vonHelmut Höge 02.11.2009

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Beim letzten „Steirischen Herbst“ in Graz fragten sich die Veranstalter: „Was macht eigentlich…?“ Sie dachten dabei an den „Protestsong“, den „Hausbesetzer“, den „leeren Raum, den „Weltgeist“ usw.. Über letzteren sollte ich dann Auskunft geben:

„Den Kaiser – diese Weltseele – sah ich durch die Stadt zum Recognosciren hinausreiten. – Es ist in der That eine wunderbare Empfindung, ein solches Individuum zu sehen, das hier, auf Einen Punct concentrirt, auf einem Pferde sitzend, über die Welt übergreift und sie beherrscht,“ schreibt Hegel an Niethammer über Napoleon 1806 in Jena.

Seitdem wird der Weltgeist (bzw. die Weltseele) gerne mit herausragenden Männern in Verbindung gebracht – als Personifizierungen einer „geistigen Macht“, mit der sich die „Vernunft in der Geschichte“ durchsetzt. Anläßlich der Wahl von Barack Obama zum ersten schwarzen Präsidenten der USA listete jüngst die Süddeutsche Zeitung einige auf: „Manchmal trägt der Weltgeist eine Nickelbrille, wie Ghandi, dann hat er einen Schnurrbart, wie Lech Walesa. Manchmal redet er sächsisch und hat eine Kerze in der Hand, wie 1989/90, bei den Montagsdemonstrationen.“

Zunächst wurde der Weltgeist jedoch erst einmal – von Marx – quasi depersonalisiert: als „Weltmarkt“, der mit „unsichtbarer Hand“ regiert. Darauf folgten, um 1900, jede Menge „Weltprojekte“ (Welt-Sprache, -Währung, -Funknetz, Fleurop, -Standardisierungen). Und schließlich die „Weltrevolution“, die in die russische gipfelte – und dort einige „Weltrevolutionäre“ zur Geltung brachte. Erwähnt seien Trotzki und Lenin, die sich, dialektisch geschult, gewissermaßen als Vollstrecker des Weltgeistes begriffen. Ernst Bloch hielt noch 1929 dafür: „Ubi Lenin ibi Jerusalem“.

Es folgten die „Weltmaschinen“: als solche werden sowohl die riesigen Forschungsapparate der Physiker (Teilchenbeschleuniger z.B.) bezeichnet als auch künstlerische Objekte wie etwa die von Marcel Duchamp und Franz Gsellmann. Neuerdings scheint sich der Weltgeist vorwiegend im „Worldwideweb“ zu tummeln.

Parallel dazu kehrte die alte Vorstellung von der „anima mundi“, der Beseeltheit sowohl aller Lebewesen wie des Kosmos (der Welt), wieder – in naturwissenschaftlichem Gewand: mit der „Gaia-Hypothese“ des Geochemikers James Lovelock, die auf das Konzept der „Noosphäre“ von Wladimir Vernadski zurückgeht. Danach ist die Erde einschließlich ihrer Atmosphäre ein einziger lebender Organismus, der sich selbst reproduziert, wobei primärer Beweger hier jetzt nicht mehr der Geist, sondern der Einzeller ist: Beginnend mit den Archaebakterien, die gewissermaßen am Anfang allen Lebens stehen, sowie den Bakterien, die bereits einen Zellkern besitzen (den Eukaryoten) – und ferner allen anderen Lebewesen, die über Symbiosen aus den anfänglichen Einzellern entstanden sind.

Der globalisierte Buchhandel meldet: „Weltgeist bei Amazon.de. Größte Auswahl an Büchern, jetzt portofrei bestellen“. Hier kann man sowohl die neusten juristischen Überlegungen zum „Weltgericht“ als auch den linken Bestseller aus dem Verlag Roter Stern „Weltgeist Superstar“ bestellen. Ein neuer „Philosophie-Atlas“ zeichnet die „Wanderschaft des Weltgeistes“ nach:

Es ist ein unruhiger Geist, der mal hier und mal da „recognoscirt“. Eins scheint aber, nicht zuletzt angesichts der jetzigen Welt(markt)lage, klar zu sein: Im alten Europa läßt er sich wohl so schnell nicht wieder blicken.

Beim letzten Zusammentreffen mit dem taz-kulturredakteur Ulrich Gutmair auf dem Flur sagte dieser: Mensch, Du könntest doch eigentlich morgen abend zu der Veranstaltung von „Polar“ gehen. Da ich gerade die letzte Ausgabe ihrer Zeitschrift gelesen hatte, sagte ich zu:

Polar ist eine Halbjahreszeitschrift aus den „Think-Tanks“ der Grünen. Ihre erste Nummer hieß: „Was fehlt“. Am Samstag stellte die Redaktion in den „Sophiensaelen“ ihre siebte Ausgabe – „Ohne Orte“ – vor, verbunden mit einer Podiumsdiskussion und einer DJ-Party. In der Einladung hieß es: „Wie steht es um die Zukunft unserer Demokratie? Was erwarten wir von den Parteien? Was von „sozialen Bewegungen“? Diese Fragen diskutieren wir mit interessanten Gästen, die uns weiter helfen könnten.“

Trotz des überraschenden Kälteeinbruchs  kamen etwa 100 Interessierte. Ich erfuhr, dass das Wort „Polar“ nichts mit „Eiszeit“ zu tun hat, wie ich gedacht – und worin einer der eingeladenen Referenten, der HUB-Rechtswissenschaftler Christoph Möllers, mich  bestärkt hatte: „Wir leben in restaurativen Zeiten.“ Der  Titel „Polar“ bedeutete vielmehr: „Polarisiert euch!“ also eher etwas Hitziges. Zwar fiel dann in der Debatte mehrmals das Klaus Hartungsche Unwort „Alarmismus“ – jedoch in abwehrendem  Sinne. Worum ging es? „Um den Versuch, jenseits der Berliner Coolness Politik und politische Praxis zu verhandeln,“ wie der Polar-Redakteur Peter Siller einleitend erklärte.

Es war eine seltsame Veranstaltung, die meisten Zuhörer saßen aufmerksam zwei Stunden da, keiner holte sich von der Theke was zu trinken oder ging eine rauchen. Ich hatte den  Eindruck, man war gespannt auf den „Stil“ der Veranstaltung, den „Ton“ (der Grünen Intelligenz). Danach hatte ich auch schon in den bis jetzt 7 „Polar“-Ausgaben geforscht. Irritierend war, dass im Publikum zwei ehemalige Hausbesetzerinnen saßen. Die eine war inzwischen Philosophieprofessorin geworden, sie blieb jedoch stumm. Auch in dem eher biederen  – für Menschenrechte und gegen Wahlfälschung über die halbe Welt ausgeschwärmten – Polar-Heft „Ohne Orte“ war ich schon auf Irritierendes gestoßen: Dass da plötzlich mittendrin die „politische Ökologie“ von Bruno Latour auftauchte – wenn auch kurz, aber immerhin. Für Latour sind „Politiker nicht länger glaubwürdig. Sein Gegenvorschlag ist eine objektorientierte Demokratie. Eine Repräsentation der Dinge. Um eine angemessene Form für diese Dingpolitik und einen Gegenentwurf zum Partlament mit seiner komplexen Maschinerie aus Reden, Hören, Wählen, Erörtern zu finden, müssen Repräsentationstechniken aus unterschiedlichen Versammlungstypen zusammengestellt werden.“

Der Referent Thomas Leif, Autor von „Parteien in der Nachwuchsfalle“, der als einziger im Sophiensaal „Old School“ ausstrahlte, schien die Lobbyisten, Experten und Berater (wie McKinsey und Roland Berger), die bereits das Kerngeschäft der Politik betreiben, nämlich Gesetze erarbeiten, für die nächstliegende Gefahr der Demokratie zu halten. Im übrigen war auch er der Meinung, dass die Parteien eher „Blockierer als Motor demokratischer Prozesse sind“. Die Europaabgeordnete der Grünen, Rebecca Harms, eine Baumschulgärtnerin, die in der Anti-AKW-Bewegung „politisiert“ wurde und in der „Wendländischen Filmkooperative“ mitarbeitete, fügte dem – aus eigener leidvoller Erfahrung – noch die Agenturen hinzu, die für die Parteien und Kandidaten die Wahlkämpfe konzipieren – deren „Inhalte und Ziele“ sie dabei eher verstecken“: Harms trat diesmal z.B. unter der Parole „Wumm“ an. Auch das selbst die, zuletzt allerdings ausgebliebenen „TV-Duelle“ völlig durchgeplant werden, führe nicht gerade „zur Polarisierung und Politisierung“ der Wähler. Harms wirkte so sympathisch lebenserfahren und „authentisch“ wie, sagen wir Christian Ströbele, dafür  war sie nicht gerade ein „Highflyer in Science“. Der HUB-Jurist Möllers gab ihr gegenüber zu bedenken: „In unserem föderalen System sind alle fünf Parteien irgendwo auch an einer Regierung beteiligt – und müssen von da aus vorsichtig sein mit dem Polarisieren.“ Der Journalist Leif sah das Parteienproblem darin, dass der „Willensprozeß“ dort von oben nach unten verlaufe.

Jemand aus dem Publikum meinte daraufhin: Der „Übergang von Bonn nach Berlin“ habe die politische Willensbildung verschlechtert. Ein anderer: Zur „Demokratisierung“ brauche es außerinstitutionelle Anstöße, „auf der Straße tut sich derzeit allerdings auch nicht viel.“ Ein dritter sprach von einer beidseitigen „politischen Apathie“. Rebecca Harms konkretisierte das: „Am meisten ist das  Parlament runtergewirtschaftet. Das wird auch von innen und von außen so gesehen“. Zwischen Regierung und Parlament herrsche nur noch Respektlosigkeit. Für Möllers nichts Neues, entscheidend sei immer „die Opposition“.

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