nicht sterben würden. Ich rief meine Mutter an und als ich den Klingelton hörte, löste sich der Schreck. „Mama, es brennt“, einer der merkwürdigsten, surrealsten Sätze meines Lebens, schluchzte ich ins Telefon. Ein paar Minuten später traf die Feuerwehr ein, die den Rest des Feuers löschte.
Alles, vom ersten Feuerruf der Nachbarin bis zu dem Moment, als die Feuerwehr eintraf, dauerte vielleicht 10 Minuten, aber noch nie in meinem Leben, kam mir eine so kurze Zeitspanne, so lang vor.
Etwas später konnten wie anfangen unsere Wohnungen zu lüften, in den Hausflur traute ich mich erst am Mittwochmorgen.
Es ist ja so, dass die letzte Verhalten im Brandfall Maßnahme, das geordnete Verlassen des Schulgebäudes vor Jahren war. Wer frischt schon regelmäßig diese Art Wissen auf, denn brennen tut es doch hoffentlich nur woanders.
600 Menschen sterben jährlich in Deutschland durch einen Brand, 90 % davon sterben durch den Rauch. Zwei Atemzüge reichen, sagte die Polizistin in jener Nacht zu mir, man wird ohnmächtig und erstickt.
Was hatten wir für ein Glück, dass das Feuer rechtzeitig entdeckt wurde. Letzten Endes ist Brandstiftung auch immer versuchter Mord. Wer an so einer perfiden Stelle, mitten in der Nacht, in einem Mietshaus Feuer legt, so dass keiner der Bewohner das Haus verlassen kann und der Rauch wie im Schornstein von Etage zu Etage zieht, der kalkuliert den Tod von Menschen mit ein.
In der Polizeilichen Kriminalstatistik 2009 sind 818 Fälle vorsätzlicher Brandstiftung und Herbeiführen einer Brandgefahr erfasst. 287 Fälle waren, wie bei uns im Haus, schwere Brandstiftung. Die Aufklärungsquote ist bei Brandstiftung relativ gering, insgesamt lag sie 2009 bei dem Tatbestand vorsätzlicher Brandstiftung und Herbeiführen einer Brandgefahr bei 19%. Brandstifter haben es oft zu einfach, ein Feuer ist schnell gelegt, Brandbeschleuniger sind leicht verfügbar und das Entdeckungsrisiko ist gering.
Sobald das Treppenhaus renoviert ist, werden wir Rauchmelder im Hausflur installieren und genauer darauf achten, dass die Haustür auch wirklich richtig schließt. Die Polizei rät Hausbewohnern und Vermietern dazu, so viele Hemmschwellen wie möglich im Haus einzurichten. Dazu gehört, angefangen davon, dass nachts die Haustür von außen nicht zu öffnen ist, auch, dass die Hausflure von Gerümpel, Spielzeug, Altpapier, Schuhregalen frei sind und somit nichts, so einfach in Brand gesteckt werden kann. Auch ein Bewegungsmelder im Erdgeschoss wirkt auf potentielle Brandstifter oder Einbrecher abschreckend.
Der Herr in der Pressestelle der Polizei meinte am Ende unseres Telefonats „Naja, jetzt wissen Sie, wie Sie sich beim nächsten Mal im Brandfall verhalten müssen.“. Ich hoffe jedoch, dass das alte Sprichwort sich bewährt. Der Blitz schlägt nicht zwei Mal an derselben Stelle ein.
Informationen zum Verhalten im Brandfall von der Berliner Feuerwehr