vonDetlef Guertler 17.12.2008

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Ich schätze Wolfgang Münchau sehr. Sehr. Er ist so ziemlich der einzige deutschsprachige Ökonom, der klare Analyse, profunde Sachkenntnis und ebensolchen Realismus vereint und sich dann auch noch verständlich ausdrücken kann. Er ist also der einzige Ökonom, den ich derzeit gerne als Berater der Bundesregierung sähe, weil er als einziger deutscher Ökonom die Gewähr dafür bietet, dass sein Rat die Wirtschaftspolitik tatsächlich besser macht.

Ich teile auch Münchaus Kritik am Verhalten der Bundesregierung in der aktuellen Finanzkrise, insbesondere an der Kanzlerin:

Wenn eine globale Depression naht, müssen zwei Dinge geschehen. Man muss international koordinieren, und man muss alles daransetzen, den Absturz der Konjunktur zu verhindern. … Die Bürger erwarten von ihrer Regierung in solchen Zeiten Führungsstärke. … Wenn diese Führungsstärke nicht da ist, treten nicht nur wirtschaftliche Verwerfungen auf, sondern auch politische. Finanzminister Peer Steinbrück mag momentan der Liebling deutscher Stammtische sein. Das wird sich schnell ändern, wenn die Zahl der Arbeitslosen Monat für Monat um etwa 100.000 ansteigen wird. … Angela Merkel hat uns jahrelang überzeugend vorgegaukelt, sie sei eine große Europäerin und Staatsmännin. Auch ich war beeindruckt, wie die Bundeskanzlerin auf ihrem ersten europäischen Gipfel erfolgreich half, ein Haushaltspaket zu schnüren, und wie sie später als EU Ratspräsidentin nach dem Scheitern der EU-Verfassung den Lissabonner Vertrag auf die Beine stellte. Aber in Krisenzeiten kommen häufig wieder die wahren Charakterzüge zum Vorschein. Heute begegnet uns eine Kanzlerin, wie wir sie als Parteipolitikerin schon lange kannten: verbissen, intrigant und provinziell.

Überhaupt nicht teile ich jedoch Münchaus politische Prognose, die er in seiner heutigen FTD-Kolumne mit dem Neuwort „Weimar-Falle“ verknüpft, und die auf eine Erosion der parlamentarischen Demokratie hinausläuft:

Wenn im September 2009 inmitten einer fulminanten Wirtschaftskrise gewählt wird, dann frage ich mich, wie viel von den Volksparteien noch übrig bleiben wird. … Wenn die Vergleiche mit den 30er-Jahren auch hinken, so glaube ich, dass es eine Parallele geben wird. Im September 2009, wie seinerzeit im Sommer 1932 und im Winter 1933, werden sehr viele Menschen der Überzeugung sein, dass demokratische Parteien nicht mehr in der Lage sind, für wirtschaftliche Stabilität zu sorgen und im Interesse des Volkes zu handeln. Sie werden allerdings zu anderen Ergebnissen kommen als damals. Von rechts droht momentan in Deutschland keine Gefahr. Aber mich würde es nicht wundern, wenn die Linke gefährlich dicht an die SPD herankäme oder die Union unter die 30 Prozent stürzte.

Entweder hält Münchau die Deutschen für zu dumm – weil sie die Weltwirtschaftskrise der aktuellen deutschen Regierung in die Schuhe schieben und sich populistischen Saarländern in die Arme werfen; oder er hält sie für zu schlau – weil sie erkennen, wie fahrlässig das Merkel-Steinbrücksche Krisenmanagement war, wie sehr die Regierung die rezessive Dynamik unterschätzte, vor der doch weltweit immerhin zwei Ökonomen rechtzeitig gewarnt hatten, nämlich Nouriel Roubini und Wolfgang Münchau. Ich halte die Wähler weder für besonders weise noch für besonders doof: In der Frühphase der 2. Weltwirtschaftskrise werden sie sich deshalb eher für jemand entscheiden, der mit der Wirtschaft kann, der Arbeitsplätze schaffen und mit Geld umgehen kann – und im September 2009 sind wir, leider, gerade erst in der Frühphase jener Krise.

Für die Bundestagswahl danach, mutmaßlich eher 2011 oder 2012 als nach regulärem Ablauf der Legislaturperiode, mag das anders aussehen: Da dürfte eine Bundesregierung inklusive Wahlvolk durch ein tiefes Tal der Tränen geschritten und gescheitert sein, Verzweiflung die vorherrschende Stimmung sein, und jede unverbrauchte Stimme, ob von rechts oder links, oben oder unten, hat eine Chance, an den etablierten Parteien vorbei an die Macht zu gelangen. Wenn es also eine Weimar-Falle geben sollte, so wird sie noch nicht jetzt, sondern frühestens in einem Jahr aufgestellt.

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