vonSchröder & Kalender 19.09.2009

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Der Bär flattert in nordwestlicher Richtung.
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Günter Seuren wurde 1932 in Düsseldorf geboren und starb 2003 in München. Er  schrieb zahlreiche Hörspiele und Drehbücher für Filme und veröffentlichte u. a. die Romane Lebeck‹, Das Kannibalenfest‹ und ›Die fünfte Jahreszeit‹. Mitte der sechziger Jahre gehörte Günter Seuren zu den Genies des jungen deutschen Films. Nach seinem Roman ›Das Gatter‹ schrieb er für Peter Schamoni das Drehbuch zu dem Film ›Schonzeit für Füchse‹, der in jeder Kulturgeschichte der Republik zum Stichwort ›Bewußtseinswandel Mitte der Sechziger‹ zusammen mit Volker Schlöndorffs ›Der junge Törless‹ und Ulrich Schamonis ›Es‹ auftaucht. Dann, Ende der Sechziger, war bei Günter der Lack etwas ab, er wollte wieder in die erste Reihe, hatte meinen kometenhaften Aufstieg verfolgt, erinnerte sich an unsere alte Freundschaft und signalisierte im Frühjahr 1969 nach der März-Gründung, daß er mit seinem nächsten Roman nicht mehr bei Kiepenheuer und Witsch, sondern bei mir erscheinen wolle. Zur Buchmesse 1970 kam ›Der Abdecker‹ heraus, ein Flop. 1983 wurde der Roman noch einmal bei März veröffentlicht, dieses Mal mit einem anderen Cover.

›Abdecker‹ ist Seurens bestes Buch, darin erzählt er in paranoischer Ernsthaftigkeit, deshalb schreiend komisch, eine Geschichte über eine alte Villa in Zürich, die er in Wirklichkeit bewohnte. Mit seiner Freundin war er dort bei zwei alten Damen untergekommen, die reiche Schwester war die Hausbesitzerin, die arme spielte die Magd. Zwei irre Alte, von mieterquälerischem Wahn besetzt, einer Mischung aus Alterssexualität und Glauben an Außerirdische. Mit diesen imaginierten »Aschtraliern« machten sie das junge Paar kirre. Für uns hatte das einen Überhumor, weil wir wissen, daß Günter seine Geschichten nicht erfunden, sondern genau so erlebt hatte, wie er sie beschrieb.

Ich besuchte ihn 1969 in dieser Villa in Zürich, und mir wurde klar, daß hier kein Autor arbeitete, der sich mit einem irren Stoff beschäftigt, sondern daß er selbst ein Verrückter ist: »Gestern sagte die Alte, sie hätte mich schon im vergangenen Winter mit dem elektrischen Kabel, unter Schnee versteckt, umbringen können.« Du bepißt dich vor Lachen bei dem Buch, typisch für die Muffkaiser – bis auf Adolf Muschg, da muß ich ihn mal loben, er war der einzige, der entdeckte, was für ein großartiges Buch das ist – von Kritikern, die es nicht taten, weder als der ›Abdecker‹ im ersten März Verlag erschien, noch als ich im Verlegerwahn versuchte, ihn im zweiten Anlauf durchzusetzen. Ich Idiot dachte auch noch, daß es am Umschlag gelegen hätte, denn für die erste Ausgabe hatte ich mir etwas Besonderes einfallen lassen und wollte ein Foto von einer nackten Alten.

Mit einiger Mühe tat Marina Raith, damals erfolgreiche ›Jasmin‹-Fotografin, in München eine exhibitionistische alte Frau auf, die sie unter Zuhilfenahme ihrer Weichzeichner so raffiniert mit einem Schleier umhüllt fotografierte, daß sie auf den ersten Blick ein Pin-up-Covergirl ist, erst auf den zweiten siehst du die welke Haut. So war es gedacht, der Umschlag sollte schockieren, tat es aber leider mehr als vorgesehen. Es war zu grauenvoll, jedenfalls für die ›Neue Sensibilität‹ des Jahres 1970. Keiner wollte das Buch. Wegen des Umschlags, dachte ich. Für die Neuausgabe suchte ich ein unverfängliches Motiv, die düstere Silhouette einer Zürichbergvilla. Und wieder ein Flop! Von dem Rezensenten nahm den Roman auch mit dezentem Umschlag keiner zur Kenntnis.


Günter Seuren, ›Der Abdecker‹.  Leinen, 262 Seiten, März Verlag 1970 (nur noch antiquarisch erhältlich).

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Günter Seuren, ›Abdecker‹. Engl.Brosch, 264 Seiten, März Verlag 1983 (nur noch antiquarisch erhältlich).

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(GS / BK / JS)

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