von 04.02.2011

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Sperrmüll war gestern. Heute wird mit Abfall neu designed (Foto: Dominic/photocase.com)

Unkonventionell ist er, der Schalensessel „Banquette“, entworfen von den brasilianischen Brüdern Campana. 20 ausgediente Kuscheltiere bilden das Sitzpolster: Krokodile, Raubkatzen, Koalabären, ein Delfin und ein winziger Hund. Bequem sieht der Sessel zwar aus, im Wohnzimmer möchte man das skurrile Stück aber lieber nicht stehen haben.

Der zweite Sessel mit dem klangvollen Namen „Vermelha“ ist schon eleganter. Hier ist das Sitzpolster aus den Resten eines roten Seils hergestellt, das kunstvoll in sich selbst verschlungen ist. „Es gibt viele Wege, Dinge, die wir haben, wiederzuverwerten“, sagt Fernando Campana. In Brasilien sind er und sein Bruder nicht die einzigen, die aus Müll Möbel machen – aber die bekanntesten. Ihre Werke gelten als Designerstücke. Sie sind handgearbeitete Unikate und viel wert – und das obwohl sie einzig und allein aus Dingen entstehen, die andere weggeworfen haben.

Über den großen Teich ist der Trend zum Design aus Müll nach Europa geschwappt und hat sich etabliert: Auf der internationalen Möbelmesse, die erst vor wenigen Tagen in Köln stattfand, konnte man ebenso Müllkunstwerke bestaunen, wie im letzten Jahr auf der berühmten „Salone del Mobile“ in Mailand. Das Angebot ist groß. Aus Müll kann man nicht nur Möbel schaffen. Auch Deko-Artikel entstehen aus recycelten Gegenständen. Da werden ein Motorradreifen zur Obstschale, ein Waschmaschinen-Bullauge zum Designer-Teller oder aneinander gekettete Abflusssiebe zur Tischplatte.

36 Tonnen Müll produzieren wir Deutschen im Laufe unseres Lebens pro Kopf. Das meiste davon landet in der Verbrennungsanlage. Recycelte Gegenstände passen also hervorragend zum grünen Life-Style – Wegwerfgesellschaft ade! Sogar einen eigenen Verein für Mülldesign gibt es in Deutschland: „Arbeitskreis Recycling“. Sein neuestes Produkt: Die Wandleuchte „Pitbull“, die kurioserweise aus einem Katzenkörbchen gebaut wurde. Jetzt hat der Arbeitskreis zum Designerpreis aufgerufen. Bis zum 31. Oktober können sich Newcomer-Mülldesigner anmelden.

Ob der Trend zum Mülldesign anhält, wird sich zeigen. Solange die recycelten Gegenstände teure Einzelstücke bleiben, wird es schwierig. Um mit der Möbelindustrie konkurrieren zu können, müssen die Produkte bezahlbar sein. Bis dahin wird der Otto-Normalbürger die Müllkunstwerke – anstatt zu Hause – auf Designmessen bewundern können. Und wer weiß: Vielleicht bekommt der eine oder andere Lust, sich für begrenzte Zeit ausschließlich mit Müllkunst zu umgeben. Dann darf man guten Gewissens zum Müllhotel „Corona Beach Garbage“ in Madrid raten. Von der Außenfassade bis zur Dusche ist hier alles komplett aus Müll.

Text: Julia Lesch

Der Künstler Oliver Schübbe ist Mülldesigner beim Arbeitskreis Recycling. Seine Werke konnte man bereits in der SWR-Fernsehdokumentation „Aufgemöbelt – Erstklassig wohnen mit Second-Hand“ bewundern. Demnächst ist er in der Sendung „Die Einrichter“ auf VOX zu sehen. Wie er zum Mülldesign kam und welche skurril-schrulligen Entwürfe er noch umsetzen möchte, erzählt er in einem Interview.

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