vonHeiko Werning 20.01.2011

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Sayyad Al Rashidi ist ein aufmerksamer Mann. Als über ihm ein großer Geier kreiste, fiel ihm gleich auf, dass mit dem Vogel etwas nicht stimmte. Der saudische Jäger zögerte nicht lange und beschloss, das verdächtige Tier vom Himmel zu holen. Lebend, wohlgemerkt, denn tote Zeugen beantworten ja bekanntlich keine Fragen. Al Rashidi schlachtete eines seiner Schafe, legte den Kadaver als Köder aus und lockte den Geier damit in die Falle. Dann stürzte er sich auf ihn. Große Geier sind zwar elegante Flieger, aber sie kommen ein bisschen schwer in die Gänge, da sie steigende Luftströme brauchen, um abheben zu können. So geriet der Vogel also in saudische Gefangenschaft. Denn der Verdacht hatte sich bestätigt: Das Tier trug nicht nur eine auffällige Flügelmarkierung, sondern ein technisches Gerät mit hebräischen Schriftzeichen. Sayyad Al Rashidi hatte einen Mossad-Spion auf frischer Tat ertappt!

Die Nachricht machte schnell die Runde. Saudische Zeitungen berichteten über den gefiederten zionistischen Agenten und spekulierten über einen Spionage-Plot. Denn der Mossad steht im Verdacht, eine ganze Menagerie zu unterhalten, um die arabische Welt zu quälen. Nach den Hai-Attacken auf ägyptische Badegäste im Roten Meer war es immerhin der Gouverneur der Provinz Sinai, Mohamed Abdul Fadil Shousha, der ganz offiziell den Verdacht geäußert hatte, der israelische Geheimdienst habe die Fische in die Badegewässer geschleust, um so Touristen zu vergraulen. Eine offenbar sehr naturalistische Umsetzung des alten Verdachts, jüdische Finanzhaie ließen den Rest der Welt ausbluten. So fügt sich eins perfekt zum anderen. Und war nicht dieses Stuxnet in den iranischen Atomreaktoren auch von Israel entsendet worden und, Achtung!, ein Wurm?! Was sagt uns das schließlich über das mysteriöse Massensterben von Rotschulterstärlingen in Arkansas? Und darf man darüber überhaupt berichten, ohne auf das Leid der Palästinenser hinzuweisen? Könnte bitte mal jemand bei Alfred Grosser oder Sahra Wagenknecht deswegen nachfragen?

Noch bevor aber Henryk M. Broder in einem Welt-Kommentar beklagen kann, dass wir der Inhaftierung des ja nun wie kaum jemand sonst für westliche Werte stehenden Vogels (Freiheit!) tatenlos zusehen, anstatt ihn mit einer gezielten Militäroperation da rauszuhauen, und noch ehe Thilo Sarrazin in der Causa einen Beleg für die ererbte Dummheit der arabischen Welt sehen kann, wird der inhaftierte Gyps fulvus, ein Gänsegeier also, wohl längst wieder über jüdische wie muslimische und christliche Köpfe kreisen und das weiß befiederte Haupt schütteln über diese seltsamen Zweibeiner.

Denn ausnahmsweise hat sich in der Diskussion ornithologischer Sachverstand durchgesetzt. Prinz Bandar bin Saud Al Saud, der Chef der saudischen Naturschutzbehörde, zeigte sich wenig amüsiert über das Spionage-Gerede und verfügte, den Geier ziehen zu lassen, der nämlich lediglich mit seinem GPS-Sender Daten an die Universität von Tel Aviv liefert, die in einem Projekt die Flugrouten dieser Art untersucht. Der Prinz ließ es sich auch nicht nehmen, darauf hinzuweisen, dass saudische Wissenschaftler mit derselben Technik arbeiten, um das Wanderungsverhalten bedrohter Arten zu erforschen. Den lokalen Zeitungen diktierte er ins Stammbuch: „Einige saudische Journalisten haben aus Sensationsgier Nachrichten über den Vogel verbreitet, ohne die Informationen zu prüfen. Sie hätten vorher kompetente Stellen fragen sollen.“ Mit anderen Worten: Die arabischen Journalisten sind zu faul zum Recherchieren und verbreiten der Schlagzeilen wegen irgendwelchen Quatsch – ein schöner Beleg dafür, dass der arabische Raum mit dem Westen doch vieles gemein hat.

Eine kürzere Fassung dieses Artikels ist in der jungle world von letzter Woche erschienen.

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