vonJakob Hein 29.03.2010

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Tilmann Krause,

unter der Überschrift: „Missbrauch: der Topf kocht langsam über“ äußern Sie sich am Sonntag im Editorial der „Literarischen Welt“ vom 27. März 2010 zu der Missbrauchsdiskussion. Und Sie fragen: „Ist wahre Erziehung, echte menschliche Begegnung nicht immer Übergriff, Eingriff in die Bewusstseinsentwicklung, die junge Menschen über den Unterricht hinaus beschäftigen, bereichern? Wer das in seiner Schulzeit erlebt hat, wird dafür stets dankbar sein.“

Da setzt man erst etwas Strafbares mit etwas nicht Strafbarem gleich und fragt dann, ob denn jetzt schon das Nicht-Strafbare verboten sein soll. Das wäre so die Vergewaltigungs-Verteidigung Nummer eins. Und, Herr Krause, ist denn nicht ein kräftiger Händedruck auch nicht immer eine Gewaltausübung, die Verletzungsspuren hinterlassen kann? Soll denn da ein etwas kräftigerer Druck mit zwei Händen gegen den Hals gleich ein Verbrechen sein?

Aber das reicht Ihnen nicht, Krause. Sie haben schon einmal die Angel ins ganz trübe Wasser geworfen, jetzt wollen Sie auch alle Fische da herausholen. Denn Sie gehen sogar soweit zu behaupten: „Wer sich als Kind auf ‚Mittagsschläfchen’ mit mutueller Masturbation und Ähnliches einließ, hat dafür vielleicht seine Gründe gehabt.“ Sie machen dann weiter und sagen die gegenwärtige Diskussion kranke an „Unehrlichkeit, auf Täter- wie auf Opferseite“. Zwar gäbe es triebhafte Erwachsene, aber: „Und auf der anderen Seite  gibt es Kinder, die, von ihren Eltern emotional vernachlässigt, Zuwendung und Zärtlichkeit bei anderen Erwachsenen suchen und dabei auch vorübergehend eine Form von körperlicher Annäherung in Kauf nehmen, die ihnen später unangenehm ist.“

Tilmann Krause! Seien Sie froh, dass wir mit der Schaumbremse des Satirikers ausgestattet sind, damit wir Sie jetzt nicht an dieser Stelle so beschimpfen, wie uns das triebhaft beim Lesen ihrer Ergüsse ankommt. Wenn wir mal über diesen Artikel ins Gespräch kommen sollten: Denken Sie sich einfach, dass wir an Tourette leiden und nehmen Sie’s nicht persönlich. Mit Ihrer Art zu argumentieren könnte man auch sicher frischen Wind in die Holocaust-Debatte bringen und noch mal die ganze Klimadebatte querdenken. Schon mal was von Raul Hilbergs Argumentation gehört, dass man Verbrechen versteht, wenn man die Täter versteht und nicht die Opfer?

Aber wenn man jetzt noch das Ende Ihres Editorials gedanklich mit dem zehn Zentimeter darüber liegenden Anfang in Verbindung bringt, entsteht ein radikal neuer Erziehungsansatz. Sie weisen nämlich zu Recht darauf hin, dass sich die weitaus meisten Missbrauchsfälle in der Familie ereignen. Wenn aber sexuelle Übergriffe gegen Kinder nur eine Art sind, „Zuwendung und Zärtlichkeit“ zum Ausgleich emotionaler Vernachlässigung zu geben, was würden Sie denn dann den Vätern raten, die ihre Kinder in den letzten Jahren vernachlässigt haben. Schnell mal in der Mittagspause drüber? Sie schreiben: „Darüber zu reden, fällt merkwürdigerweise einer Zeit schwer, die doch in Sachen Sexualität sonst kein Blatt vor den Mund nimmt.“ Mann, Krause, in der Angelegenheit wünschen wir Ihnen nicht nur ein Blatt, nicht nur einen Baum, sondern gleich einen ganzen Wald vor den Mund!

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